Lichtenau

Lichtenau sucht nach dem dörflichen Charakter

Integriertes Entwicklungskonzept: Auch Lichtenau möchte aus dem Fördertopf schöpfen. Bei der Auftaktveranstaltung wurden dafür jetzt erste Schritte eingeleitet

Wollen den dörflichen Charakter hinterfragen: (v. l.) Nicolai Sieber von der Arbeitsgruppe Stadt, Bürgermeister Josef Hartmann und Dr. Jürgen Schewe von MSP-Impuls Projekt. | © Anja Ebner

09.04.2017 | 09.04.2017, 15:00
Handlungsbedarf: Das Haus Hillebrand neben dem Lichtenauer Rathaus – einige Jahre mit einem Schlecker-Markt belegt und vorübergehend für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt. - © Marc Köppelmann
Handlungsbedarf: Das Haus Hillebrand neben dem Lichtenauer Rathaus – einige Jahre mit einem Schlecker-Markt belegt und vorübergehend für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt. | © Marc Köppelmann

Lichtenau. Mit dem Slogan „15 Dörfer eine Stadt" markiert die Stadt Lichtenau schon seit einigen Jahren, dass es neben der Kernstadt Lichtenau auch noch vierzehn weitere Protagonisten gibt, nämlich die umliegenden Orte. Diese Akteure nun unter einen Hut zu bekommen, war das Ziel der Auftaktveranstaltung im Rahmen der Erarbeitung des Integrierten kommunalen Entwicklungskonzepts (IKEK) im Technologiezentrum Lichtenau.

„Dieses Konzept ist die Voraussetzung, um Fördermittel vom Land, Bund und der EU zu bekommen", so Bürgermeister Josef Hartmann. Ziel des IKEK ist es, eine kommunale Gesamtstrategie zu entwickeln, in welche die einzelnen Gemeinden einer Kommune eingebunden, aber nicht allein Akteure sind.

„Jede Kommune muss sich qualifizieren, um in den Genuss von Fördermitteln zu kommen", so Jürgen Schewe von MSP Impulsprojekt aus Kassel. Gemeinsam mit Nicolai Sieber vom Planungsbüro Arbeitsgruppe Stadt ist Schewe Koordinator bei der Erarbeitung des Konzeptes. Die Zusammenarbeit mit einem Planungsbüro ist in den Förderrichtlinien festgeschrieben und wird mit 75 Prozent gefördert.

Qualität der Förderanträge muss gut sein

„Jede Kommune in NRW steht vor der gleichen Aufgabe, wie sie jetzt, wenn sie Geld haben möchte. Die Qualität der Förderanträge muss gut sein, um zu überzeugen", erläuterte Schewe den etwa achtzig anwesenden Vertretern aus Politik und Vereinsleben und reagierte damit auch auf vereinzelt geäußerten Unmut über die Sinnhaftigkeit dieser Konzepterarbeitung.

Kommentar der Redaktion
Neue Namen, gleiches Ziel
Der Blick von außen ist wichtig. Der Blick von außen sollte professionell sein. Der Blick von außen ist nicht umsonst. Schon gar nicht, wenn am Ende ein professionelles Konzept entstehen soll, um überhaupt im Wust der zu erwartenden IKEK-Anträge wahrgenommen zu werden.
Qualität wird bemessen in der heutigen Zeit, auch Lebensqualität.
Ist diese Lebensqualität gemindert, so empfinde man dieses selten als monetären Mangel, sondern als Verlust des Wohlgefühls. So klingen Probleme im ländlichen Bereich auch weniger nach Millionen, als nach dem Verlust der beschaulichen dörflichen Gemütlichkeit.
Da werden das Sterben der Kneipen genannt, das Fehlen von neuen Vereinsmitgliedern und der Leerstand von Häusern, die schon immer zum Dorfbild gehörten, nun aber langsam verfallen, wie die Illusion der Dorfgemeinschaft selbst.
Die Sinnhaftigkeit der Erarbeitung solcher Konzepte darf ohne Zweifel hinterfragt werden. Gleichzeitig muss aber auch die Frage gestattet sein, wovon lebte denn dieses vergangene Gefühl einer dörflichen Gemeinschaft? Eben von dem Miteinander und dem gemeinsamen Angehen von Problemen.
Dörfer aus dem Nichts aufzubauen, ist heute nicht mehr gefordert, vielmehr diese zu erhalten, erhalten durch das Miteinander.
Aus der Dorfversammlung sind jetzt Workshops geworden, in denen man durch Brainstorming gemeinsam Ideen austauscht.
Neue Namen, gleiches Ziel.

