Wie die Coronakrise die Menschen verändert - Vereinsamung macht Sorge

Rahden. Neben dem Altar steht ein schöner großer Weihnachtsbaum. Das war auch voriges Jahr so, nur gab es damals auch in St. Johannis keine Gottesdienste. Wegen Corona. Die Coronakrise ist noch immer da. Aber auch der Weihnachtsbaum ist wieder da in St. Johannis. Und die Gläubigen sind wieder da. Gemeinsam haben sie Heiligabend und Weihnachten Gottesdienste gefeiert.Ein zweites Weihnachtsfest in der Coronakrise – wie wirkt sich das auf die Gemeinde aus, was macht das mit den Gläubigen? Pfarrerin Gisela Kortenbruck hat Beobachtungen gemacht.Heiligabend ging's nur mit 2GWeihnachten 2020 war alles dicht. St. Johannis war nur stundenweise geöffnet. Gottesdienst aber konnten die Gemeindeglieder damals nur digital feiern. Sie wolle die damaligen Entscheidungen nicht in Zweifel ziehen, merkt Gisela Kortenbruck an. &bdquo;Das musste so sein.“ In diesem Jahr feierten die Gläubigen wieder Gottesdienste – Heiligabend mit Anmeldung und 2G. &bdquo;Das führte dazu, dass sich die Besucher der Gottesdienste sicher fühlten.“ Es habe auch alles gut geklappt, berichtet die Seelsorgerin. Die Regelung habe aber auch manche, die sich sonst kurzfristig zum Besuch des Gottesdienstes entscheiden, davon nun abgehalten."Ich hörte das Wort Bürger-Lockdown"Kortenbruck hielt Heiligabend Gottesdienste im Westbezirk. In Sielhorst, Varl und Alt-Espelkamp waren jeweils rund 50 Besucher da. &bdquo;Möglich gewesen wären 70“, meint Kortenbruck. &bdquo;Ich hörte vor einigen Tagen das Wort Bürger-Lockdown.“ Bürger würden nicht auf Entscheidungen der Politik warten, sondern träfen Entscheidungen für sich und zögen sich zurück. &bdquo;Das haben viele gemacht zu Weihnachten.“Auch sie möchte die Kirchengemeinde Rahden erreichen mit digitalen Angeboten. Gottesdienste auf Youtube mitfeiern – das Angebot hatte die Rahdener Gemeinde wegen der Corona-Auflagen im vorigen Jahr gestartet. &bdquo;Anfangs unter einfachen Bedingungen, aber inzwischen sind wir besser geworden“, merkt Gisela Kortenbruck an.Wie digitale Angebote genutzt werdenDas digitale Angebot werde gut angenommen. Jeden Sonntag können Gläubige einen Gottesdienst in einem der Gotteshäuser der Kirchengemeinde verfolgen, der ist dann nachmittags auf dem Youtube-Kanal der Gemeinde zu sehen. Eine Seniorin habe ihr berichtet, sich deswegen eigens ein Tablet gekauft zu haben, sagt Kortenbruck. &bdquo;Das digitale Angebot steht ja allen offen.“ In der Regel gebe es für jeden dieser Gottesdienste 100 Aufrufe und mit dieser Zahl sei die Gemeinde zufrieden. &bdquo;Die Menschen kommen auch in unsere Gottesdienste.“"Der Posaunenchor konnte wieder spielen, das ist vielen wichtig"Mit allen Pfarrerinnen und Pfarrern aus der Region Rahden wurde zu Weihnachten ein Gottesdienst in St. Johannis aufgenommen. Auch Musikgruppen aus den beiden Gemeinden Rahden und Pr. Ströhen wirkten mit. Binnen 24 Stunden habe es schon 500 Aufrufe gegeben. &bdquo;Das ist schon gut“, sagt die Seelsorgerin.Krippenspiel im GöpelhausMit ihrer Konfirmandengruppe veröffentlichte Kortenbruck ein digitales Krippenspiel. Gefilmt wurde im Göpelhaus in Sielhorst, das der Sielhorster Heimatverein dafür zur Verfügung stellte. Ein Varler Landwirt habe Stroh geliefert. &bdquo;Da hatten wir einen Bethlehem-Stall.“ Diese digitalen Angebote seien eine Folge der Coronakrise. Sie würden beibehalten, solange es die Nachfrage gebe.Wie die Stimmung der Menschen war, weil doch in diesem Jahr zu Weihnachten etwas möglich war? Die Menschen hätten sich mit der Situation arrangiert, meint Gisela Kortenbruck. Sie sähen die Sinnhaftigkeit der derzeitigen Auflagen ein. &bdquo;Das ist in unserer Gemeinde gar keine Frage, dass wir Verantwortung übernehmen – für uns selbst und für andere. Wir wollen alle gesund bleiben.“"Mit Maske - aber wir konnten singen"Für sich selbst könne sie sagen, dass sie dankbar sei, &bdquo;dass wir Weihnachten feiern können mit allem, was zu gehört“: der Gottesdienst, die Kirchenmusik. &bdquo;Der Posaunenchor konnte wieder spielen. Das ist mir wichtig, das ist vielen weiteren Menschen sehr wichtig“, sagt Gisela Kortenbruck. &bdquo;Wenn der Posaunenchor ,O du fröhliche spielt, dann ist für mich Weihnachten: Das sagen mir viele Menschen aus der Gemeinde.