"Das ist meine Mission": Transmann aus Paderborn startet auch weiterhin als Sprinterin

Paderborn. Im Filmklassiker Matrix muss Neo sich entscheiden. Nimmt er die blaue Pille und bleibt in seiner bekannten Welt? Oder nimmt er die rote Pille und befreit sich aus der Simulation? Sowohl Keanu Reeves als auch der Paderborner Neo Linus Kuß haben sich für die rote Pille entschieden. Diese Geschichte hat Kuß vor Augen, wenn er als Transmann von seiner Namenswahl spricht. Er ist Leistungssportler. Genauer gesagt Kurzstreckensprinter. "Aber ich starte weiterhin als Alina Kuß für den LC Paderborn", sagt er im Gespräch mit der "Neuen Westfälischen". Denn sollte er auf dem Weg seiner Transition, also der körperlichen Geschlechtsanpassung, Testosteron nehmen, gilt das als Doping. Dann muss Neo Kuß bei den Männern starten, wo er im Leistungssport "chancenlos wäre", erklärt er. Da der 26-Jährige aber den Leistungssport nicht aufgeben will, startet der Transmann Neo Kuß als Alina Kuß. Und er verschiebt die Behandlung mit Testosteron auf einen späteren Zeitpunkt in seinem Leben. "Irgendwann will ich das schon machen", sagt er. Die Effekte einer Behandlung mit Testosteron: Die Stimme wird tiefer, der Haar- und Bartwuchs nimmt zu, sogar das Fett am Körper kann sich umverteilen. Während der Corona-Pandemie Auf diese Effekte verzichtet Neo Kuß zunächst. Aber auch ohne die Hormonbehandlung hat er sein Äußeres während der Corona-Pandemie bereits deutlich geändert. Die Beinhaare sind lang, er trägt eine Kurzhaarfrisur und schminkt sein Gesicht männlicher. "Mit Make-Up kann man da schon einiges machen", sagt er. Viele hätten ihn bereits darauf angesprochen, ob er nicht schon mit der Testosteron-Behandlung gestartet sei, da er sich so verändert habe. "Aber ich denke, Ausstrahlung macht das Meiste aus. Ich fühle mich wie ein Mann", beschreibt er seine Veränderung und muss dabei breit lächeln. Doch die für ihn positive Verwandlung sorgt im Bereich des Leistungssports für Gerüchte. Während eine Testosteron-Behandlung für viele Transmenschen eine Chance ist, entzündet sie im Sport die Doping-Debatte. Das spürt Neo Kuß auch im Training und bei Wettkämpfen: "Mein Trainer Thomas Prange wurde schon von anderen angerufen und gefragt, ob ich nicht doch Testosteron nehme." Und auch bei einem Wettkampf im Sommer kam es zu einer für ihn schwierigen Situation. Dort wollte er seinen Startblock einstellen, als er darauf hingewiesen wurde, dass hier aber nun ausschließlich Frauen starten würden. Er musste die Situation aufklären und preisgeben, dass er als Frau startet. Das habe ihn Nerven gekostet Weinend zog er sich auf die Toilette zurück. "Das hat mich Nerven gekostet. Ich will ja als Mann wahrgenommen werden. Im Leistungssport ist das für mich aber aktuell nicht möglich", sagt er. Seine Mutter kam in der Situation zu ihm und bestärkte ihn, sich dem Wettkampf trotzdem zu stellen. Ein Eingriff, den er trotz seines Leistungssportes machen kann, ist die Mastektomie. Dabei wird das Brustgewebe entfernt. "Eigentlich nehmen viele Transmänner erst Testosteron und dann folgt die Mastektomie. Das muss ich in den Anträgen auf Kostenübernahme auch erklären", sagt er. Damit die Kosten für die Operation übernommen werden, muss Neo Kuß einiges vorlegen. Transsexuellen-Lebenslauf und Anschreiben Von dem Psychiater, den er seit 10 Monaten besucht, wird ein Gutachten geschrieben sowie ein Brief von dem Arzt, der ihn operieren soll. Zusätzlich muss er ein Anschreiben und einen sogenannten Transsexuellen-Lebenslauf verfassen. Das bewerbungsähnliche Verfahren kritisiert er: "Man muss sich nackt machen vor Leuten, die einen nicht kennen." Doch die Mastektomie bedeutet ihm viel: "Ich kann es kaum erwarten, mit einer männlichen Brust aufzuwachen." Nach knapp dreijähriger Pause nimmt Kuß seit dem Sommer wieder an Wettkämpfen teil. Aus persönlichen Gründen, darunter auch seine Transidentität, habe er diese Pause gebraucht, sagt er. Obwohl es Transmenschen im Leistungssport aus seiner Sicht sehr schwer gemacht wird, will er weiter starten. Er hofft, ein Vorbild für andere junge Transmenschen zu sein. Mit diesem Antrieb geht er nun ins Training: "Denn das ist meine Mission."

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