Vor 150 Jahren: Erinnerung an die Gründung des Deutschen Kaiserreiches

Pr. Oldendorf. Sie ist eine der ältesten Fotografien aus Pr. Oldendorf und stammt vom 2. September 1871. Darauf zu sehen ist die festlich geschmückte Hauptdurchfahrtsstraße im Westen des Ortes, die heutige B 65. Girlanden und Bögen zierten die Straße. Ein eigens berufenes Festkomitee hatte für den Schmuck gesorgt. Schulkinder sowie zahlreiche Gäste schwenkten Fahnen und feierten voller Enthusiasmus die heimkehrenden Soldaten, die durch Ehrenpforten in die Stadt schritten. Im Juni 1870 waren sie vom preußischen &bdquo;Vaterland“ einberufen worden, um gegen Frankreich in den Krieg zu ziehen. Zwischen Sommer 1870 und Herbst 1871 war viel passiert; Europa und insbesondere das Gebiet des späteren Deutschlands hatten sich drastisch verändert. Denn vor ziemlich genau 150 Jahren, nämlich am 18. Januar 1871, wurde der preußische König Wilhelm I. (1797–1888) im Spiegelsaal des Schlosses Versailles in der Nähe von Paris zum deutschen Kaiser erklärt. Enormer Patriotismus in der preußischen Bevölkerung Seitdem zählten auch die Ämter im Gebiet der heutigen Stadt Pr. Oldendorf zum neuen deutschen Kaiserreich. Der &bdquo;Deutsch-Französische Krieg“ (1870/71) war zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet, doch die Franzosen hatten in der &bdquo;Schlacht von Sedan“ am 2. September 1870 eine verheerende Niederlage erlitten, die die Ergebnisse der Friedensverhandlungen faktisch vorbestimmte. Bis 1918, als die Monarchie nach den Wirren des Ersten Weltkrieges (1914–1918) ein Ende fand, blieb der 2. September Nationalfeiertag. Die Niederlage Frankreichs entfachte innerhalb der deutschen und vor allem der preußischen Bevölkerung einen enormen Patriotismus. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck (1815–1898), der spätere Reichskanzler, nutzte die so entstandene Euphorie gezielt für seine Pläne zur Gründung eines deutschen Nationalstaates unter preußischer Führung. Nicht umsonst galt er schon den Zeitgenossen als &bdquo;Architekt“ oder &bdquo;Baumeister“ der Einigung zahlreicher vormals selbstständiger deutscher Territorien zu einem Reich. Die Verehrung Kaiser Wilhelms I. und seines engen Vertrauten Bismarck gipfelte in der Errichtung stattlicher Denkmäler. Vor allem ist hier die Politik Wilhelms II. hervorzuheben, ein Enkel des ersten Kaisers. Besonders ragt hierzulande das 1896 eingeweihte imposante Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica hervor. Die Gründerzeit des Reichs war von einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung und einer bis dahin nicht gekannten Industrialisierung geprägt. Vaterländische Vereinsgründungen waren Ausdruck des gewachsenen Nationalstolzes. Schließlich gehörte auch die Bismarcksche Sozialgesetzgebung zu den Errungenschaften dieses Staates. Daneben darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Reichsgründung letztlich ein Ausdruck preußischen Macht- und Hegemonialstrebens gewesen ist. Bismarcksche Sozialgesetzgebung eine Errungenschaft &bdquo;Blut und Eisen“ hatten den Weg zur Gründung des Deutschen Reiches geebnet. Ausufernder Nationalismus und ausgeprägter Militarismus stellten überdies den Nährboden der gesellschaftlichen Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Zwei Weltkriege und das nationalsozialistische Regime waren verantwortlich für unsägliches Leid und grauenvolle Verbrechen. Und auch in Oldendorf und Umgebung schlossen sich nicht alle Einwohner dem frenetischen Freudentaumel im Umfeld der Reichsgründung an. Etwa hatte der Oldendorfer Pfarrer August Rothert (1806–1883) den Verlust seines gleichnamigen Sohnes zu beklagen, der am 16. August 1870 in Gorze bei Metz gefallen war. Der Geistliche kritisierte deshalb die Festlichkeiten zum Empfang der siegreich heimkehrenden Truppen am 2. September 1871. Nicht alle Soldaten kehrten in ihre Heimat zurück Aus der Kirchengemeinde Holzhausen ließen beispielsweise fünf junge Männer ihr Leben; die Eininghauser trauerten um Caspar Heinrich Hellmig, der am 3. Februar 1871 verunglückte. Auch aus den anderen Ortschaften Oldendorfs kehrten nicht alle Soldaten in ihre Heimat zurück. Sie seien &bdquo;für König und Vaterland“ gestorben, hieß es in verklärender Weise. Ohne Zweifel wies die Reichsgründung vor 150 Jahren in ein neues, modernes Zeitalter. Die dunklen Momente dieser Vergangenheit dürfen jedoch keinesfalls außer Acht gelassen werden. So stellt sich die Geschichte des Deutschen Reiches voller Widersprüche dar; das Nebeneinander von Für und Wider lässt sich nicht ohne Weiteres aufheben. Dennoch sollte die Kaiserproklamation im Januar 1871 nicht vergessen werden. Freude und Begeisterung muss dieses Ereignis heutzutage gewiss nicht mehr ausrufen; typische Jubiläumsfeierlichkeiten sind sicherlich nicht angebracht. Vielmehr sollte die Erinnerung an dieses Jubiläum zum Innehalten, Gedenken und Nachdenken anregen.

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