Baby in Paderborn nach Schütteln gestorben: Wie Eltern nicht die Nerven verlieren

Paderborn. Das zwei Monate alte Kind, das nach einem Vorfall am vergangenen Wochenende schwerste Hirnschädigungen erlitten hat, ist am Donnerstag gestorben. Das teilt Oberstaatsanwalt Ralf Meyer auf Nachfrage der &bdquo;NW“ mit. Das Baby wurde am Freitag obduziert. Nach Erkenntnissen der Polizei soll der Vater den Säugling geschüttelt haben. Damit es erst gar nicht so weit kommt, gibt es in der Paderborner Kinderklinik St. Louise, die immer wieder mit Fällen zu tun hat, in denen Kinder Gewalt erlitten haben, umfangreiche Hilfs- und Präventionsangebote. Hilfe der Kinderschutzgruppe In der Klinik St. Louise, wo angesichts des tödlichen &bdquo;Shaken Baby Syndrom“-Falls Betroffenheit spürbar ist, gibt es eine Kinderschutzgruppe, die ein klares Ziel hat: das Wohl der Kinder. Sie hilft beim Verdacht auf Kindeswohlgefährdung und Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Mit insgesamt 200 Fällen im Jahr – etwa 50 davon müssen stationär untergebracht werden – hat das Team aus 20 bis 25 Fachkräften verschiedenster Disziplinen zu tun. Dazu zählen zertifizierte Kinderschutzmediziner, ein Kinderchirurg, eine Kindergynäkologin, Therapeuten, Sozialarbeiter und spezielle Pflegefachkräfte. Geleitet wird die Medizinische Kinderschutzambulanz von Christina Dolle. Ganz wichtig sei es, Druck aus einer Situation herauszunehmen, sagt Friedrich Ebinger, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, der die Kinderschutzgruppe vor mehr als zehn Jahren gegründet hat. Jeder Fall werde in der Gruppe bewertet und das weitere Vorgehen eingeleitet. Dabei gebe es keine Automatismen, nur das Prinzip: zuerst Hilfe für das Kind, dann Hilfe für die Familie in ihrer individuellen Situation. Diese werde direkt angeboten oder durch die gut vernetzte Kinderschutzambulanz vermittelt. Gefahren durchs Schütteln Ganz wichtig ist Aufklärungsarbeit bei Eltern, Großeltern und allen, die Babys und Kleinkinder betreuen. Dabei hilft in der Klinik seit etwas mehr als zwei Jahren auch eine Simulationspuppe. Sie hat einen transparenten Kopf, an dem sichtbar wird, wie die schweren Gehirnschädigungen durch das Schütteln entstehen können. Die Schüttelpuppe ist eine Spende der früheren Chefarztes Wolfgang Dick. Bei einem &bdquo;Nicht akzidentellen (Schädelhirn-)Trauma“ (NASHT), wie das Schütteltrauma medizinisch heißt, ist ein sehr heftiges Schütteln vorausgegangen. Das zeigt auch das Schütteln der speziellen Puppe. &bdquo;Sie müssen richtig Kraft aufwenden, damit das rot wird“, sagt Ebinger. Das rote Licht im Kopf symbolisiert Einblutungen im Gehirn, dessen Gefäße beim Baby noch sehr empfindlich sind. Wird ein Kind am Brustkorb oder an den Armen heftig geschüttelt, mache der Kopf weite Nick- und Streckbewegungen, das Hirn werde extrem beschleunigt und gebremst. Ebinger: &bdquo;Dabei reißen Venen von der Knochenschale ab, Blutungen sind die Folge. Es treten Netzhautblutungen auf, die schwerste Sehstörungen und ein Erblinden zur Folge haben können.