Paderborn. "Ein Aquana ist oben am Rathaus", ruft Jovan Cupic in die Runde. Wenig später machen sich mehrere Jugendliche, bewaffnet mit ihren Smartphones, vom Paderquellgebiet aus auf den Weg zu dem historischen Gebäude. Aquana ist ein besonders seltenes Monster im Smartphonespiel "Pokemon Go", dass seit Juli für Handys erhältlich ist und seitdem millionenfach heruntergeladen wurde. Ziel des Spiels ist es, beim Herumlaufen virtuelle Monster auf dem Handy einzufangen.
Das Paderquellgebiet ist bei den Spielern besonders beliebt. "Hier gibt es ziemlich viele Pokémons", erklärt Simon Toppmöller, einer von zeitweise einigen hundert Jugendlichen, die vor allem abends an der Pader sitzen, um Pokémons zu sammeln: "Außerdem sind hier mehrere Pokéstops." An diesen Orten können Bälle gesammelt werden, mit denen die Pokémons später virtuell gefangen werden. "Zwei bis drei Stunden spiele ich jeden Tag", erzählt der Student.
Auch die Universität Paderborn ist für Pokémonjäger spannend. "Im richtigen Hörsaal kann man mehrere Pokéstops gleichzeitig mitnehmen", berichtet Paul Matthes, der wegen des Spiels schon 128 Kilometer durch Paderborn gelaufen ist. Der Azubi Julian Huneke, den die Jugendlichen am Rathaus treffen, nutzt jede Mittagspause zum Spielen: "Dann komme ich immer ins Paderquellgebiet, um Wasserpokémon zu sammeln."
Die meisten jungen Leute kennen Pokémon als Gameboy- oder Kartenspiel aus den 90er Jahren - quasi aus ihrer Kindheit. "Früher wollte jeder ein Pokémontrainer sein. Da sind wir draußen rumgezogen und haben so getan, als würden wir Pokémon fangen. Mit ,Pokemon Go? wird dieser Traum wahr", sagt Arthur, der nicht mit vollem Namen in der Zeitung erscheinen will, weil ihm das Spiel peinlich ist.
Jovan Cupic entdeckt mit dem Spiel obendrein Sehenswürdigkeiten. Schließlich erscheint an jedem Pokéstop ein Foto des Ortes auf dem Handydisplay: "Dadurch lerne ich die Denkmäler und Kirchen in der Umgebung kennen."
Diese Hoffnung hat auch Ägidius Engel, Pressesprecher des Erzbistums Paderborn: "Vielleicht schauen die Jugendlichen von ihrem Smartphone ja mal hoch und sehen unsere Kirchen." Im Paderborner Dom gibt es, anders als im Kölner Dom, aber keine Pokéstops, sagt Engel. Kritisch sieht der Pressesprecher die Monsterjagd auf Friedhöfen, wo die Totenruhe in Gefahr gerate. Allein auf dem Westfriedhof gibt es 13 Pokéstops und eine Arena, in der die Spieler mit gesammelten Pokémons gegen andere Spieler kämpfen können.
Auch das Schloss im Ortsteil Schloss Neuhaus und der Schlossgarten sind ein Paradies für Pokémon-Jäger. "Wir haben uns erst gewundert, warum immer Jugendliche auf der Schlossbrücke stehen", erklärt Bärbel Brassert von der Schlosspark- und Lippeseegesellschaft. Veranstaltungsleiter Christian Stork hat sich die Smartphone-App irgendwann selbst heruntergeladen. Sieben Pokéstops und eine Arena im Schloss ziehen die Spieler an, hat er herausgefunden. "Die älteren Kollegen sehen das kritisch, ich finde es gut. Dann sitzen die Jugendlichen wenigstens nicht zu Hause ?rum." Pokémon-Touren, wie für einige Sehenswürdigkeiten inzwischen angeboten, sind im Schloss aber nicht geplant.
Für Aufregung hat das Spiel auch bei den britischen Streitkräften gesorgt. So verfasste der Wachdienst im Juni eine Meldung, dass mehrere Jugendliche mit ihren Smartphones am Kaserneneingang militärische Anlagen fotografieren würden, wie Pressesprecherin Martina Hollmann erklärt. Das Interesse der Jugendlichen galt wohl aber dem Pokéstop am Eingang der Kaserne und nicht dem Militär. Auf dem Truppenübungsplatz selbst wurde noch kein Pokémonjäger aufgegriffen. "Das wäre extrem gefährlich", so Hollmann: "Wenn Schießübungen stattfinden, besteht Lebensgefahr." Doch laut Pokémon-Landkarten im Internet gibt es dort weder Monster noch Poké-stops.
Verärgert sind viele Jugendliche über die gestiegenen Preise für sogenannte Powerbanks, mobile Zusatzakkus, die das Laden des Handys unterwegs ermöglichen. Die Pressestelle von Media Markt und Saturn bestätigte eine Preiserhöhung auf NW-Anfrage nicht. Die Leiterin des Paderborner Saturn-Marktes Tina Vöcking sagt aber: "Wir merken hier eine deutlich höhere Nachfrage."
Obwohl viele Jugendliche allein auf ihr Handy starren, fördere das Spiel soziale Kontakte, erklärt Jovan Cupic: Um in einer Arena erfolgreich zu sein, müsse man mit anderen zusammenspielen. Dadurch lerne man neue Leute kennen. Sogar mit Senioren auf Pokemonjagd sei er schon ins Gespräch gekommen.