"Mann ohne Muttersprache": Flüchtling aus Myanmar schreibt über sein Leben

Paderborn. "Hey - ich hab's geschafft!" Wie denn, was denn genau? Nun ja, wer würde sich nicht geehrt fühlen, wenn einen der damalige deutsche Außenminister und heutige Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, nach seiner Visitenkarte fragte. Rahman Jamal (56), geboren im Vielvölkerland Burma, das heute Myanmar heißt, und von daher schon äußerlich nicht der typische Ostwestfale, ist das passiert. Er freute sich jedenfalls sehr, hatte Steinmeier doch nach ihrer Begegnung im Rahmen eines illustren Empfangs nicht nur landsmännische Gemeinsamkeiten mit dem Paderborner festgestellt, sondern ihn als lebendes Beispiel für eine gelungene Integration von Migranten entdeckt. Rahman, Sohn indischstämmiger Burmesen und ab dem Alter von drei Jahren, also noch bevor er eine Muttersprache hätte entwickeln können, aufgewachsen zuerst in Bangladesch und dann in Pakistan, war tatsächlich in Deutschland angekommen. Der Vater war als Journalist vor der Militärdiktatur in Burma geflohen. Das Leben führte die Familie, Rahman war zehn Jahre alt, als Asylbewerber nach Schloß Neuhaus. Dort begann für den Jungen nach einer kurzen Episode in der englischsprachigen John-Buchan-School die Integration in der sechsten Klasse der Hauptschule - und das, ohne ein Wort Deutsch zu können. Es nützten ihm weder die Weltsprachen Hindi noch Urdu, und auch Englisch brachte ihm dafür nichts. Folgerichtig war die erste Note im entsprechenden Schulfach noch nicht einmal eine Sechs. Doch dann kam alles, wie man es sich kaum ausdenken könnte - bis hin zu einer viel beachteten Karriere über 30 Jahre in einer internationalen IT-Firma. "Der Mann ohne Muttersprache" Wieder zurück in Paderborn fasste der ehemalige Abiturient des Pelizaeus-Gymnasiums und Student der Elektrotechnik an der Universität Paderborn nun zahlreiche Episoden und Einsichten, Anekdoten und Begegnungen aus seinem nicht ganz so konventionellen Leben auf 380 Seiten in einem Buch zusammen. Das ist auf Anhieb auf großes Interesse gestoßen und steht nur vier Wochen nach seinem Erscheinen schon vor der zweiten Auflage. Es handelt auf reflektiert humorvolle Weise vom Aufwachsen eines Migranten zwischen Jugendfeuerwehr, Handball und Sternwarte, von Irritationen und Missverständnissen, vom Brückenbauen und Verstehen. Von allerlei Merkwürdigkeiten wie deutschem Brot und deutschen Bedenken. Vor allem aber handelt es vom Hunger auf Bildung und heißt nicht zufällig "Der Mann ohne Muttersprache". In der Anspielung auf die eigene Sprachohnmacht in der Fremde schwingt Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" mit - ein Hinweis auf das breite literarisch-philosophische Interesse des Ingenieurs, das dieser in seinem Berufsleben in der Welt der Technik dann aber oftmals vermisste. Und an diversen Stellen in seinem Buch thematisiert. Sein Credo: Ingenieure sollen nicht nur technisch denken. "Ohne Muttersprache" heißt für Rahman Jamal aber auch: Er muss zuweilen immer noch ganz anders nach den passenden Worten suchen als ein Muttersprachler - auch nach fast fünf Jahrzehnten in Deutschland. Für Ranga Yogeshwar "Bruder aus Indien" Rahman Jamal stellt seinen episodischen Kapiteln, die man gut je nach Gusto kreuz und quer lesen kann, bewusst Zitate berühmter Köpfe voran - eine Methode, auf kluge Gedanken gezielt hinzuweisen, die er zuvor schon in seinen Technik-Büchern für die Welt der Ingenieure angewandt hat. Die Themenpalette ist denn auch breit: Es geht um selbst erlebte sprachliche wie kulturelle Missverständnisse oder solche der Herkunft. Ist ja auch nicht einfach, wenn man als indisch aussehender Mensch auch in Deutschland auf Englisch angesprochen wird und erklären muss, warum man in nur fünf Stunden Autofahrt seine Familie besuchen war - und dafür nicht fünf Flugstunden brauchte. Nicht zuletzt die gewisse Ähnlichkeit mit dem TV-Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar führte immer wieder zu Momenten der Heiterkeit. Arbeitskollegen und ein Professor waren offenbar fest davon überzeugt, dass der damalige Münchner tagsüber in seinem Büro an der Isar werkelte und abends für "Quarks & Co." vor der Kamera stand. Auch der deutsche Astronaut Ulf Merbold zeigte sich auf dem falschen Fuß erwischt. Bis gar eines Tages der echte Ranga (aus Luxemburg) den ebenso echten Rahman (aus Paderborn) auf einer Bühne in Hannover scherzhaft dem verwirrten Publikum als seinen "Bruder aus Indien" vorstellte. Aus einer muslimischen Familie stammend, zuerst in einem buddhistischen Land und dann im katholischen Paderborn aufgewachsen, widmet Rahman Jamal am Ende seines Buches auch der Religion ihren Raum. Spiritualität und Achtsamkeit sind ihm wichtig - unbedeutend dagegen religiöse Etiketten. Er sucht das Verbindende, die Brücken. Dass er kein Schweinefleisch isst, ist eigentlich Nebensache und nur dann wichtig, wenn doch welches auf den Tisch kommt. Doch zum Glück denken auch Nonnen in solchen Fällen dann praktisch. Rahman Jamal, Der Mann ohne Muttersprache, Lektora, 13,90 Euro, ISBN: 978-3-95461-205-5

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