Armut in Paderborn: Seniorin verbringt "schlaflose Nächte wegen der Gasrechnung"

Paderborn. "Anderen geht es ja noch viel schlechter als mir." Dieser Satz fällt mehrfach im Gespräch mit Waltraut. Die Rentnerin aus Paderborn muss jeden Euro zweimal umdrehen und die aktuellen massiven Preissteigerungen machen sich in ihrem Portemonnaie deutlich bemerkbar. Dennoch hadert sie nicht mit ihrem Schicksal. Schlaflose Nächte habe sie trotzdem manchmal: "Dann liege ich wach und frage mich, wie das alles gut gehen soll." Waltraut ist 75 Jahre alt, "alleinstehend, mit Kater", wie sie sich selbst beschreibt. Ihren vollständigen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Knapp 1.000 Euro Rente bekommt sie im Monat, dazu Wohngeld - ein Zuschuss zur Miete. Sie wohnt in einer kleinen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Ein Auto hat sie nicht, fährt lieber Fahrrad als Bus, "weil das günstiger ist und fit hält". Die 75-Jährige ist es schon ihr Leben lang gewohnt, aufs Geld zu achten. Sie hat eine Ausbildung zur Verkäuferin gemacht, später in einer Bank gearbeitet. Zwei Kinder hat sie großgezogen - von ihrem Mann habe sie nach der Scheidung keine Unterstützung bekommen. Ihr Sparschwein ist ein Marmeladenglas im Küchenschrank Das Geld, das sie jetzt monatlich zur Verfügung hat, teilt sie sich wochenweise ein. Notiert genau, wie viel sie wofür ausgibt - das hat sie noch aus ihrer Zeit in der Bank drin. Wenn etwas übrig bleibt, steckt sie das Geld in ein Marmeladenglas im Küchenschrank - als Sparschwein - für schlechte Zeiten, wenn mal etwas kaputt geht oder eine Tierarztrechnung ins Haus flattert. In letzter Zeit allerdings schafft es Waltraut immer seltener, Geld zur Seite zu legen. Stattdessen muss sie öfter auf ihr Budget für die nächste Woche vorgreifen. Und am Ende des Monats? "Muss gehen", sagt sie, "und geht ja auch immer irgendwie". Am Kater sparen will sie nicht. Denn der ist mehr als nur ein Haustier. Wenn Waltraut abends allein in ihrer Wohnung sitzt, klettert das Tier zu ihr aufs Sofa und schläft auf ihrem Schoß. Vor kurzem mussten dem Kater zwei Zähne gezogen werden - 200 Euro, stand auf der Tierarztrechnung. "Da habe ich wirklich Panik bekommen", sagt die 75-Jährige. Denn Rücklagen - "einen Notgroschen" - hat sie nicht. "Ich habe wirklich Angst, vorm Geldautomaten zu stehen und es kommt kein Geld." Nur einmal habe sie bisher ihr Konto überzogen. Gerade ist ihre Tiefkühltruhe kaputt gegangen. Ersetzen kann sie die nicht. "Jetzt gibt es den Eintopf eben fünf Tage hintereinander." Früher hat sie zwei Tage davon gegessen - vorkochen ist günstiger - und den Rest eingefroren. Die gestiegenen Preise vor allem für Strom und Gas machen ihr Sorgen. In den Supermarkt geht sie nur mit Einkaufszettel, achtet auf Angebote. Fleisch gibt es nur noch selten. Die Heizung hat sie bisher nur einmal angemacht, als ihre Urenkelin zu Besuch war und fror. Unter Senioren wachsen die Sorgen Was sie sich wünscht? Mal wieder bummeln in den Geschäften in der Innenstadt oder im Restaurant essen gehen. Oder ins Schwimmbad! Aber was sie wirklich traurig macht, ist, dass sie ihren Enkeln und Urenkeln keine großen Weihnachtsgeschenke machen kann. Sie will ihnen wohl etwas basteln oder stricken. "Eigentlich bin ich ein zufriedener Mensch, aber manchmal mache ich mir so viele Gedanken und Sorgen, das haut mich um", sagt die Rentnerin. "Aber anderen geht es ja noch schlechter", sagt sie dann wieder. Unter Senioren wachsen die Sorgen, berichtet auch Claudia Richter von der Paderborner Senioreninitiative. "Ältere Menschen müssen einfach eher die Heizung aufdrehen, weil sie schneller frieren." Auch die Angst vor einem Strom-Blackout sei groß. Und natürlich lösen Krieg und ein russischer Machthaber, der mit Atombomben droht, bei Menschen, die die Nachkriegszeit und den Kalten Krieg miterlebt haben, noch einmal andere Zukunftsängste aus als bei Jüngeren. Immerhin sind jetzt Treffen wieder möglich, anders als im Corona-Lockdown. Soziale Kontakte pflegen, sich austauschen bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee - das genießt auch Waltraut, die regelmäßig das Seniorencafé der PSI im Riemekeviertel besucht. Ihre vielen Freundinnen - eine reparierte ihr kürzlich das Fahrrad - und ihre Familie, die sie unterstützen und auf die sie sich immer verlassen kann, stützen sie. Wenn der Monat sich dem Ende nähert und das Gedankenkarussell sich zu drehen beginnt. Lesen Sie auch aus der Serie "Armut in Paderborn": Interview: "Preissprünge führen zu extremen psychischen Situationen" Arm mit Mini-Job: "Die Verteilungskämpfe gehen schon los" Der Armut entfliehen: Teilzeitausbildung als letzte Chance für Alleinerziehende

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