“ Das sei in diesem Jahr wieder möglich gewesen und die Menschen hätten auch Weihnachtslieder singen können. &bdquo;Mit Maske zwar, aber wir konnten singen.“Der gemeinsame Gesang ist vielleicht auch deshalb so wichtig, weil Menschen wegen Corona auseinanderrückten. Kortenbruck spricht von einer Vereinzelung und einer Vereinsamung, in die die Menschen wegen Corona reingekommen seien. Es sei schwierig, sich in der Gemeinschaft zusammenzufinden. &bdquo;Wenn man hier in der Kirche ist und Gottesdienst feiert, dann ist das was anderes als zu Hause vor dem Rechner oder Fernseher zu sitzen.“Was der Pfarrerin große Sorgen machtKortenbruck: &bdquo;Je länger Corona dauert, desto stärker wird die Vereinzelung der Menschen – im negativen Sinn. Es wird Vereinsamung daraus. Das höre ich auch in der Seelsorge, dass es vielen zu schaffen macht. Das macht mir große Sorgen.“ Da ist es wieder, das Wort vom Bürger-Lockdown. Die Meinung zahlreicher Bürger, sich lieber zurückzuziehen, bevor sie in aus ihrer Sicht schwierige Situationen kommen.Ob es schwer sein wird, da wieder rauszukommen? Ja, sagt die Seelsorgerin. Bei Anrufen etwa spüre sie die große Dankbarkeit für ein Gespräch. &bdquo;Manche sprudeln geradezu über und freuen sich, dass jemand zuhört.“ Das Bedürfnis nach sozialem Austausch sei groß. Und so schön soziale Netzwerke auch seien: &bdquo;Der Mensch braucht eigentlich den direkten Austausch, bei dem man sich in die Augen schaut. Schon in der Bibel steht: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“"In der Frage des Impfens ziehen wir alle an einem Strang"Der Rückzug ins Private – die Seelsorgerin kommt auf die Impfungen zu sprechen. Die Impfdiskussion habe auch damit zu tun, dass Menschen sich ins Private zurückziehen wollten und nicht im Blick hätten, dass sie dadurch auch eine Entscheidung für die Allgemeinheit träfen. &bdquo;Das ist auch nicht gut.“ In der Rahdener Gemeinde gebe es eine engagierte Flüchtlingsarbeit, es gebe eine engagierte Mitarbeiterschaft. &bdquo;In der Frage des Impfens ziehen wir alle an einem Strang und haben einen klaren Standpunkt. Darüber bin ich froh.“ Hinsichtlich der Impfungen gebe es auch die Angebote des Präventionsrates. Der CVJM Rahden pflegt Kontakte mit Christen in Bo (Sierra Leone). Joseph Jibila, Kirchenvertreter in Bo, habe nachgefragt, wie es in Rahden laufe und aus Bo berichtet. Hier mache man sich über die dritte Impfung Gedanken, meint Kortenbruck. In Bo aber komme nichts an, die Regierung sei überfordert und das soziale Leben breche zusammen. &bdquo;Es ist bedrückend, das zu hören.“Völker fühlen sich im Stich gelassenEs sei wichtig, dass hier alle geimpft würden, sagt die Seelsorgerin – und wieder ist die Verantwortung ein Thema. Wenn keiner Verantwortung übernehme und den Ländern wie Sierra Leone nicht helfe, dann bekomme man die Corona-Lage nie in den Griff. Dann höre es auch nicht auf mit Virus-Mutanten. Kortenbruck: &bdquo;Und was soll aus Völkern werden, die sich im Stich gelassen fühlen?“ Gut gehen werde es auch hier erst dann wieder, wenn es allen gut gehe. &bdquo;Auf allen Ebenen muss der Gemeinschaftsgedanke wieder stärker werden, dass wir füreinander sorgen und jeder auf den anderen acht gibt.“ Das gelte für viele Bereiche. Die Hoffnungen der Seelsorgerin für das kommende Jahr? &bdquo;Es gibt so viele große Themen“, sagt Kortenbruck. Sie erinnert an den Klimawandel, an die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine. Gute Entscheidungen vieler Menschen seien notwendig, damit alles gut gehe."Wir müssen die Perspektive ändern"&bdquo;Aber die Hoffnung ist, dass sich die Menschen weiter engagieren.“ Die &bdquo;Lautsprecher“ sollten nicht immer ganz vorn stehen. Der Rückzug in die Vereinzelung sei der falsche Weg. &bdquo;Wir müssen wieder zusammenfinden, gemeinsam für das Gute arbeiten. Da gibt es genug Baustellen“, merkt Kortenbruck an. &bdquo;Wenn es heißt, unsere Gesellschaft ist gespalten, dann ist das die falsche Sichtweise. Die zementiert das.“ Pfarrerin Gisela Kortenbruck plädiert für eine Kehrtwende, für eine andere Sichtweise. &bdquo;Wir müssen die Perspektive ändern und sehen, was uns eint.“

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