Paderborn

Paderborner Antigone-Aufführung richtet den Blick auf den Bürgerkrieg in Syrien

Antike Tragödie in neuem Gewand

Gesichter hinter Masken: Ohne Mimik sind diese Personen endpersonifiziert, sind ausgestellte Rollenträger ohne Individualität. | © Christoph Meinschäfer

09.05.2016 | 09.05.2016, 12:45

Paderborn. Staatskalkül und Machtinteresse trifft auf fundamentalistischen Irrsinn. Das Ergebnis: ein entseeltes Blutvergießen. "Antigone" von Sophokles ging am Samstag in einer stark "sezierten" Fassung in einer Stunde über die Bühne des Theaters Paderborn.

In der Inszenierung von Katharina Kreuzhage/Nikolaos Boitsos ging es vor allem um eins: um die überdeutliche Herausstellung der Bezüge zwischen dem antiken Stoff und der aktuellen, hoffnungslos-zerfahrenen Bürgerkriegssituation und Spaltung in Syrien.

Auf einer Gaze groß eingefangen: die zerstörten Städte Syriens, stellvertretend mag es sich um Aleppo handeln. Ein bedrückender Moment, der nahe geht. Und gleichzeitig auch "neugierig" macht auf die Rückführung heutigen Mordens auf die Antike. Auf den gerne bemühten Urkonflikt der Menschheit? Welche Gesetze gilt es zu befolgen, den von Menschen oder von Göttern gemachten? Der durch einen gegenseitigen Brudermord an die Staatsmacht geschwemmte König Kreon scheitert im Stück an der radikalen Antigone - und sie an ihm. Doch halt. Letzteren Umkehrschluss lässt die drastische Schwarz-Weiß-Malerei im Maskengewand schon nicht zu. Denn nicht nur der Chor - das Volk Theben, Fähnchen im Wind - ist mit der spielerischen Vermummung gegeißelt, ebenso sind es die Schauspieler. Antigone (Anne Bontemps) wird in der Inszenierung platt zur Islamistin degradiert. Die bricht mit dem weltlichen Erlass des Herrschers und bestattet ihren toten Bruder. Doch was urtümlich einem unverrückbaren, menschlichen Bedürfnis entsprang, wird in der Inszenierung zum Symbol plakativen heutigen Religionseifers gewertet.

Antigone geht ohne Wanken und Zaudern - wie im schlechten Film - in den "Märtyrertod". Die Zweifel an der "großen Tat" (bei Sophokles: "gehst unter wie ein großer Gott"), die Angst der "Heldin" bei lebendigem Leib begraben zu werden, ihr Hadern mit dem Chor, sind da vorsorglich rausgestrichen. Ismene (Maria Thomas), die schüchterne Schwester ist ein ängstlich "Ding" und kann Antigone bei ihrem Gang nicht folgen - auch wenn sie der "Frevlerin" im Nachhinein beizustehen gewillt ist. David Lukowczyk versucht als Staatsmann Kreon noch eine zurückgenommene Spielweise, was ihn jedoch - "Maske sei Dank" - in seinem weltlichen Auftreten blass und eher machtlos erscheinen lässt. Zumindest aber gelingt ihm ein Wankeln und doppelsinniges Gebaren. Haimon (Stephan Weigelin) bleibt ein jämmerlicher Spross; erstaunlich, dass er sich aus Liebe umzubringen getraut. Aber die Textvorlage gibt es her, die vielen Tode: Antigone erhängt sich, Hämon verfehlt Kreon und ersticht sich dann selbst und auch Kreons Frau Eurydike wählt den Selbstmord. Das Geschehen bleibt ungesehen, bleibt Text.

Text! Der auf leerer Bühne leider häufig nicht zu verstehen ist. Die Masken und die auch noch teils technisch defekten Mikro-Ports hinter der Gesichtsstarre sind eine Qual - auch für die Zuschauer. Des Weiteren fragt sich: Ist die Besetzung des Chors mit Laien die Konsequenz künstlerischer Personaleinsparung? Oder ist der Chor - dessen alte ausgefeilte Kunstsprache so schwierig ist - in seiner Bedeutsamkeit einfach verloren gegangen. Markus Schultz als Chorführer und Wächter-Clown bringt zumindest körperliche Agilität hinein, sprachlich füllt er die Rolle hingegen nicht aus.

Ohne Mimik sind diese Personen allemal endpersonifiziert, sind ausgestellte Rollenträger ohne Individualität. Auch wenn die heutigen Kriege wie bei Antigone auf historische Verfehlungen mit zurückzuführen sind - sind diese ganz und gar komplex. Die Inszenierung wirkt übergestülpt und wie ein angestrengter Versuch, der heutigen Orientierungslosigkeit Herr zu werden, anstatt diese auf der Bühne zuzulassen.

Weitere Aufführungen: 14., 19., 20., 27., 28. Mai und 16., 24. Juni, 2.,7.,9. Juli um jeweils 19.30, 5. Juni um 18 Uhr. Theaterkasse unter Tel. (0 52 51) 2 88 11 00.