Fridays for Future im Interview: „Am Thema Klimaschutz kommt keiner mehr vorbei“

Vor fast einem Jahr hat Fridays for Future das erste Mal zu einer Demonstration in Paderborn aufgerufen. Hätten Sie sich damals ausgemalt, was folgen würde? Hanna Phillips: Nein, dass es so groß wird, dass in Paderborn teilweise 2.000 Menschen auf die Straße gehen – das hätten wir nicht erwartet. Und wir hätten auch nicht gedacht, dass wir das Ganze so lange machen müssen. Wenn Sie auf die vergangenen Monate zurückblicken: Was haben Sie verändert? Was haben Sie erreicht? Christopher Stange: Wir haben es geschafft, dass sich ganz viele junge Menschen Gedanken über Politik machen und über den Einfluss, den sie selbst auf Politik haben können. Fridays for Future hat eine politisierte Generation geschaffen. Ilja Nienaber: Und wir haben das Thema Klimaschutz nach Paderborn geholt. Ich glaube, das ist der größte Erfolg. ... das war auf jeden Fall immer wieder Diskussionsthema – in der Zeitung, auf nw.de, im Stadtrat, bei der Europawahl... Laetitia Wendt: Ja, wobei die Bilanz nach einem Jahr demonstrieren eher ernüchternd ist. Bisher haben wir dem Klima noch nichts Gutes getan: Der CO2-Ausstoß ist so hoch wie nie, Flugreisen sind auf einem Rekordhoch, SUV-Neuzulassungen ebenso. Aber das ist auch der Grund, warum wir nicht locker lassen. Hasskommentare im Internet - ein hoher Preis, den man zahlt Und das, obwohl Ihnen auch ziemlich viel Gegenwind entgegen schlägt. Vor allem im Internet gibt es regelmäßig böse Kommentare. Wie gehen Sie damit um? Wendt: Das ist weit weg, solange es um Greta Thunberg geht. Aber wenn jemand aus Paderborn zu einem Foto von mir schreibt: &bdquo;Diese hässliche Fratze kann ich nicht mehr sehen" – das ist schon krass und auch ein hoher Preis, den man zahlt. Nienaber: Man sich fühlt sich auf jeden Fall in der Öffentlichkeit beobachtet und gemaßregelt. Ich verstehe nicht, woher dieser Hass kommt. Wir sagen den Menschen ja nur: "Macht, was im Alltag möglich ist, und liebe Politiker: Hört auf die Wissenschaftler." Dass Sie für Ihr Konsumverhalten, zum Beispiel Urlaubsreisen mit dem Flugzeug, kritisiert werden, ist einer dieser Vorwürfe. Wie viel Verantwortung für den Klimaschutz hat der Einzelne und was ist Verantwortung der Politik? Wendt: Man muss unterscheiden zwischen Konsumkritik und Systemkritik. Ich finde, es macht Spaß, ein ökologisches Leben zu führen; das ist gesund und erdet mich. Aber es ist zu kurz gedacht zu sagen, wir verzichten jetzt alle auf Fleisch und dann ist die Welt in Ordnung. Wie meinen Sie das? Wendt: Unter den größten CO2-Emittenten sind vor allem Kohlekraftwerke und Industrieunternehmen. Wir können natürlich alle unseren Zero-Waste-Lifestyle leben. Aber solange diese großen Systeme bestehen bleiben, haben wir nichts gewonnen. "E-Autos sind nicht die Heilsbringer" Das Motto Ihrer Demonstrationen lautet: &bdquo;Wir streiken, bis ihr handelt". Jetzt haben wir ein Klimapaket und den Green Deal der EU-Kommission – reicht das? Stange: Beim Klimapaket wurde ja noch einmal nachgebessert, aber das reicht nicht aus, um den Temperaturanstieg tatsächlich zu begrenzen. Müller: Auch in Paderborn überarbeitet die Stadt jetzt ihr Klimakonzept. