Wie eine Paderbornerin als Transfrau zu sich selbst fand

Paderborn. Transidenten Kindern und Jugendlichen wird oft früh bewusst, dass das Geschlecht, mit dem sie geboren wurden, nicht das ist, dem sie sich zugehörig empfinden. Manche fühlen sich regelrecht fremd im eigenen Körper. Nicole Schröder kam mit männlichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt und wuchs in einem Dorf in Schleswig-Holstein als Junge auf. "Mit zwölf Jahren war mir klar, dass ich nie ein Mann werden will", sagt die Wahl-Paderbornerin. Als sie mit 37 Jahren ihren Vornamen ändert und einen Job sucht, erntet sie vor allem eins: Absagen. "Schwuler", stänkern die Jungs Bereits in der Grundschule wird das Kind von Mitschülern gemobbt. "Ich war schon immer ein androgyner Typ, der weibliche und männliche Merkmale vereint, ein femininer Junge, später mit wenig Bartwuchs und Körperbehaarung. Beim Sport war ich nicht so leistungsfähig, machte lieber Deutsch, Englisch und Philosophie", erzählt die heute 42-Jährige. "Schwuler", stänkern die Jungs. Der Heranwachsende bleibt ein Außenseiter. Bis Schröder ihre Transidentität erkennt und den Schritt wagt, gesellschaftliche Normen zu durchbrechen, vergehen mehr als zwei Jahrzehnte. Schließlich verlangt die Gesellschaft, damals noch mehr als heute, sich eindeutig geschlechtlich zuzuordnen. Er leistet Wehrdienst, verpflichtet sich sogar als Ausbilder bei der Bundeswehr, wo seine Sozialkompetenz gelobt wird. In der Freizeit aber zieht der Unteroffizier schon mal Frauenkleider an. Irgendwann beginnt das Mobbing auch bei der Truppe. Als Schröder der Cogiati-Test, der mit gezielten Fragen Hinweise auf die Geschlechtsidentität gibt, Transsexualität bescheinigt, wird er entlassen. Autotuning und lackierte Fingernägel "Trotzdem habe ich mich weiter ,normal' gegeben". Schröder, der zwei sehr männliche Brüder hat, tuned Autos, fährt Rennen, trainiert sich maskuline Verhaltensweisen an, heiratet eine Frau, zeugt Kinder. Er kauft aber auch Kleider und Perücken, schminkt sich, lackiert die Fingernägel. "Ich habe das unter dem Gothic-Mantel versteckt." Nach zwei gescheiterten Beziehungen zieht Schröder schließlich mit 33 Jahren einen Schlussstrich. "Ich bin kein Mann, ich bin eine Frau. Und kann nicht länger den starken Mann für eine Frau spielen." Schröder lässt die Haare wachsen, nimmt weibliche Hormone ein, die Gesichtszüge weicher machen, die Haut sensibler, Hoden und Penis schrumpfen lassen, Fettverteilung und Geruchssinn verändern. "Selbst Bier schmeckt anders". Dass Brüste wachsen ist für ihn nicht das Wichtigste, vielmehr das Blockieren des männlichen Hormons Testosteron. Er weiht seine Familie ein, die ihn stützt. Mit 37 Jahren ändert er den Personenstand, aus dem Paderborner wird endlich die Paderbornerin Nicole. Die Geschlechtsteile will sie sich aber nicht operieren lassen. "Ich habe Angst, dass es schiefgehen könnte." Männer- oder Frauendusche? Während sie sich in Paderborn akzeptiert fühlt, heute so offen und selbstbewusst agiert wie nicht viele Transgender, ergeben sich im Alltag durchaus mal Probleme. Meist dann, wenn Nacktheit gefragt ist. In der Sauna zum Beispiel. Oder in Duschräumen, beispielsweise in Fitnessstudios. "Mit Männern will ich nicht duschen. Nutze ich die Frauen-Dusche, könnten die sich belästigt fühlen", schildert Nicole Schröder. Als die gelernte Fachinformatikerin durch Krankheit und Jobverlust eine längere Zeit arbeitslos ist, bewirbt sie, die als Mann ins Berufsleben gestartet war, sich nun als Frau auf freie Stellen. Immer wieder stößt sie auf Ablehnung und kassiert lauter Absagen. "Die schlimmste Reaktion kam von einer Software-Firma aus Köln", blickt sie zurück. "Sie haben eine sehr tiefe Stimme. Sind Sie Transgender? Dann habe ich keine weiteren Fragen", so ein Mann beim Telefoninterview. "Frauen sind selten in der Branche und die Firmen wollen Frauen, weil sie gut fürs Betriebsklima sind. Aber sie wollen ,echte' Frauen", konstatiert die 42-Jährige. Dank des neuen Teilhabechancengesetzes und der Unterstützung des hiesigen Jobcenters hat Nicole Schröder inzwischen aber mit Viafly den perfekten Arbeitgeber für sich gefunden. Die junge Paderborner Firma entwickelt für die zivile Überwachung Drohnensysteme, die Gelände eigenständig abfliegen und beispielsweise Brände identifizieren können. Diese künstliche Intelligenz muss ihnen beigebracht, also programmiert werden, und dafür sorgt mit Leidenschaft nun auch Nicole Schröder.

Meistgelesen