
Paderborn. Eigentlich sind Blaualgen, wie sie derzeit auch im Lippesee sprießen, aus Sicht der Wasserexperten Reinhard Schäck aus Paderborn und Günter Bockwinkel aus Augustdorf ein spannender Organismus. Im Gespräch mit der "NW" erklären sie, warum sich Blaualgen bei starker Sonneneinstrahlung und aufgrund bestimmter biologischer Faktoren schneller vermehren als andere Algenarten. Und weshalb sie für die Entstehung der Menscheit so wichtig waren.
Andererseits können Blaualgen oder Blaugrüne Algen – der Fachbegriff ist Cyanobakterien – erhebliche Beschwerden bei Menschen und Tieren auslösen. Deshalb gilt für den Lippesee weiter aus Sicht des Kreises Paderborn: Sperrung aufgrund von "Lebensgefahr".
Auch wenn die Badesaison bereits seit dem 15. September zu Ende ist, rät der Kreis weiterhin dringend davon ab, in den Lippesee zu steigen. "Das gilt für Menschen und Tiere. Die Blaualgen können beispielsweise Hautirritationen und Übelkeit auslösen", sagt Kreissprecherin Corinna Koptik. Am 10. September war die Gefahr öffentlich geworden.
Maßnahmen gegen die Blaualgen sind, so teilt der Kreis im Internet mit, nicht möglich. Deshalb hofft der Kreis auf kühlere Temperaturen. Koptik: "Wenn es kälter wird, sterben die Bakterien ab." Zur Beobachtung gehören auch Kontrollen zur Wasserqualität. Laut des Kreises könnten in dieser Woche die nächsten Proben entnommen werden.
Blaualgen mögen Sonne und CO2
Aus Sicht von Reinhard Schäck und Günter Bockwinkel haben mehrere Faktoren dafür gesorgt, dass sich die Blaualgen in diesem Jahr besonders gut entwickeln konnten. Hierbei spielen neben relativ hohen Wassertemperaturen vor allem Nährstoffe im Wasser und die direkte Sonneneinstrahlung an langen Tagen eine Rolle. Auf eine einfache Formel bringt es Schäck: "Blaualgen leben von Sonne und CO2."
Schäck war bis 2021 Biologie- und Chemielehrer am Reismann-Gymnasium. Zudem hatte er mit Schülern verschiedene Gewässer untersucht: darunter die Pader, den Padersee und den Rothebach. Bockwinkel ist Biologe sowie Gründer und Gesellschafter der Firma NZO (Bielefeld). Als Planer und Bauleiter hatte er bis 2005 die Gestaltung der Lippesse-Umflut begleitet.
Die knapp 90 Hektar große Wasserfläche bezeichnet Bockwinkel als "Energiefalle": Viel Sonnenlicht strahlt darauf, das nutzen Algen.
Dazu sagt Schäck: "Wir hatten ungewöhnlich lange, sonnige Tage und ein Überangebot an Nährstoffen." Laut Bockwinkel und Schäck sind es Nährstoffe wie Nitrat, eine Verbindung aus den Elementen Stickstoff und Sauerstoff, und vor allem Phosphat, die Algen brauchen. "Sie bestimmen, wie viel Biomasse im Wasser entstehen kann", sagt Schäck.
Relativ viele Nährstoffe, etwa aus der landwirtschaftlichen Düngung, würden über die beiden Zuflüsse in den Lippesee gelangen: Thune und Roter Bach. Aber auch über die Lippe und das Grundwasser gelangen sie hinein. Die Qualität des jeweiligen Wassers in Thune und Roter Bach sei diesbezüglich "nicht gut", sagt Bockwinkel. Sogar von "mäßig und kritisch belastet", spricht er.
Mit Blick auf den Transport von Nährstoffen äußert Bockwinkel eine Vermutung, bezogen auf mehrere Starkregenereignisse in diesem Jahr. Er fragt sich, ob die Kläranlage in Schlangen bei "hydraulischer Überlastung" Mischwasser in die Thune abgegeben haben könnte. Oberlauf der Thune ist die Strothe.
Die Vermutung bestätigt Robert Göke, Geschäftsführer der Gemeindewerke Schlangen, auf Anfrage nicht. Zudem verweist Göke darauf, dass – in solchen Fällen – "vorbehandeltes" und "stark verdünntes Wasser" in die Strothe einfließen würde. Auch einen "Störfall" habe es nicht gegeben.
Blaualge ist anderen Arten überlegen
Neben den Blaualgen gibt es beispielsweise noch Grünalgen im Wasser. Letztlich "konkurrieren" die Algen miteinander um die Ressourcen. Dabei ist die Blaualge sogar überlegen, so Bockwinkel. Während Algen Nährstoffe über das Wasser aufnehmen, kann die Blaualge mehr. "Sie nimmt Stickstoffe aus der Luft auf", sagt Bockwinkel.
Wie sich der Lippesee mit Algen und anderen Organismen entwickelt, habe Bockwinkel bis 2015 in Erfolgskontrollen untersucht. So habe er sich „hervorragend entwickelt“: von einer Sichttiefe mit 30 bis 80 Zentimetern zu einer Sichttiefe von „zwei bis drei Metern“. Auch von einer Badewasserqualität spricht Bockwinkel.
Von einem „Kippen des Lippesees“ geht er übrigens nicht aus, zumal es keinen direkten Zusammenhang mit Blaualgen gebe.
Abschließend gelingt es Bockwinkel noch, der Blaualge etwas Positives abzugewinnen. Wenn man die biologischen Vorläufer der Cyanobakterien nimmt, dann hatten sie vor etwa 2,4 Milliarden Jahren den Sauerstoff in der Atmosphäre geschaffen. Bockwinkel: "Diese ersten Organismen haben die Fotosynthese erfunden, die Atmosphäre verändert und dazu beigetragen, dass sich anderes Leben entwickelt."