Herrlich-schauriger Totentanz im Paderborner Theater

Paderborn. Schon der Einzug zu Beginn deutet an, dass es eine echte Freakshow wird, so wie Darsteller und Band herein marschieren. Geboten werden abgründige Attraktionen. Tod, Wahnsinn, Entsetzen: Darum spannt sich &bdquo;The Black Rider – The Casting of the Magic Bullets". Das Theater Paderborn präsentiert mit der ersten Premiere der neuen Spielzeit einen tollen Totentanz. Damit feuert es mit dem Musikstück von Regisseur Robert Wilson, Komponist Tom Waits und Autor William S. Burroughs zuerst auf das Publikum in der Region. Bevor &bdquo;Black Rider" im kommenden Mai auch am Theater Bielefeld gezeigt wird. Um Tod, Wahn und Entsetzen geht es – und um Liebe und Verführung. Als Schauplatz der Triebe dient ein abgewracktes Festzelt mit einem knorrigen Baumstumpf als Symbol für die Düsternis des Waldes, in den die Herren der Schöpfung zur Jagd ziehen. Und gejagt wird eine Menge in dem Stück frei nach der Oper &bdquo;Der Freischütz", das Ingmar Otto mit vielen Anspielungen an Mythen, Brauchtum und Kultur inszeniert. Kugeln, die treffen, auch wenn man am Gewehr eine Unke ist Was macht einer, der nicht schießen kann, aber muss. Er braucht Kugeln, die treffen, auch wenn man am Gewehr eine komplette Unke ist – wie Wilhelm (Carsten Faseler). Da er das Käthchen (Claudia Sutter) liebt und in eine Jäger-Dynastie einheiraten will, lässt er sich auf einen Pakt ein. Der mysteriöse Stelzfuß (Daniel Minetti) liefert Munition, die nur treffen kann. Was jedoch nur bis zum Schuss auf einen Schützenfest-Adler gut läuft. Jeder Schuss muss ein Treffer sein. Sonst ist Mann kein richtiger Mann. Das Jagen gilt dem Wild wie dem Weib. Also wird nicht nur geballert, sondern auch gefummelt und gezecht. Denn genauso ist der Drogen-Schuss gemeint. Was nicht überrascht, ist der Text doch von Beatnik-Autor William S. Burroughs, der beim Nachstellen der Wilhelm-Tell-Apfelszene betrunken seine Frau erschoss. &bdquo;Das Gewehr ist unsere Butter, die Kugel unser Brot", heißt es. Ein Beispiel für die derbe Sprache, die eine Menge rhetorische Schätzchen birgt, die vom platten Reim und spielerischen Umstellungen ein und der selben Wörter philosophische und poetische Tiefe erreichen. Auf Witz folgt Weisheit. Dass die meisten Lieder auf Englisch gesungen werden und auch der gesprochene Teil wiederholt vom Deutschen ins Englische springt, ist kein Problem. Selbst wenn einzelne Sätze unverstanden bleiben, bleibt der rote Faden klar. Zombiehafte Bewegungen in Zeitlupe Regisseur Otto hat wunderbare Ideen und findet mit Choreographin Moira Fetterman ausdrucksstarke Bilder. Wie die Fokussierung auf eine Person, indem sie sich einen Rahmen um den Kopf hält. Alptraumhafte Sequenzen werden durch zombiehafte Bewegungen in Zeitlupentempo und effektvoller Beleuchtung zu regelrechten Horror-Visionen. Als kleine Lichter und geradezu poetisch fliegen die titelgebenden Kugeln magisch durch die Luft. Wie Glühwürmchen, die einen Partner suchen. Das Schauermärchen hat immer wieder Momente, die dem düster-makaberen Charakter völlig entgegen laufen. Kitschig wie die rührendste Musical-Nummer ist beispielsweise ein Duett von Käthchen und Wilhelm, ein Liebesbekenntnis im ollen Autoscooter: &bdquo;The Briar And The Rose" erinnert zwar an die Schöne und das Biest, ist aber zugleich fantastisch und prächtig gesungen. Unfassbar vielseitig ist die Musik von Tom Waits, mit der die komplett in Schwarz gekleidete Bühnenband das Geschehen voran treibt: neben Balladen sind dies Balkan-Polka, Blues, sumpfige Südstaaten-Klänge oder Swing. Vielversprechender Start für neue Schauspieler Daniel Minetti und Claudia Sutter, bisher nur als Gäste zu sehen, haben einen vielversprechenden Start als neue, feste Ensemblemitglieder. Teuflisch gut gibt Minetti den Hinkebein-Verführer Stelzfuß. Sutter singt und spielt großartig unschuldig-naiv und puppenhaft. Carsten Faseler kostet den Part als aufstiegsgeiler Wilhelm genüsslich aus. Alexander Wilß und Kirsten Potthoff als Käthchens Eltern sind ein prächtiger, böser, weißer Mann und eine White-Trash-Mutti. Auch Ogün Derendeli und Niklas Hugendick, die mehrere Rollen spielen, dürfen ordentlich obszön sein. Die Figuren, vorwiegend geschmackloses, fieses Pack, scheinen einem Schauerroman der Romantik oder Tim-Burton-Filmen entnommen. Käthchens Vater hat eine Wirrwarr-Frisur wie Michael Keaton in &bdquo;Beetlejuice". Am Ende zieht Käthchen rote Klackerschuhe an – wie Dorothy in &bdquo;Der Zauberer von Oz". So rot wie das am Ende poetisch als Geschenkband fließende Blut. Vom Publikum gab es für den Volltreffer zum Start der neuen Spielzeit langen Applaus.

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