Paderborner IHK-Chef: „Das würde alle anderen Krisen massiv in den Schatten stellen“

Wie hat sich die Lage für die Wirtschaft im Kreis Paderborn nach einem Jahr Krieg und Sanktionen verändert? JÜRGEN BEHLKE: Die Lage hat sich insgesamt verschlechtert. Der Überfall der Russen auf die Ukraine ist der Hauptgrund für viele Geschäftsabbrüche mit Firmen aus beiden Ländern. Das Abreißen der Lieferketten ist das eine, das Ende der Energielieferungen aus Russland das andere. Denn das hat hierzulande zu einer Verknappung und Verteuerung geführt, was im Grunde genommen alle Unternehmen belastet. Die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen hat durch diese Energiekostenexplosion sehr gelitten. Das Thema Energie ist in diesem Fall noch eklatanter als das Thema der Wirtschaftsbeziehungen nach Russland, weil es wenige Unternehmen gibt, die ausschließlich mit Russland Handel betrieben haben. Der Hauptbelastungsfaktor ist also das Thema Energie. Welche Branchen waren besonders betroffen, welche blieben weitgehend verschont? Erst einmal ist jedes Unternehmen im Bereich der verarbeitenden Industrie betroffen, aber da alle Wirtschaftsbereiche untereinander zusammenhängen – also auch Dienstleister abhängig sind vom Industriesektor, der Handel abhängig ist von der Kaufkraft der Mitarbeiter und so weiter – gibt es auch unter den Branchen eine verzweigte Abhängigkeit, so dass die hohen Kosten überall ziemlich ins Kontor geschlagen haben. Wie würden Sie die Stimmung unter den direkt wie indirekt betroffenen Firmen beschreiben? Das hängt vom Abhängigkeitsgrad der Geschäfte mit Russland ab und davon, wie energieintensiv sie sind und von der Auftragslage. Wir spüren zurzeit in der verarbeitenden Industrie einen Auftragsrückgang. Insgesamt spielen auch hier für alle Unternehmen unterschiedliche Dinge eine Rolle, Fachkräftemangel, Inflation, Energiekosten, steigende Personalkosten, um nur einige zu nennen. Besteht noch Hoffnung, die Geschäftsbeziehungen wieder aufnehmen zu können, oder haben sich die Unternehmen bereits umorientiert? Es wäre sträflich, wenn ein Unternehmen einfach wartet, dass sich die Lage normalisiert. Wenn ein Markt wegbricht, sucht man sich neue Märkte und versucht, im eigenen Unternehmen umzustrukturieren und sich auf die aktuelle Situation einzustellen. Und das wird genau so sein, wenn – was wir alle hoffen – der Krieg beendet ist und möglicherweise die Machtstrukturen in Russland sich verändert haben und das Land wieder in das Marktgeschehen eintritt. Dann sind die Firmen auch sofort in der Lage, den Markt wieder zu beliefern beziehungsweise von dort Produkte zu beziehen. Aber das ist noch Wunschdenken, fürchte ich. Auch der Konflikt zwischen dem Westen und China droht sich zuzuspitzen. Wie bewerten Sie beziehungsweise die heimische Wirtschaft die Situation? Es ist immer eine Frage des Zeitpunkts, aber das würde sicher alles, was jetzt mit dem Ukraine-Krieg gelaufen ist, massiv in den Schatten stellen, weil die wirtschaftlichen Verflechtungen mit China ungleich größer sind. Und wenn etwa Taiwan überfallen wird und damit wegbricht, fällt es auch als Lieferant für Chips und viele andere Vorprodukte aus, die bislang weltweit nicht kompensiert werden können. Das würde nicht nur für uns, sondern die komplette westliche Welt einen riesigen Einbruch im Wirtschaftsgeschehen bedeuten. Deshalb kommt es aus meiner Sicht jetzt darauf an, dass China ganz klar gemacht wird, dass es wesentlich mehr zu verlieren als zu gewinnen hat, wenn es sich Taiwan einverleiben wollte. Das würde sich sonst zu einer dramatischen Weltwirtschaftskrise entwickeln. Das Jahr 2023 ist noch relativ jung – wie lautet Ihre Prognose für den Kreis Paderborn? Mit dem Krieg und seinen Folgen müssen wir in diesem Jahr weiterhin umgehen. Wir müssen hoffen, dass sich insbesondere die Energiepreise einigermaßen stabilisieren, damit die deutsche Wirtschaft weiterhin wettbewerbsfähig bleibt. Ansonsten werden viele Schwierigkeiten auf uns zu kommen. Was stimmt Sie denn trotz dieser Umstände positiv für die Wirtschaft im Hochstift? Die Firmenlandschaft im Hochstift ist hochflexibel und hochanpassungsfähig und bislang auch mit vielen Krisen gut umgegangen. Das liegt unter anderem an der großen Diversität der Branchen und dem schnell agierenden inhabergeführten Mittelstand, so dass ich guter Hoffnung bin, dass wir in diesem Jahr mit einem blauen Auge davon kommen werden und sich die Wirtschaft einigermaßen stabilisiert.

Meistgelesen