Paderborner Seenotretter: "Kann keinen Menschen im Meer ertrinken lassen"

Paderborn. Wenn andere Urlaub machen, ist Christian Cloer unterwegs auf hohe See, um Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren. Noch heute, mehr als drei Monate nach seinem letzten Einsatz auf dem Mittelmeer, treiben die Erinnerungen an die grauenhaften Erlebnisse der Geflüchteten dem Paderborner die Tränen in die Augen. Es ist ein Job, den einer machen muss, sagt Cloer. "Wenn nicht ich, wer dann?", fragt er. Cloer ist Mitglied bei der DLRG in Paderborn seit seiner Jugend und dort vor allem am Möhn- und Lippesee aktiv. "Irgendwann habe ich dann den Entschluss gefasst, mich auf einen Rettungseinsatz auf dem Mittelmeer zu bewerben", erzählt der Paderborner. Doch ausgerechnet seine erste Mission im Jahr 2019 scheitert, wie der Mitarbeiter der Paderborner Universität drei Jahre später erzählt. Es handelt sich um einen Einsatz auf der Seawatch 3, der im Juni 2019 für Schlagzeilen sorgte. Die damalige Kapitänin Carola Rackete rettete 53 aus Lybien stammende Flüchtlinge. Sie war nach wochenlangem Warten auf eine Genehmigung in der Nacht zum 29. Juni trotz eines Verbots durch italienische Behörden den Hafen der Insel Lampedusa angelaufen. Grund für Racketes Eingreifen war ein medizinischer Notfall an Board. "Ein paar Monate später, im September 2019, saßen wir immer noch am Hafen fest. Es ist die absolute Hölle, wenn du da wartest und nicht rausfahren darfst", erinnert sich Cloer, der zu diesem Zeitpunkt an Bord eingesetzt hätte werden sollen - doch dazu ist es nie gekommen. Bis Dezember hatte die sechsmonatige Blockade der italienischen Behörde angedauert, ehe das Schiff den Hafen von Licata auf Sizilien verlassen konnte. Immer noch kann Cloer nicht fassen, dass das Boot lange Zeit festgesetzt wurde: "Jeder Mensch hat das Recht auf einen sicheren Hafen", findet der Paderborner. Selbst wenn Flüchtlinge keine Berechtigung auf Asyl haben, müssen die Betroffenen an Land geholt - und der Sachstand geprüft werden: "Ich kann doch keinen Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen", sagt der Paderborner. Hoher Wellengang wird gefährlich Diese Fassungslosigeit und die Entschlossenheit, zu helfen, ist es auch, die den Paderborner antreibt, ein weiteres Mal auf hohe See zu fahren. Dieses Mal im September dieses Jahres, begibt Cloer sich mit der R42, einer kleinen gemeinnützige Organisation, die mit ihrem Segelschiff "Imara" Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer fährt, auf Mission. Drei Wochen dauert solch ein Einsatz mit Vor- und Nachbereitung insgesamt. Der Paderborner weiß, welche Voraussetzungen wichtig sind, um bei so einem Rettungseinsatz dabei zu sein: "Segelerfahrung ist wichtig, wenn man ein Boot steuern muss, genauso wie Erste-Hilfe-Kentnisse". Außerdem besitze er Funk-Lizenzen, die wichtig sind, um mit den Behörden zu kommunizieren und überhaupt erst Informationen zu den Booten der Geflüchteten zu bekommen. Auf Sizilien startet sein Einsatz im September. Dieses Mal wird er als Schiffsführer über ein Boot in Kenntnis gesetzt, das vor der Küste Tunesiens im Wasser treibt. An Bord des viel zu kleinen Boots sind 55 Menschen. "Allein zwei Tage hat die Anreise gedauert. Das waren über 100 Seemeilen", erinnert Cloer sich zurück. Doch auch dieses Mal gibt es Schwierigkeiten. "Weil der Wellengang so hoch war, konnten wir uns nicht mit dem Schlauchboot nähern", sagte Cloer. Er und seine Besatzung hätten versucht, die GPS-Koordinaten an die zuständige Behörde nach Malta weiterzuleiten, um ein größeres Schiff zur Hilfe zu holen. "Doch dort reagierte niemand", sagt Cloer. Zu diesem Zeitpunkt war es vier Uhr in der Früh. Eigene Sicherheit wichtig Weil Cloers eigenes Schiff gerade einmal 14 Meter maß, kann er die Geflüchteten an Bord nicht ohne Weiteres auf sein Schiff lassen. "Hätten wir das getan, wären wir selbst in Not gekommen", weiß er heute. Sein Job sei es, die Menschen zu beruhigen, ihnen Hilfe zuzusichern und sie mit Vorräten zu versorgen, bis Verstärkung vor Ort sei. Dennoch sei es trotz Warnung vorgekommen, dass Geflüchtete aus Verzweiflung ins Wasser gesprungen sind, um das Schiff zu erreichen. "Das war jedes Mal ein schlimmes Gefühl", sagte Cloer. Den Menschen könne er nur Rettungswesten zuwerfen. An jenem Tag im September kam erst acht Stunden später, um 12 Uhr mittags, Hilfe von einem größeren Schiff - allerdings nicht von der zuständigen Behörde aus Malta, sondern aus Lampedusa. "Acht Stunden waren wir bei den Geflüchteten und haben sie umkreist, damit sie wissen, dass wir da sind", sagt Christian Cloer. Trotz gefährlicher Situationen, wie einigen Rettungseinsätzen mit dem Schlauchboot in der Nacht auf hoher See, würde Cloer immer wieder an so einem Rettungseinsatz im Mittelmeer teilnehmen. "Ich erfülle die Voraussetzungen, die man dafür mitbringen muss. Und es muss ja jemand helfen", sagt der Paderborner und hofft darauf, dass er bei seinem nächsten Einsatz nicht auf taube Ohren stößt.

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