Damit aber etwas in Bewegung geraten kann, müssten Ideen gesammelt werden und diese Ideen sollten aus den Gemeinden selber kommen. Auch das ein Kriterium des IKEK.

Um an diese Ideen, die sich in vier Bereiche „Unser Dorf", „Kinder- und Familie", „Senioren und Soziales" und „Wirtschaft und Energie" aufteilen, auch mit Leben zu füllen, werden in den nächsten Monaten in Form von Dorfbegehungen und Dorfwerkstätten Probleme, aber auch Vorteile der einzelnen Dörfern zusammengetragen.

„Sie werden uns in den nächsten Monaten nicht los", verkündete Schewe scherzhaft und meinte damit die unterschiedlichen Aktionen, die bis zum ersten Workshop Mitte Juni geplant sind. Ziel ist es, den dörflichen Charakter zu stärken.

Den genauen zeitlichen Ablauf stellte Sieber vor. Beginnend mit einer Onlinebefragung, die auf der Homepage der Stadt Lichtenau zu finden ist, werden anschließend in allen fünfzehn Orten Durchgänge stattfinden, die etwa 17 Uhr beginnen und an denen alle Bewohner teilnehmen können.

Danach werden Dorfwerkstätten an maximal drei Tagen durchgeführt, um die ersten gesammelten Ergebnisse aus den Durchgängen und der Onlinebefragung gemeinsam mit den Bewohnern zu diskutieren und weiterzuentwickeln.

Eine erste Befragung der Anwesenden danach, wo denn der Schuh drücke, förderte bekannte Probleme zu Tage: schlechte Nahverkehrsanbindung zum Beispiel in Herbram und Blankenrode, erhöhtes Verkehrsaufkommen und damit eine gefährliche Straßensituation im Kernort Lichtenau und Henglarn, Imageaufbesserung für kleinere Orte, wie etwa Ebbinghausen oder auch die Wiederbelebung des Tourismus in Herbram-Wald.

Der drohende oder bereits existierende Leerstand in den Ortskernen, das zum Teil nicht gut ausgebaute Breitbandnetz und die Schwierigkeiten der Vereine, neue Mitglieder zu finden, wurde einhellig als Problem genannt.

„Die stabilen Bevölkerungszahlen in der gesamten Stadt Lichtenau sind für NRW außergewöhnlich gut", stellte Schewe eines der positiven Merkmale heraus, darauf könne man aufbauen. Eine aktive Gestaltung und Beteiligung der Bewohner sei wichtig, auch wenn klar sei, dass mit solchen Projekten und der damit verbundenen Arbeit Erwartungshaltungen geweckt würden, die nicht alle erfüllt werden könnten.

„Chance, sich kennenzulernen und zusammenzuhalten"

„Wir werden aber gemeinsam mit ihnen versuchen, das Beste daraus zu machen", versprach Schewe. „Wir brauchen beide Seiten für dieses Konzept, die Mitarbeit des Planungsbüros und die Bürger", ergänzte Jörg Altemeier, allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters.

„Uns ist allen klar, dass die Arbeit an diesem Konzept auch viel ehrenamtliches Engagement bedeutet. Aber dieses ist auch eine Chance, sich kennenzulernen und zusammenzuhalten. So etwas kann nicht mit Geld allein beziffert werden. Die Fördergelder sind da und wir werden auch daran kommen", betonte Wolfgang Scholle, Ortsvorsteher aus Lichtenau, und setzte damit der Kritik, dass man solche Konzepte schon mehrfach erarbeitet habe, etwas entgegen.

„Auch wenn das so ist, bedeutet es, dass sich seit der letzten Erarbeitung vor fünf Jahren die Strukturen schon wieder verändert haben. Man kann und muss nun anders an die Sache herangehen", stellte Martina Wolf-Sedlatschek aus Ebbinghausen fest.