
Bad Oeynhausen. Eigentlich wollte Ruth Rahlmeyer lediglich die Miete abgeben. Doch dann bat sie die Eigentümerin des Hause Herforder Straße 51 um einen Gefallen. "Ich sollte einige wertvolle Dinge zwischen den Textilien aus der Stadt schmuggeln", erinnert sich Ruth Rahlmeyer. Die 86-Jährige machte im Mai 1945 eine kaufmännische Lehre im Textilhaus Lang und packte bei der Räumung zahlreiche Kisten - bestückt mit zusätzlicher Schmuggelware.
Den Räumungsbefehl der englischen Besatzer gab es am 3. Mai 1945. Nur wenige Tage hatten die Bewohner der Innenstadt Zeit, persönliche Dinge aus der von den Engländern besetzten Stadt zu schaffen. "Ich war als kaufmännischer Lehrling im Textilgeschäft Georg Lang beschäftigt", erinnert sich Ruth Rahlmeyer. Das Haus, in dem später das Kaufhaus Hitzemann war, musste bis zum 12. Mai 1945 geräumt werden.

"Als Lehrling musste ich monatlich die Pacht zur Vermieterin Frau Funk in der oberen Etage bringen. Bei dieser Gelegenheit bat sie mich, einige wertvolle Gegenstände zwischen Textilien zu verstecken", erinnert sich die 86-Jährige. Ein großer Lastwagen wurde mit Kisten, Kartons und der Schmuggelware beladen. "Wir Lehrlinge kamen oben drauf. Als wir uns der Kontrollstelle näherten, begannen wir zu singen und zu winken", erzählt Rahlmeyer.
"Es gab keinen Stopp, keine Kontrollen - der Lkw-Fahrer durfte durchfahren. Wir hatten die Kontrolleure jubelnd abgelenkt", erinnert sich sich schmunzelnd. Es sei ein aufregendes Erlebnis gewesen.
Die Fahrt führte nach Eidinghausen, zur Gaststätte Knappmeier (heute Il Sole), wo damals vorläufig der Verkauf stattfand. "Für mich war das ein weiter Arbeitsweg", erinnert sich Ruth Rahlmeyer. Geschätzte sieben Kilometer musste sie Tag für Tag von Oberbecksen nach Eidinghausen zu Fuß gehen. "Glücklicherweise bekam ich kurze Zeit später ein Fahrrad geliehen." Doch das Glück währte nicht lange: "Es wurde mir vor der Kellertür, im Hof, gestohlen. Das war mir sehr unangenehm, weil es ja nur geliehen war", sagt die 86-Jährige. Sie erfuhr wenig später, dass es zeitgleich einen Lkw-Transport mit landwirtschaftlichen Helfern nach Polen gegeben haben soll. "Das waren alles ehemalige Gefangene."
Zu dem Zeitpunkt seien mehrere Fahrraddiebstähle zu beklagen gewesen, erfuhr sie.
"Ich bekam dann ein altes Fahrrad geschenkt, das aber ständig zur Reparatur musste." Und so war Ruth Rahlmeyer wieder per Pedes unterwegs. "Zusammen mit meiner Freundin, die ebenfalls in Oberbecksen wohnte und auch bei Lang arbeitete", erzählt die Loherin. "Wir haben uns manchmal einfach auf die Wiese gelegt, weil wir so erschöpft waren."
Ihr Pflichtjahr absolvierte Ruth Rahlmeyer im Jahr vor Kriegsende beim Bauern. Täglich musste die damals 14-Jährige mehrere Kühe melken und bei der Hofarbeit helfen. Arbeit, die die zarten Kinderhände rau machte. Sehr zum Leidwesen der späteren Chefin. Als sie ihre Lehre im Textilgeschäft Lang machte, wurde ihr auferlegt, ihre Hände besser zu pflegen. "Das war mir sehr unangenehm", sagt sie heute.
Zehn Jahre arbeitete Ruth Rahlmeyer im Textilhaus Lang. Nach der Räumung erst in Eidinghausen, danach in der ehemaligen alten Schule Hannebaum auf dem Hahnenkamp wie sie sagt, später dann zog das Textilhaus in die Barackenstadt an der Mindener Straße.
Einige Jahre war Ruth Rahlmeyer auch dort noch für den kaufmännischen Bereich tätig, dann wechselte sie in die Firma ihres Mannes. Und kümmerte sich um ihre junge Familie mit vier Kindern.