Kinder ohne Identität: Wenn Standesämter keine Geburtsurkunden ausstellen

Paderborn/Berlin. Die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet, allen Kindern, die in Deutschland geboren werden, eine Geburtsurkunde auszustellen. In der UN-Kinderrechtskonvention hat sich Deutschland verpflichtet, jedes Kind unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen. Doch der Praxis entspricht diese Verpflichtung nicht, denn je nach Wohnort verweigern Standesbeamte die Ausstellung einer Geburtsurkunde und machen Kinder so für die Behörden unsichtbar. In Paderborn verhandelt das Amtsgericht Paderborn am 15. Oktober über genau so einen Fall: Die Tochter von Christian Nkombou ist im Januar 2018 in Paderborn zur Welt gekommen, hat aber noch immer keine Geburtsurkunde. Die Folge: Kind und Eltern haben keinen Zugang zu staatlichen Leistungen wie Kindergeld. Betroffen sind vor allem Kinder von Flüchtlingen, wenn die Eltern ihre eigenen Identitäten nicht mit amtlichen Dokumenten nachweisen können. Immer wieder trifft es aber auch Kinder von deutschen Staatsbürgern, so wie im Fall von Christian Nkombou. Der 34-Jähriger kämpft seit fast zwei Jahren um eine Geburtsurkunde für seine Tochter, doch das Standesamt Paderborn verweigert eine Ausstellung, weil die Behörde an der Identität Nkombous zweifelt, da in dessen Herkunftsland Kamerun laut Auswärtigem Amt Dokumente wie Geburtsurkunden gefälscht werden. Nkombou ist jedoch bereits seit acht Jahren deutscher Staatsbürger, eine Überprüfung seiner Geburtsurkunde ist deshalb gar nicht nötig. Ob eine Geburtsurkunde ausgestellt wird, ist auch vom Wohnort abhängig Nkombous Anwältin Monika Ishar aus Bochum kennt solche Fälle: &bdquo;Es kommt häufiger vor, dass Kindern ihr Recht auf eine Geburtsurkunde verwehrt wird." Laut Ishar ist das häufig abhängig vom Wohnort, wie der Fall Nkombou zeigt. Seiner Tochter wird vom Standesamt Paderborn die Ausstellung einer Geburtsurkunde verwehrt, während seine anderen Kinder in Dortmund ohne Schwierigkeiten ihre Geburtsurkunden erhalten haben. Zudem hatte die Bezirksregierung Gießen bereits die Geburtsurkunde Nkombous für die Einbürgerung geprüft und keine Zweifel an der Echtheit festgestellt. &bdquo;Standesbeamte haben einen Ermessensspielraum, der ist aber nicht unendlich. Daher geht es bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht Paderborn auch um die Frage, ob im Fall Nkombou der Ermessensspielraum noch ordnungsgemäß war." Die Antidiskriminierungsstelle des Caritasverbandes Paderborn bewertet das Vorgehen in Paderborn als strukturell diskriminierend. &bdquo;Das Standesamt darf rechtlich so vorgehen, muss es aber nicht, wie das Vorgehen anderer Behörden zeigt. Daher besteht ein gewisses Maß an Willkür", so Mitarbeiter Matthias Zimoch. &bdquo;Um diese Willkür zu beenden, muss bundesweit Verbindlichkeit geschaffen werden." Zimoch blickt dem Prozess gespannt entgegen: &bdquo;Ein erster Schritt wäre, wenn die erste Überprüfung der Geburtsurkunde von Christian Nkombou in Gießen Rechtsbindung entfaltet und für alle anderen Standesämter bindend ist." Deutschland wurde bereits zwei Mal von der UN gerügt Für das Vorgehen einiger Standesämter ist Deutschland bereits zwei Mal offiziell vor dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gerügt worden, weil Kinder ohne Geburtsurkunde bleiben. Dabei können Standesämter bei Eltern ohne Papiere oder bei Zweifeln an der Identität statt der Geburtsurkunde zunächst einen Auszug aus dem Geburtenregister aushändigen. Viele Behörden erkennen dieses Dokument an und Leistungen können beantragt werden, doch nicht alle Standesämter informieren über diese Möglichkeit und stellen lediglich eine Bescheinigung über die Zurückstellung der Beurkundung aus. Damit lassen sich staatliche Leistungen wie das Kindergeld jedoch in vielen Fällen nicht beantragen. Oft gibt es stattdessen das Angebot vom Standesamt eine Geburtsurkunde mit einschränkenden Hinweisen in Bezug auf die Identität des Vaters oder der Mutter zu beurkunden, so wie im Fall Paderborn, obwohl Identität und Abstammung feststehen. Ärzte warnen vor mangelnder Vorsorge, wenn die Geburtsurkunde fehlt Problematisch sind fehlende Geburtsurkunden auch in der Gesundheitsvorsorge. Die empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen müssen Neugeborene nach Angaben des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in einem gewissen Zeitfenster erhalten, damit die Kosten von der Krankenversicherung übernommen wird. Werden Toleranzgrenze überschritten, wird die Untersuchung den Eltern als individuelle Gesundheitsleistung in Rechnung gestellt. Insbesondere bei Eltern, die den Lebensunterhalt ihrer Familie durch Sozialleistungen bestreiten, besteht laut Verband dann die Gefahr, dass sie mangels finanzieller Mittel die Untersuchungen auslassen. Für Präsident Thomas Fischbach ein unhaltbarer Zustand: &bdquo;Wir können nicht hinnehmen, dass Kinder in unserem Land medizinisch nicht versorgt werden, weil sie für Ämter und Kassen unsichtbar sind."

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