Überall in Paderborn tickt noch das Erbe des zweiten Weltkriegs

Paderborn. Auch 74 Jahre nach seinem Ende bringt sich der Zweite Weltkrieg in Paderborn immer wieder in Erinnerung: Dann nämlich, wenn Fliegerbomben, Granaten oder sonstige Munition gefunden wird und entschärft werden muss. Doch je länger die explosiven Reste im Erdreich schlummern, desto gefährlicher werden sie. Mit konkreten Folgen für den Umgang. Udo Olschewski, der seit 13 Jahren als Chef des Paderborner Ordnungsamtes inzwischen 22 Entschärfungsaktionen koordiniert hat, sagt: "Wir werden in Zukunft umfangreicher evakuieren müssen und in dem Zusammenhang nicht darum herum kommen, auch rigoroser auf die Bevölkerung zuzugehen." Deutlich abnehmendes Verständnis für die Evakuierungen Tatsächlich habe man seitens der Stadt gerade im Zusammenhang mit der letzten Entschärfungsaktion am 30. Juni in direkter Nachbarschaft der Kinder- und Frauenklinik an der Husener Straße ein deutlich abnehmendes Verständnis für die dabei nötige Evakuierung registriert. Olschewski: "Wir hatten jede Menge böse Anrufe, und eine direkte Nachbarin blieb sogar deutlich sichtbar hinter dem geöffneten Fenster in ihrer Wohnung und ließ nur irgendwann die Rollläden herunter." Möglicherweise reagierten viele ablehnend bis gleichgültig, weil sie noch gut die große Evakuierungsaktion vom 8. April 2018 in Erinnerung hatten. Damals war ebenfalls in der Südstadt eine 1,8 Tonnen schwere Bombe gefunden worden. Das hatte in der größten Evakuierungsaktion in Paderborn seit dem Zweiten Weltkrieg 26.000 Paderbornerinnen und Paderborner für einen Sonntag aus ihren Wohnungen vertrieben. Mit der Zeit verändern sich die Materialien in den Zündern Etliche Entschärfungsmaßnahmen habe man in den letzten Jahren aber auch ohne große Öffentlichkeit vornehmen können, so Olschewski. Das sei jedoch so nicht mehr möglich, nachdem es in den letzten Jahren bundesweit dann doch zu überraschenden Explosionen gekommen sei. Karl-Heinz Clemens, dessen tägliches Geschäft beim Kampfmittelräumdienst aus der Entschärfung von Blindgängern besteht, weiß, woran das liegt: "Mit den Jahrzehnten verändern sich die Materialien in den Zündern, so dass tatsächlich die Gefahr besteht, dass die Sprengkörper schon durch leichte Erschütterungen explodieren, etwa durch eine Rüttelplatte in der Nähe." Je nach örtlicher Situation werde man in Zukunft auch noch großräumiger evakuieren müssen, so Olschewski. Derzeit gilt: Ein Meter Sicherheitsabstand pro Kilogramm Sprengstoff. Entsprechend wurde die Fundstelle an der Frauenklinik für die 250-Kilo-Bombe im Umkreis von 250 Metern geräumt. Olschewski: "Das können dann auch mal 350 Meter sein." In anderen Bundesländern gälten längst weitere Evakuierungsgrenzen. Mit Resten aus dem Zweiten Weltkrieg sei theoretisch fast überall in der Kernstadt zu rechnen, so Olschweski. Selbst im Neubaugebiet Springbach Höfe weit im Osten habe man jüngst eine Tellermine aus einem alten Munitionslager sprengen müssen. Immer neues Fotomaterial Die Fundstelle an der Frauenklinik war deshalb ins Blickfeld der Entschärfer geraten, weil inzwischen immer wieder neues Fotomaterial aus der Zeit direkt nach den Bombenabwürfen frei gegeben wird. Dieses wurde von den alliierten Streitkräften damals zur Auswertung selbst angefertigt und steht nun dem Kampfmittelräumdienst Arnsberg, der auch für Ostwestfalen-Lippe zuständig ist, als Quelle zur Verfügung. Routinemäßig wird es ausgewertet, sobald bei der Stadt Paderborn ein Bauantrag für ein bestimmtes Grundstück gestellt wird. Immer neues Fotomaterial bedeute aber auch, so Clemens, der meist die Paderborner Bomben entschärft, weil er in Elsen wohnt: "Wir werden noch auf Jahrzehnte zu tun haben." "Aufpassen sollte aber auch, wer zum Beispiel bei der Garten- oder Feldarbeit auf verdächtige Gegenstände stößt", sagt Udo Olschewski. Er rät: "Bitte sofort die Arbeit einstellen und das Ordnungsamt anrufen. Wir kümmern uns darum und alarmieren den Räumdienst." Kosten würden deshalb für die Anrufer nicht entstehen. Die Frage habe der Rat nach der teuren Evakuierungsaktion vom April 2018 im Sinne der Betroffenen geklärt. Möglicherweise Funde unter dem Bahnhofsgebäude? Auf der konkreten Verdachtsliste des Ordnungsamtes stehen unterdessen im Stadtgebiet derzeit noch einige Orte, die in absehbarer Zeit untersucht werden sollen, sagte Olschewski. Auch das Umfeld der Brücke über die Eisenbahn an der Bahnhofstraße müsse man mit dem neuen Fotomaterial nun nochmals unter die Lupe nehmen, bevor dort demnächst gebaut wird. Ebenfalls befürchtet man noch brisante Funde, wenn das Bahnhofsgebäude abgebrochen wird. Das dortige Umfeld sei zwar nach dem Umbau der Bahnhofstraße in dem Bereich wohl sauber, der Bereich direkt unter dem Bahnhof aber noch ungeklärt. Mit besonderem Schrecken erinnert sich Udo Olschewski denn auch an seine Begegnung mit einer nur 50 Kilogramm schweren Bombe, die beim Straßenbau direkt vor dem Gebäude der Bundespolizei neben dem Bahnhof ausgebaggert wurde. Olschewski: "Als ich kam, lag sie noch ganz oben auf einem Haufen Lehm und kullerte dann vor meinen Augen direkt hinter die Absperrung an der Bahnhofstraße. Mein Gott, was hätte da passieren können!"

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