“ Und bereits fünf bis zehn Sekunden heftiges Schütteln können schwerste Hirnschäden verursachen oder – wie im aktuellen Fall – sogar zum Tod des Kleinkindes führen. Babyschreien und Ambulanz Als Hauptauslöser für das Schütteln gilt anhaltendes Babyschreien. Der Hauptzeitraum für ein Schütteltrauma liegt laut Nationalem Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) zwischen zwei und fünf Monaten und überlappt sich mit dem physiologischen Hauptschreialter. Geständige Täterinnen und Täter geben demnach übereinstimmend das Schreien des Kindes als auslösenden Faktor an. Deutsche und internationale Studien zeigten, dass die Verursacher von Schütteltraumata häufiger männlich als weiblich sind, so das NZFH. Alle Hilfsangebote in der Paderborner Kinderklinik sind im Sozialpädiatrischen Zentrum gebündelt. Dazu zählt auch die Eltern-Säuglings-Kleinkind-Beratung, zu der wiederum seit 2005 auch eine Schreiambulanz gehört: Für die kostenlosen Beratungen gibt es wöchentlich etwa acht bis zehn Anfragen. Die Therapeutinnen führen mit Eltern sensible Gespräche, die sich häufig um den Schlafrhythmus, das Schreien und Fütterstörungen drehen. In vielen Fällen liege die Ursache für das beständige Schreien an motorischen Auffälligkeiten des Kindes. Vorgehen für geforderte Eltern In den vergangenen sechs Jahren wurden in der Kinderklinik St. Louise drei Fälle des &bdquo;Shaken Baby Syndrom“ betreut. Vielleicht hätte es diese nicht gegeben, wenn das vom Chefarzt Ebinger benannte Vorgehen beherzigt worden wäre: &bdquo;Das Kind hinlegen, kurz den Raum verlassen, durchatmen, Hilfe holen – so lautet die Faustformel. Wenn die Nerven blank liegen, die Eltern alles versucht haben, das Kind aber einfach nicht aufhört zu schreien, muss Unterstützung hinzugezogen werden. In einer akuten Krisensituation sind erfahrene Kinderärzte, speziell ausgebildete Pflegefachkräfte und Familientherapeuten da.“ &bdquo;Aktuell wird davon ausgegangen, dass Täter/-innen eines ,Schütteltraumas’ zu Beginn ihrer desaströsen Aktivität nicht die Absicht verfolgen, dem Kind Schaden bzw. schweren Schaden zuzufügen“, heißt es in der Kinderschutz-Richtlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. &bdquo;Unzweifelhaft ist jedoch, dass jedem/r Täter/-in während des Schüttelaktes bewusst ist, dass er/sie dem Kind einen schweren Schaden zufügt.“ Folgen für die Kinder Ein Schütteltrauma bedeutet lebenslanges Leid für die betroffenen Kinder – wenn sie die Misshandlung denn überleben: 10 bis 30 Prozent der Kinder sterben. Rund zwei Drittel erleiden verzögerte oder chronische Schäden wie Seh- und Sprachstörungen, Lern- und Entwicklungsverzögerungen, Krampfanfälle oder schwerste bleibende körperliche und geistige Behinderungen. Nur schätzungsweise 10 bis 20 Prozent der Säuglinge überleben ein diagnostiziertes Schütteltrauma ohne bleibende Beeinträchtigungen. &bdquo;Ich kenne Fälle, in denen die Kinder gestorben sind, Kinder, die schwerstbehindert sind und welche, die Lern- und Entwicklungsstörungen haben“, sagt Ebinger. Anlaufstellen Bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung kann sich mittlerweile jeder – aufgrund einer gesetzlich geregelten Schweigerechtsentbindung auch Personengruppen wie Ärztinnen und Ärzte, Berufspsychologinnen und -psychologen, Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberaterinnen und -berater, Sozialarbeiterinnen oder -arbeiter, Lehrerinnen und Lehrer – ans zuständige Jugendamt wenden. Die Notaufnahme der Kinderklinik ist unter Tel. 05251 864215 rund um die Uhr besetzt. Das Team der Kinderschutzambulanz ist unter Tel. 05251 864227 und das Team der Elternberatung unter Tel. 05251 864270 (montags bis freitags, 8 bis 16 Uhr) erreichbar.

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