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht genug. Es geht Ihnen also nicht schnell genug? Stange: Zwar werden jetzt viele kleine Maßnahmen ergriffen, aber es müsste eigentlich viel größere Lösungen geben; zum Beispiel beim Thema ÖPNV. Es gibt ab nächstem Jahr Preissenkungen und nette Aktionen wie etwa samstags kostenlos fahren, aber da wäre ein großer Wurf notwendig. Nienaber: Viele der aktuellen Debatten hätten wir auch schon viel früher führen müssen, wie etwa beim Thema E-Autos. Jetzt müssten wir über alternative Antriebe sprechen, wie Wasserstoff. Denn E-Autos sind auch nicht die Heilsbringer, als die sie gerne angepriesen werden. "Klimaschutz müsste kreativer gehen" Das heißt, Klimaschutz muss Ihrer Ansicht nach schneller und konsequenter umgesetzt werden? Wendt: Und kreativer. Warum versucht man, das Dieselauto eins zu eins mit dem Elektroauto zu ersetzen? So wird es nicht funktionieren. Da fehlt es an Mut und Entschlossenheit von allen Seiten. Nienaber: Ich behaupte mal, der letzte mutige Schritt einer Bundesregierung war die Abschaltung der Atomkraftwerke nach Fukushima. Das zeigt, es geht – aber es muss offenbar immer erst eine Katastrophe passieren. Mit Blick aufs nächste Jahr: Wie geht es weiter? Stange: Bei Fridays for Future Deutschland machen sich gerade viele Menschen sehr viele Gedanken dazu. Hier in Paderborn wollen wir weiterhin in der Öffentlichkeit aktiv sein. Zu unserem Jahrestag am 7. Februar planen wir eine große Demonstration. Wendt: Wobei wir uns schon auch die Frage stellen, was noch passieren kann. Wir haben jetzt ein Jahr lang alles gegeben, wir haben Tausende mobilisiert. Und das wird scheinbar komplett ignoriert. Wir müssen uns fragen, wie wir unsere Aktionsformen gestalten können. Aber darauf haben wir aktuell selbst noch keine Antworten. "Das wird für uns ein langer Kampf" Was ist, wenn das Interesse der Öffentlichkeit irgendwann nachlässt? Wendt: Klar, das ist ein Problem. Das kann man ja auch verstehen – es gibt schöneres als sich kurz vor Weihnachten oder in den Ferien im Nieselregen auf den Domplatz zu stellen. Da muss man schauen, wie man die Menschen regelmäßig mobilisiert. Stange: Dieses Jahr war ein Kraftakt für viele Menschen bei Fridays for Future, auch hier in Paderborn. Politik macht nicht nichts, aber reagiert doch sehr langsam und es zeigt sich jetzt, dass das für uns ein langer Kampf wird. Bisher setzen Sie vor allem auf öffentlichkeitswirksame Aktionen. Wäre es eine Option, sich politisch stärker einzubringen, vielleicht sogar eine Partei zu gründen? Phillips: Eine Partei muss immer ein Gesamtpaket für unterschiedliche Themenbereiche wie Sozialpolitik oder Wirtschaft anbieten, das könnten wir gar nicht leisten. "Politik hat die Macht, die Zukunft zu gestalten" Müller: Die Frage ist auch, ob wir das wollen. Wir wollen, dass diejenigen, die sich bereit erklärt haben, politische Verantwortung zu übernehmen und Politik zu gestalten, das machen. Stange: Ich kann mir vorstellen, dass sich einzelne in Parteien engagieren. Es wird viele geben, die sich für Klimaschutz interessieren und merken, dass auf Demonstrationen gehen und sich vegan ernähren allein nicht ausreicht, sondern dass Politik die Macht hat, die Zukunft zu gestalten. Das wird auch mit Blick auf die Kommunalwahl im nächsten Jahr spannend. Stange: Ich denke, da wird am Thema Klimaschutz keine Partei vorbeikommen.

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