
Stemwede-Oppendorf. Krieg – das ist woanders. Syrien. Afghanistan. Was hat das mit der Lebenswirklichkeit in einem Dorf wie Oppendorf zu tun? Hier lassen die riesigen Hofgebäude an prosperierende Landwirtschaft und friedlichen Wohlstand denken. Dabei sind auch sie Spuren des Krieges, Zeugen des Wiederaufbaus nach einer Katastrophe.
Vor 75 Jahren habe es im Ortskern von Oppendorf noch ganz anders ausgesehen, weiß Ortsheimatpfleger Friedbert Bohne. Alles habe viel enger zusammen gestanden. Fachwerk bestimmte das Bild. Heute ist davon nichts mehr übrig. Ein einziger Tag hat alles verändert: der 16. Dezember 1943, an dem gegen 19 Uhr ein abgeschossener Bomber der Alliierten mitten im Dorf abstürzte.
„Der Rumpf des Flugzeuges mit den vier Motoren stürzte mit seiner Bombenlast auf die Scheune von Sander 20, während das hintere Teil oben am Kley zur Erde kam", lässt sich in der Dorfchronik von Heinrich Schumacher nachlesen. „Das Flugzeug sowie die Scheune standen sofort in hellen Flammen. Sofortige Löschhilfe wurde durch fortwährende Explosionen und Pfeifen explodierender Bordwaffenmunition verhindert. Das in der Scheune befindliche Vieh suchten einige Männer zu retten. Da erfolgte nach etwa 10 Minuten eine furchtbare Explosion..."
Großvater und Enkel standen vor Trümmern ihres Hauses

Das Flugzeug war mit einer 1.800 Kilogramm schweren Luftmine und mehreren Hundert Brandbomben bewaffnet gewesen. Durch den Absturz und die Explosion wurden die Brandbomben über das ganze Dorf verteilt – 19 Gehöfte wurden total zerstört, etliche beschädigt. Acht Menschen fanden dabei den Tod: die Oppendorfer Christoph Kalkhake und Heinrich Wäring und sechs Besatzungsmitglieder des Bombers. Viele andere wurden verletzt, zum Teil schwer. „Wenn man mit alten Leuten spricht, merkt man, wie tief das immer noch sitzt", sagt Friedbert Bohne.
Auch Erich Schumacher, der Sohn des Chronisten Heinrich Schumacher und Bohnes Vorgänger im Amt des Ortsheimatpflegers, hat die „Schreckensnacht" nie wieder losgelassen. Den Absturz selbst, das Feuer und die fürchterlichen Szenen, die sich damals abspielten („das kann man kaum erzählen"), erlebte er persönlich nicht mit, zu diesem Zeitpunkt war er gerade bei seinen Großeltern in Lippe. Aber die Tage danach, das Ausmaß der Zerstörung und das Leid der Menschen, die plötzlich mitten im Winter ohne ein Zuhause, ohne Ställe und Futtervorräte für ihr Vieh dastanden. „Ich habe selbst noch mitgeholfen, dass hier wieder Ziegeln auf das Dach kamen", erinnert er sich, als er noch einmal die Aufnahmen durchsieht, die ein unbekannter Fotograf nach der Katastrophe gemacht hat, und dabei auf ein Foto des durch die Druckwelle zerstörten Hauses von Wilhelm Kükelhan stößt.
In Schumachers Archiv gibt es noch viele solcher Aufnahmen: Eingestürzte Mauern, Häuser, bei denen vom Dach nur noch die nackten Balken übrig geblieben sind oder die ganz ohne Dachstuhl dastehen. Und dann ist da noch ein Foto, ein wenig unscharf, das einen alten Mann und ein Kind vor einer Ruine zeigt. „Ein besonders trauriges Bild", sagt Erich Schumacher und seufzt. „Der Vater war bereits im Krieg gefallen, jetzt standen Großvater und Enkel vor den Trümmern ihres Hauses".
Nachbarn halfen sich gegenseitig

Ohne Hilfe von anderen hätten die Oppendorfer diese Zeit wohl kaum überstanden. Nachbarn halfen, Dächer und Mauern zu flicken, Bauern aus den umliegenden Dörfern boten den Oppendorfern die Möglichkeit, ihr Vieh bei ihnen unterzustellen.
„All das darf nicht vergessen werden", sind sich Bohne und Schumacher einig. Der 87-jährige ehemalige Ortsheimatpfleger und letzte Bürgermeister von Oppendorf hatte seinerzeit viel Zeit darauf verwendet, die Umstände des Absturzes, auch das Schicksal der Flugzeugbesatzung, zu recherchieren. Er hatte maßgeblichen Anteil daran, dass zum 50. Jahrestag ein Gedenkstein an der Stelle errichtet wurde, wo der Bomber 1943 abgestürzt war – an der Ecke Oppendorfer Straße/Am Hunneort, wo einst die Scheune des Hofes Sander gestanden hatte. Mit den Namen aller Opfer der Katastrophe, auch der jungen britischen und kanadischen Soldaten. „Das war mir ein großes Anliegen", betont Schumacher.

„Zur Erinnerung und Mahnung zum Frieden", so steht es auf dem Gedenkstein zu lesen. Heute, 75 Jahre nachdem der Krieg das „friedliche Heimatdörfchen" (Heinrich Schumacher) Oppendorf erreichte, scheint das noch einmal aktueller denn je. „Dass man jetzt schon wieder meint, man müsse die Aufrüstung forcieren – das ist unglaublich und beunruhigt mich", sagt Erich Schumacher.