Paderborn

Theater Paderborn zeigt beängstigende Inszenierung von "Mutter Courage und ihre Kinder"

Zeitlose Chronik über Brutalität, Gräueltaten, Pragmatismus und Überlebensinstinkt

27.11.2017 | 27.11.2017, 14:04

Paderborn. Mit dem Krieg lässt sich gute Geschäfte machen. Aber um welchen Preis? Mit "Mutter Courage und ihre Kinder" (Bertolt Brecht) rollte am Samstag eine Inszenierung über die Bühne des Theaters, die aktueller nicht hätte sein können. Dabei vermeidet Regisseur Malte Kreutzfeldt jede aufgesetzte Modernisierung, sondern legt den Stoff frei und erzählt stringent mit starken Bildern eine zeitlose Kriegschronik.

Der Dreißigjährige Krieg und die heutigen Bilder des Schreckens: Vergewaltigungen, Erschießungen, Vermummung, Kindersoldaten, uneinsichtige Fronten, Geldmacherei, Flucht und Elend. Begleitet wird die aufwühlende Handlung über zweieinhalb Stunden von der atmosphärisch dichten Musik von Paul Dessau, einfühlsam gespielt von einer Combo aus Piano, Kontrabass, Schlagzeug und Klarinette/Saxofon.

"Was noch nicht gestorben ist, das macht sich auf die Socken": Einzig ein Flügel steht auf großer Bühne, als Schauspielerin Eva Brunner als Mutter Courage im Pelzmantel ihr hohes Lied vom Krieg anstimmt, an den sie glaubt und dem sie ihr Wohlsein verdankt. Dann fällt erst einmal der eiserne Vorhang, wenn Feldwebel (David Lukowczyk) und Kriegswerber symbolisch im Regen stehen und Kriegsmoral anmahnen. Wenig später treffen sie auf Mutter Courage, die nun mit ihren drei Kindern im qualmenden Cadillac dem Krieg hinterher reist. Die Karre wird Ort wagemutiger Stands beim scheinbaren Vergnügungsausflug.

Bizarre Kriegsjunkies, mit denen aber keinesfalls zu spaßen ist. So stellen sie sich als geschlossene Front gegen die Kriegswerber und, in Unterhosen rangelnd (mutig: Tim Tölke als Eilif), dann mit gezückter Waffe, die Übermacht der Familie unter Beweis. Doch diese fällt zusehends dem Krieg und der Courage zum Opfer. Eine Mutter verrät ihre Kinder wie Despoten ihr eigenes Volk.

Blutiges Opfer

Zuerst zieht es den wagemutigen Eilif zur Armee. Dann rollt der Cadillac gefährlich auf das Publikum zu. Hier beginnt das Spiel der stummen Kattrin (herausragend: Gesa Köhler), die sich auf der Kühlerhaube an den verbliebenen, naiven Schweizer Kas schmiegt, die wenig später mit Händen und Füßen versucht vor dem Unsagbaren zu warnen und die selber ein blutiges Opfer von Vergewaltigern wird. Auf roten Stöckelschuhen mit Teddy im Arm avanciert sie zum Sinnbild allen Missbrauchs an der Menschlichkeit.

Der Schweizerkas (Ogün Derendeli) pendelt zwischen glaubwürdig fröhlicher Vertrauensseligkeit und Todesangst, so wie der Feldprediger (präsent, auch gesanglich: Max Rohland) zwischen Kutte, Fahne und Anbiederung an die Courage. Regisseur Kreutzfeldt zeigt mit schonungsloser Brutalität dieses enge Beieinanderliegen zwischen scheinbarer Waffenruhe und Zerstörung. Eben noch ein lebendiger Hase im Zauberhut, Aberglaube, dann blutüberströmte, wimmernde Menschen, Lieder nur noch am Boden ins Mikro gehaucht, Schattenspiele, Klangcollagen und gewaltiger Feuerspuk strömen auf die Zuschauer ein. Aber noch schlimmer, diese plötzliche Stille vor dem Todesschuss.

Kalter Pragmatismus

Beispielsweise wenn der auf der Stirn gezeichnete Schweizerkas mit seinem Henker abgeht. Nächster Wechsel wieder ins Skurrile, wenn die einstige Hure Yvette (Kerstin Potthof) ihren im Rollstuhl dahin siechenden Obristen (Willi Hagemeier) um geschäftlichen Rat fragt. Und durch all diese Schlachten führt die Mutter ihre Geschäftspraktiken fort. Eva Brunner als Courage verkörpert souverän und stark diesen kalten Pragmatismus, aber auch den trotzigen Überlebensinstinkt. Nur hin und wieder durchstreift eine Regung ihr Gemüt.

Atemberaubend der Schluss, wenn die stumme Kattrin trommelnd die Stadt aufzuschrecken versucht und, von einem Kindersoldaten getötet, in den weißen Vorhang stürzt. Mutter Courage stolpert der verlorenen Schlacht hinterher. Ein Stück über die Grausamkeit des Krieges und die Eigennützigkeit des Menschen. Von allen Beteiligtenbeängstigend demonstriert.

Information

Termine 
und Tickets

Weitere Termine sind am 1., 15. und 23. Dezember um 19.30 Uhr, am 3. Dezember um 18 Uhr sowie am 31. Dezember um 15.30 und 19.30 Uhr.

Karten: Tel. (05251) 2 88 11 00
E-Mail: kartenservice@theater-paderborn.de.