Zum Welt-Aids-Tag: "Bei HIV denkt keiner an die junge Frau von nebenan"

Paderborn/Bielefeld. Auf Johanna Verhovens Esstisch in ihrer Wohnung in Bielefeld-Eckardtsheim liegen Katzenleckerlis, an der Wand steht ein Bücherregal, das zur Hälfte mit Brettspielen gefüllt ist. Auf der gegenüberliegenden Seite sitzt Johanna Verhoven und schaut mit freundlich lächelnden Augen durch die schwarz umrandete Brille. Es ist ein Lächeln, dass in Zukunft viele Menschen wieder erkennen könnten, denn die 31-jährige &bdquo;Herzenspaderbornerin", wie sie sich selbst beschreibt, ist das Gesicht der Kampagne zum diesjährigen Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) hat sie sich vor acht Jahren infiziert. Aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Verhoven zwar in Verl im Kreis Gütersloh, und inzwischen lebt und arbeitet sie bei der Aidshilfe in Bielefeld, Paderborn ist aber irgendwie noch ihr zweites Zuhause, meint sie. Bei der Aidshilfe in Paderborn ist Verhoven seit 2019 auch Vorstandsvorsitzende. Dass sie öffentlich Gesicht der Kampagne wird, sei für sie eine logische Konsequenz aus ihrer Überzeugung gewesen. &bdquo;Bei HIV denkt meist keiner an die Mutter und Hausfrau, erst recht nicht an den heterosexuellen Mann oder eben die junge Frau von nebenan", betont sie. Immer noch würden mit HIV eher homosexuelle Männer, Sexarbeiterinnen oder Drogenabhängige in Verbindung gebracht. "Menschen mit HIV gibt es in allen Gesellschaftsschichten." Verhoven möchte mit ihrer Geschichte darauf aufmerksam machen, dass jeder von HIV betroffen sein kann. Und dass man dafür kein besonders wildes Sexualleben braucht. "Damit habe ich nicht gerechnet" &bdquo;Ich habe mich in einer monogamen Beziehung infiziert", berichtet sie. Als sie 2012 mit ihrem damaligen Freund auf den Philippinen war, wurde sie auf einmal ziemlich krank. Die örtlichen Ärzte diagnostizierten bei ihr das Dengue-Fieber. Doch zuhause in Paderborn wieder angekommen ergaben Untersuchungen beim Hausarzt, dass es das nicht gewesen sein konnte. Sie machte einen HIV-Test mit der festen Überzeugung, dass der bestimmt negativ sein würde. Dann kam das Ergebnis: positiv. &bdquo;Damit habe ich nicht gerechnet", sagt sie. Auch wenn sie selbst dank eines Praktikums bei der Aidshilfe gut informiert war, schockierte sie diese Diagnose zunächst. &bdquo;Ich war mit der Situation schon leicht überfordert." Dennoch: Irgendwie musste es ja weitergehen. Also stand sie auf und ging zur Uni, wo sie Soziale Arbeit studierte. &bdquo;Sonst wäre ja klar gewesen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt." &bdquo;Es hat dann noch ein halbes Jahr gedauert, bis ich meinem Umfeld davon erzählt habe", berichtet sie. Bis heute habe noch niemand blöd reagiert oder sie ausgegrenzt. Auch die Angst, keinen Partner zu finden, bewahrheitete sich nicht: Heute ist sie glücklich verheiratet und für ihren Mann Simon, selbst HIV-negativ, war ihre Infektion nie ein Problem. "Eine komplett andere Krankheit als vor 30 Jahren" Ausgegrenzt zu werden sei jedoch eine Erfahrung, die viele andere leider noch machten, sagt Verhoven. Ein Problem: Viele wüssten nicht, dass die Medikamente bei HIV inzwischen so gut sind, dass positiv getestete Menschen damit ganz normal und ohne oder mit geringen Nebenwirkungen leben können. &bdquo;Ich selbst habe keine Nebenwirkungen", berichtet sie. Eine Tablette nimmt sie am Tag. Das Virus ist unter der Nachweisgrenze und sie selbst dadurch nicht infektiös. &bdquo;Selbst wenn ich mich sehr anstrengen würde, könnte ich niemanden anstecken", betont sie. Das Risiko seien eher die, die ungetestet positiv sind und gar nicht wissen, dass sie das Virus in sich tragen. Genau darum sei es wichtig, zu wissen, dass wirklich jeder betroffen sein kann. Sie würde sich darum wünschen, dass auch beim Allgemeinmediziner häufiger das Thema angesprochen würde. &bdquo;Bei der Schwangerschaft wird ja inzwischen grundsätzlich ein HIV-Test angeboten", berichtet sie. Dabei würden auch immer wieder Infektionen entdeckt. Gerade bei Frauen komme die Diagnose oft sehr spät, da diese eher nicht damit rechnen, sich infiziert zu haben. Obwohl durch viele medizinische Fortschritte das HI-Virus eine &bdquo;komplett andere Krankheit ist als noch vor 30 Jahren", seien es aber gerade Ärzte, die den HIV-Positiven immer mit Vorurteilen begegneten. &bdquo;Man bekommt vielleicht keinen Termin etwa beim Zahnarzt oder nur den allerletzten Termin", berichtet Verhoven. &bdquo;Weil danach ja die ganze Praxis desinfiziert werden muss – wo ich doch hoffe, dass die das nach jedem Patienten machen." Auch Allgemeinmediziner hätten oftmals wenig Berührungspunkte, was zu Missverständnissen und Problemen führen könne. Verhoven will mit Berührungsängsten aufräumen Am Arbeitsplatz käme es ebenfalls immer wieder zu Diskriminierungen, erklärt Verhoven, die mit Berührungsängsten und Vorurteilen aufräumen möchte, wo sie es kann. Direkt nach ihrem Master in Angewandter Sexualwissenschaft an der Hochschule Merseburg ging sie schon in Schulklassen für die Aidshilfe. "Mit Jugendlichen über Sex sprechen sorgt bei vielen Leuten eher für Panik, mir macht das richtig Spaß." Eine Sache habe sich aber inzwischen etwas gebessert: &bdquo;Es wird inzwischen klarer zwischen HIV und Aids unterschieden, etwas, was mir persönlich auch sehr wichtig ist." Eine Infektion mit dem Virus bedeute eben nicht, dass der- oder diejenige Aids hat. Durch die modernen Medikamente könne ein Ausbruch von Aids, der akuten Immunerkrankung, die HIV verursacht, sehr lange bis grundsätzlich verhindert werden.

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