Erzwungene Sexarbeit: Der Angeklagte aus Delbrück bricht im Paderborner Gericht sein Schweigen

Delbrück. Nicht selten können sich in Strafverfahren Angeklagte erst dann dazu durchringen, etwas zu den erhobenen Vorwürfen zu sagen, wenn sie den Menschen gehört haben, dem sie Unrecht angetan haben sollen. So ist es auch im Fall von Mario B. (Namen geändert), der laut Anklage der Paderborner Staatsanwaltschaft fast drei Jahre lang seine damalige Freundin gegen ihren Willen zu Sexarbeit gedrängt haben soll. Wie berichtet, hat der Delbrücker zu diesen Vorwürfen geschwiegen und vor gut zwei Wochen erst einmal genau zugehört, als Chiara H. auf dem Zeugenstuhl vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts die gemeinsame Zeit Revue passieren ließ. Die 22 Jahre alte Hessin beschrieb detailliert, wie sie Mario B. 2020 kennen und lieben gelernt hatte, wie sie sich auf Anregung des acht Jahre älteren Mannes mit erotischen Fotos auf Internetseiten als Sexarbeiterin anbot und fortan an den verschiedensten Ort für ihn anschaffen ging – sehr ungern und im guten Glauben, der ungeliebte Job sei nur für den Übergang. Ihren Verdienst übergab Chiara H. stets dem Angeklagten, während dieser selbst keinen müden Euro zum gemeinsamen Lebensunterhalt beisteuerte. Der Angeklagte behauptet: Sexarbeit sei ihre eigene Entscheidung gewesen &bdquo;Das war teilweise richtig“, sagt Mario B. am zweiten Verhandlungstag zu der Aussage seiner Ex. Doch ein umfassendes Geständnis mag der 30-Jährige nicht ablegen. Irgendwann sei die Idee entstanden, &bdquo;in der Erotikbranche Geld zu verdienen“, sagt er und behauptet, ihm sei dieser Bereich zuvor völlig unbekannt gewesen. &bdquo;Wenn du das nicht machen willst, finden wir eine andere Lösung“, will der Delbrücker seiner Freundin immer wieder gesagt haben. Doch die sei unbeirrt weiterhin als Sexarbeiterin tätig gewesen. &bdquo;Das war ihre eigene Entscheidung.“ Ihren Verdienst habe ihm Chiara H. bewusst anvertraut. Er habe das Geld &bdquo;verwalten“ sollen, sagt Mario B. und beteuert: &bdquo;Es war alles transparent.“ Seine damalige Lebensgefährtin hätte jederzeit Zugriff gehabt. &bdquo;Es war ja ihr Geld. Das hatte sie verdient.“ Über ein eigenes berufliches Engagement will der Angeklagte immer wieder nachgedacht haben, aber es hätte einfach nichts geklappt. Für den Delbrücker war das keine neue Erfahrung. Denn ihm gelang weder ein Schulabschluss noch eine berufliche Ausbildung. Eine Arbeitsstelle hatte er nur sehr selten, geriet aber stattdessen des Öfteren mit dem Gesetz in Konflikt. Dreieinhalb Jahre Jugendstrafe unter anderem wegen Raubes musste Mario B. schon als Heranwachsender absitzen. Und wenige Monate bevor er Chiara H. kennenlernte, wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Der Angeklagte streitet ab, im kriminellen Callcenter gearbeitet zu haben Den Haftantritt versäumte er, bis er im Frühjahr 2021 an der deutsch-schweizerischen Grenze festgenommen wurde. Aus dem offenen Vollzug entfloh er, lebte mit Chiara H. unerkannt unter anderem in Hamburg und zum Schluss ohne Aufenthaltserlaubnis in der Türkei. Dass er dort in einem kriminellen Callcenter arbeitete, der mit dem berüchtigten Enkeltrick Kasse macht, streitet Mario B. ab. &bdquo;Ich habe dort von der Hand in den Mund gelebt“, beteuert er. Als er im April dieses Jahres in seine deutsche Heimat zurückkehrte, um hier mit seiner neuen Freundin &bdquo;einen Neustart zu versuchen“, klickten die Handschellen – nicht nur wegen der noch abzusitzenden Strafe, sondern vor allem wegen des Vorwurfes der Zwangsprostitution, dessen Verfolgung sich mittlerweile die Staatsanwaltschaft Paderborn zu eigen gemacht hatte. Mario B. hält das, was in der Anklage aufgeschrieben wurde, für völlig übertrieben. Seine Ex habe bei Erstattung ihrer Anzeige &bdquo;dramatisiert. Sie hat vieles dazu gedichtet.“ Für ihn ist der Fall klar: Chiara H. sei von ihrer Mutter beeinflusst worden. Natürlich sei es für Eltern nicht schön, wenn sie erführen, dass ihre Tochter mit Sexarbeit ihr Geld verdient habe, sagt Mario B. Deshalb habe die Mutter der jungen Frau auch eingeredet, dass er Druck ausgeübt und sie zur Sexarbeit gezwungen habe. &bdquo;Für sie bin ich der Sündenbock.“ Die Verhandlung wird am Dienstag, 29. Oktober, fortgesetzt.

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