Paderborn

Der Bezwinger der Weltmeere: Paderborner Extremschwimmer im Portrait

Ocean’s Seven: André Wiersig trägt sich am Mittwoch in das Goldene Buch der Stadt Paderborn ein. Während seiner Mission musste er aber nicht nur gegen die Kälte ankämpfen

„60 Prozent sind Kopfsache": Paderborner Extremschwimmer André Wiersig. | © Dennis Daletzki

Kristina Grube
19.06.2019 | 19.08.2021, 15:50

Paderborn. „Da musst du sofort wieder raus", erinnert sich André Wiersig an seinen Gedanken, als er zum ersten Mal versuchte, in eiskaltem Wasser zu schwimmen. An einem Februartag auf Ibiza, bei einer Wassertemperatur von gerade einmal 14 Grad. „Ich konnte gar nicht fassen, wie kalt das ist", sagt Wiersig. Immerhin: Bis zum Hals habe er es ins Wasser geschafft, doch die Kälte habe ihn so eingeschnürt, dass er nicht habe atmen können.

An diesem Tag scheiterte sein Vorhaben, zu einer Boje in gerade einmal 300 Metern Entfernung zu schwimmen. Am Mittwoch wird André Wiersig in Paderborn für seinen überragenden Erfolg als Langstreckenschwimmer im offenen Meer geehrt. Der Paderborner ist der erste Deutsche und weltweit der 16. Mensch, der die „Ocean’s Seven" durchschwommen hat.

Es begann mit kaltem Duschen

Das Erlebnis auf Ibiza setzte den Impuls. Zurück zu Hause in Paderborn begann sein Training unter der Dusche. Ein Jahr lang habe Wiersig kalt geduscht, angefangen mit zunächst 20 Sekunden unter kaltem Wasser. Später kam zudem eine Eistonne zum Einsatz, um sich mental und körperlich auf die Kälte einzustellen. Er trainierte in der Paderborner Schwimmoper, dem Rolandsbad oder auch in Schottland – dort schwamm er acht Stunden bei 8,8 Grad.

Fragt man den 47-Jährigen nach der Gefahr bei dem Unterfangen, reagiert er gelassen: „Ach, das geht alles. Es geht eher darum, seine Komfortzone zu verlassen." Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Zwei Mal kam auch Wiersig in eine brenzliche Situation, in der er „weggesiecht" sei. „Man bekommt den Übergang nicht mehr mit, wenn man dabei ist, zu verunfallen", sagt der zweifache Familienvater und gibt zu, dass das unvernünftig war.

Schmerzhafte Begegnungen im Wasser

Dazu kamen einige schmerzhafte Begegnungen mit giftigen Meeresbewohnern und einer Europalette, die ihm am Kopf eine Platzwunde zufügte. Während seines Langstreckenschwimmens entwickelte der heutige Meeresbotschafter der Deutschen Meeresstiftung eine besondere Beziehung zum Ozean, für dessen Schutz er sich einsetzt. „Als Schwimmer ist man im Meer ein kleines Nichts und man ist übersensibel für Berührungen", erklärt er.

Als ihn eines Nachts eine Plastiktüte am Kopf berührt, habe er fast eine „Herzattacke" bekommen. „So sehr kann man sich an Land gar nicht erschrecken." Mit der außerordentlich giftigen portugiesischen Gallere machte Wiersig rund 12 mal Bekanntschaft. „Von dem Gift hatte ich erhöhte Leberwerte und war fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt", sagt er. Für den Notfall hatten seine Begleiter eine Cortison-Spritze von Wiersigs Arzt mit an Bord. Dass sich diese Meeresbewohner so stark im Meer vermehren können, liege am Menschen, der ihre natürlichen Fressfeinde wegfische.

"Ich musste aufpassen, mich nicht zu verlieren"

Aller Widrigkeiten zum Trotz bezwang Wiersig die sieben Meerengen und die insgesamt 202,4 Kilometer im Meer innerhalb von gerade einmal sieben Jahren. „60 Prozent sind dabei Kopfsache, 40 Prozent sind körperliche Arbeit", erklärt er. Er sehe sich darum weder als Extremschwimmer, noch als Sportler.

Doch seine mentale Fokussierung wirkte sich auch auf das Familienleben aus. „Ich habe viel genommen und wenig zurückgegeben", sagt Wiersig. Auch wenn er körperlich bei der Familie war – gedanklich sei er oft beim Meer gewesen. „Was mir meine Frau Beate da ermöglicht hat, kann man nicht zurückgeben.". Auch habe er aufpassen müssen, sich dabei nicht zu verlieren.

„Zuhause und Familie ist einfach das Wichtigste und das habe ich zwischendurch mal vergessen", erklärt Wiersig. Auf einem Foto von seinem Begleiter Dennis Daletzki sieht man den Ehering an seiner vom Wasser aufgequollenen Hand. Diesen habe er nie abgelegt. Aber mit einem Tape abgeklebt. „Das Funkeln des Ringes hätte unter Umständen große Tiere anlocken können", erklärt Wiersig.

Die Sehnsucht ist wieder da

Über seine Erlebnisse schreibt der Langstreckenschwimmer derzeit ein Buch. „Nachts allein im Ozean" wird es heißen und im Oktober erscheinen. So extreme Schwimmprojekte hat er für die Zukunft nicht mehr geplant. So ganz ohne das Schwimmen kann er aber auch nicht. „Die Sehnsucht ist schon wieder da. Im Sommer werde er gemeinsam mit der Familie ans Mittelmeer fahren.

INFORMATION


Diese Meerengen hat André Wiersig bezwungen:

September 2014: English Channel (33,2 Kilometer) von England nach Frankreich in ca. 8 Stunden.

Oktober 2015: Kaiwi Channel (45 Kilometer) von Molokai nach Oahu in ca. 10 Stunden.

August 2016: North Channel (35 Kilometer) Irland nach Schottland in ca. 18 Stunden.

Juli 2017: Catalina Channel (32,3 Kilometer) von Santa Catalina Island nach Mainland in ca. 12 Stunden.

Juli 2018: Tsugaro Strait (19,5 Kilometer) von Honshu nach Hokkaido in ca. 10 Stunden.

Mai 2019: Cook Strait (23 Kilometer) von South Island nach North Island in ca. 8 Stunden.

Juni 2019: Strait of Gibraltar (14,4 Kilometer) von Europa nach Afrika in ca. 4 Stunden.

Quelle: https://db.marathonswimmers.org/p/andre-wiersig/