Geldscheine mit zehn Nullen: So war die Hyperinflation in Paderborn vor 100 Jahren

Paderborn. Menschenmassen ziehen durch Paderborn. Sie halten Plakate im strömenden Regen in die Luft, mit Aufschriften, wie: "Nieder mit den Kapitalisten, nieder mit dem Paderborner Handelsamt, gebt uns Arbeit und Brot, sonst schlagen wir alle tot." Nicht ohne Grund. Sie demonstrieren gegen die enorme Teuerung, gegen die Inflation, aber auch gegen den Kapitalismus, wenn man Martin Wagner glauben darf. Er war Chefredakteur des Paderborner Anzeigers und berichtete über eine von der SPD organisierten Demonstration am 17. Mai 1923. Es ist das Jahr der Hyperinflation. Deutschland kann die Reparationszahlungen, die nach dem Ersten Weltkrieg vereinbart wurden, nicht mehr zahlen. Daraufhin besetzen französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Der damalige Reichskanzler Wilhelm Cuno rief zum passiven Widerstand gegen die militärische Besetzung auf. Allen Teilnehmenden im Ruhrgebiet wurden versprochen, dass sie weiterhin ihren Lohn erhielten. Das hatte wortwörtlich seinen Preis, da das Geld dafür frisch gedruckt aus der Notenpresse kam. Wie es zur Hyperinflation in Billionenhöhe kam? Die Folge: Die Preise in Deutschland, aber auch Paderborn, erklommen nie erreichte Höhen. Während Cuno den Widerstand bestärkt und im Januar 1923 ein Tag der Trauer eingeführt wird, wird in Paderborn ein vaterländischer Film im Rathaus gezeigt, um den Zusammenhalt zu stärken. Doch nach und nach verschlimmert sich die Situation. Notgeld musste gedruckt werden. Rechteckige Papierschnipsel, mit dem Aufdruck fünfhunderttausend Mark. Dann eine Million, dann fünf Millionen Mark. Der höchste Notgeldbetrag im Jahr 1923? 50 Milliarden Mark. Zumindest ist es der höchste, den Wilhelm Grabe, Leiter des Stadt- und Kreisarchivs in Paderborn, in seinem Archiv findet. Anfang Mai 1923, zwei Wochen vor der Demonstration, entsprachen 7.548 Papiermark einer Goldmark, der damaligen Rechnungseinheit. So zeigt es eine Chronik aus Grabes Archiv. Wie schlimm es noch werden würde, konnten die Paderborner zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Paderborner demonstrieren gegen Teuerung Der Chefredakteur Martin Wagner kann trotz dieser Umstände seine Abneigungen gegenüber den Demonstranten nicht verstecken und bezeichnet die Bewegung als "Auswüchse" und "blinde Hetze". Den christlichen Gewerkschaften in Paderborn attestiert Wagner eine Befriedigung, nicht an der Veranstaltung teilgenommen zu haben. Diejenigen, die sich daran beteiligt haben, hätten sich vor den "sozialistischen Karren" spannen lassen, schreibt Wagner weiter. Doch auch er unterschätzte, zu welcher Katastrophe sich die Unterstützung für das Ruhrgebiet entwickelte. Auf die Demo im Mai folgen erste Abstriche. Die Paderborner Schützen lassen ihr Schützenfest im Juni ausfallen. Stattdessen gibt es einen Rhein-Ruhr-Hilfe-Tag. Auch der Liborimarkt hat mit mangelnden Einnahmen zu kämpfen. Dies sind jedoch die geringeren Probleme der Paderborner. "Es brauchte immer mehr Mühe, um an Lebensmittel zu kommen", sagt der studierte Historiker Grabe. Der Paderborner Anzeiger und Martin Wagner greifen die wirtschaftliche Situation einige Wochen doch noch kritischer auf und sprechen im August von "Wahnsinnspreisen", sagt Grabe. Bis heute seien die Folgen der Hyperinflation zu spüren Ein Schwarzmarkt für Lebensmittel entsteht und Volksküchen werden für immer mehr Paderborner alltäglich. Am 12. August müssen Wilhelm Cuno und seine Regierung zurücktreten. Die Preise steigen trotzdem weiter. Bis Dezember wuchs der Wechselkurs zwischen Goldmark und Papiermark auf 4,2 Billionen. Angesichts der aktuellen Inflationsrate von 3,8 Prozent, die das Statistische Bundesamt nennt, unvorstellbar. Grabe wundert sich, dass die Weimarer Republik trotz dieser wirtschaftlichen Lage überhaupt so lange überlebt hat. Es sei ein Trauma, das bis heute Deutschland präge. Grabe nennt als Beispiel den Hang der Deutschen zum Bargeld. Die Stadt Paderborn braucht bis zur Mitte der 1920er, um sich von den Folgen der Hyperinflation zu erholen. "Das schlägt sich auch im Wahlergebnis 1924 nieder", sagt Grabe. Bei der Kommunalwahl vom 4. Mai 1924 stürzte die in Paderborn regierende Zentrumspartei 21,6 Prozent ab – auf immerhin 44,6 Prozent. Stattdessen haben deutschnationale, völkische und kommunistische Parteien Konjunktur. Grabe bemisst der Krise größere Bedeutung für die deutsche Geschichte zu als beispielsweise der Weltwirtschaftskrise 1929: "Vielleicht wäre uns mit einer anderen Führung, die NS-Diktatur erspart geblieben."

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