Paderborn

Rundgang mit einem hör- und sehbehinderten Paderborner

Lautsprecher-Durchsagen sind sinnlos, Anzeigentafeln nicht lesbar - wer nicht mehr gut hören oder sehen kann, stößt auf viele Hindernisse.

Nicht ohne Lesehilfen unterwegs: Siegfried Hartmann ist von Geburt an seh- und hörbehindert. Er wünscht sich, dass mehr behinderte Menschen in der Gesellschaft offener und aktiver wären. Den Rundgang begleitete Christina Vetter. | © Christine Warnecke

Christine Warnecke
23.11.2016 | 23.11.2016, 12:24

Paderborn. Das Käppi trägt er zum Schutz, um nicht gegen Türen oder Straßenschilder zu laufen. Seine Tasche ist voll mit Hilfsmitteln zum Sehen: Brille, Lupe, Taschenlampe. Was fast anmutet wie Ausrüstung für eine kleine Abenteuertour, sind Siegfried Hartmanns alltägliche Begleiter durch die Stadt. Der 53-Jährige ist von Geburt an seh- und hörbehindert, trägt ein starkes Hörgerät. Er hat sich nach eigener Aussage damit abgefunden, aber einige Dinge bleiben für ihn, wie auch für viele andere behinderte Menschen, schwierig.

Im Bahnhof

Im Bahnhof etwa hängt die große Anzeige über der Treppe zu den Gleisen. Siegfried Hartmann kann sie erst lesen, wenn er die Stufen hinuntergeht – steht dann aber vielen Leuten im Weg. Manche rempeln ihn sogar an, zeigen kein Verständnis. „Man sieht mir die Behinderung ja auch nicht an, darum hält man mich erst mal für einen Rüpel", sagt Hartmann. Aber Rücksicht sollte man doch allen Menschen prinzipiell entgegenbringen.

In der Bahnhofshalle orientiert er sich an den weißen, geriffelten Platten im Boden, den taktilen Feldern. Blinde können ihnen mit ihrem Blindenstock folgen, für Hartmann sind sie ebenfalls hilfsreich. Die gelben WC-Hinweisschilder an den Wänden hat er dagegen noch nie bemerkt. „Sie müssten so groß sein wie das gelbe ,M’ daneben", lacht er mit Blick auf die Werbung einer Restaurant-Kette. Den Bahnhof kennt Hartmann mittlerweile und kommt gut zurecht. „Meistens habe ich mir im Internet zu Hause schon meinen Zug und das Gleis rausgesucht. Schwierig wird es, wenn sich das kurzfristig ändert", so der gebürtige Paderborner. Lautsprecherdurchsagen bekommt er schlicht nicht mit. Oft fragt er dann andere Wartende, wenn sich Verzögerungen ergeben. Einmal fand er sich aber auch schon im falschen Zug wieder, weil das Gleis geändert worden war.

Auf dem Bahnhofsvorplatz

Beim Verlassen des Bahnhofs entsteht die nächste Schwierigkeit: die Türen haben keine Automatik und sind zudem schwer. „Die mit der Hand aufzudrücken ist auch für Eltern mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer problematisch", findet Hartmann.

Handy-Hilfe: Früher konnte Siegfried Hartmann die Busanzeige noch lesen, heute vergrößert er sie sich mit dem Smartphone. - © Christine Warnecke
Handy-Hilfe: Früher konnte Siegfried Hartmann die Busanzeige noch lesen, heute vergrößert er sie sich mit dem Smartphone. | © Christine Warnecke

Draußen zieht der gelernte Feinmechaniker eine Taschenlampe aus seinem Beutel. „Halten Sie sich mal die Augen zu, ganz fest. Das ist das, was ich hier nachts sehe", erklärt er. Der Bahnhofsvorplatz sei nur spärlich beleuchtet. Die Taschenlampe hat Hartmann für solche Fälle immer dabei. Es ist eine, wie sie auch die Polizei benutzt – „teuer, aber wirksam". Manche Straßen betritt er aber im Dunkeln überhaupt nicht. Auf den taktilen Feldern parken besonders morgens oft auch Zulieferer und erschweren für blinde Menschen die Fortbewegung.

Richtung Innenstadt

Siegfried Hartmann geht langsam die Straße zum Westerntor hinunter, um nicht zu stolpern oder irgendwo anzuecken. Ein Radfahrer, der auf der falschen Straßenseite fährt, kann noch ausweichen – die Klingel hat Hartmann nicht gehört. „Auf diese Art habe ich auch schon den ein oder anderen Unfall gehabt. Wenn die Radler kein Licht an haben, sehe ich sie auch noch schlechter."

So bekommen auch Taube und Sehbehinderte die Grünphase mit. Ältere Anlage haben diese Funktionen nicht. - © Christine Warnecke
So bekommen auch Taube und Sehbehinderte die Grünphase mit. Ältere Anlage haben diese Funktionen nicht. | © Christine Warnecke

An der Kreuzung geht Hartmann zielstrebig auf den gelben Drück-Knopf der Ampel zu. „Es gibt gute und schlechte Ampeln", erklärt er. Gute sind die neueren Typs: sie haben eine blinkende Anzeige „Signal kommt" und ein vibrierendes Feld auf der Unterseite des Knopfes – Blinde und Taube wissen so, wann die Ampel grün zeigt.

In der Fußgängerzone möchte Hartmann einen Kaffee trinken. Selbstbedienungsläden sind ihm dabei ein Graus. „Ich kann die Tastatur an den Automaten nicht erkennen und müsste beim Personal fragen. Einmal wollte ich Kuchen für mich und meine Begleiterin aussuchen. Allein das hat 20 oder 30 Minuten gedauert", berichtet er.

Großanzeige: Mit dem mobilen Lesegerät kann Siegfried Hartmann auch diese Speisekarte lesen. - © Christine Warnecke
Großanzeige: Mit dem mobilen Lesegerät kann Siegfried Hartmann auch diese Speisekarte lesen. | © Christine Warnecke

Draußen wird es langsam dunkel, die Weihnachtsbeleuchtung kommt immer besser zur Geltung. Siegfried Hartmann freut sich auf die Adventszeit, „das macht es noch mal heller. Und meinen Geschmackssinn habe ich zum Glück noch – für den Glühwein", lacht er.

Nur nicht unterbuttern lassen

Sein Wunsch ist, dass sich mehr behinderte Menschen aktiv zu Wort melden mögen. In Bielefeld etwa gebe es zwei Gruppen, die zum Beispiel sportliche Aktivitäten wie Klettern organisieren. In Recklinghausen gibt es den Landesverband der Taubblinden, dessen erster Vorsitzender Siegfried Hartmann ist. Er würde auch gern in Paderborn eine Gruppe für Taubblinde aufbauen, "aber viele hier wollen nicht raus an die Öffentlichkeit. Das ist natürlich ihre Sache, aber ich will mich nicht mehr verstecken", so der Feinmechaniker.