Paar sitzt mit Baby in Kiew fest - und fühlt sich im Stich gelassen

Porta Westfalica/Kiew. Die Wände sind betongrau, der Boden nackt, eine winzige Heizung hängt an einer Mauer. So ist es auf den Fotos zu sehen. Jemand hat eine Schuhablage aufgestellt und mit einem Polster bedeckt. Darauf steht eine Tragetasche, in der ein Baby liegt. +++Update: Portaner Familie steckt mit Baby in Kiew fest: Gelingt die Flucht per Zug?+++ Das Kind heißt Amy Sophie, und es liegt in einem Keller der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Dort ist es in der fünften Woche seines Lebens mit seinen Eltern gestrandet. Vater Gero Berndt ist 50 Jahre alt, Mutter Oksana 40, zusammen leben die beiden in Porta-Lohfeld. Angefangen hat das wohl härteste Kapitel ihres Lebens mit einem Traum, erzählt der Vater, den das Mindener Tageblatt (MT) am Samstag per Mobiltelefon in Kiew erreicht hat. Das Paar hatte viele Anläufe genommen, um endlich ein Kind zu bekommen. Doch alles blieb vergeblich. Weil die Zeit dem Lebensalter entsprechend knapp zu werden drohte, entschloss sich das Paar, ein Kind per Leihmutterschaft auf die Welt zu bringen. In Deutschland ist das nicht erlaubt, in der Ukraine schon. Nur nicht in Panik verfallen Und so machte sich das Ehepaar auf den wahrscheinlich beschwerlichsten und kostenintensivsten Weg. So berichtet es Gero Berndt, der Heizungsbauer ist und in Porta seit 15 Jahren ein Handwerksunternehmen betreibt, die in Lohfeld ansässige Gero Berndt GmbH & Co. KG. Zunächst lief alles gut. Im Januar rückte der Geburtstermin näher und das paar reiste in die Ukraine. Damals war der Konflikt des Landes mit Russland zwar bereits im vollen Gange, aber es war ein kalter Konflikt, von dem auch nicht zwingend anzunehmen war, dass er so schnell heiß werden würde. Diplomatische Verhandlungen liefen, die wenigsten hätten damit gerechnet, dass der russische Machthaber Wladmir Putin das Nachbarland derart breitflächig attackieren würde. Gero und Oksana Berndt reisten jedenfalls nicht in dem Bewusstsein in die Ukraine ein, am Ende in jener Falle zu landen, die ihnen nun jeden Ausweg versperrt. An eine Ausreise ist für sie gerade nicht zu denken, berichtet Gero Berndt im Gespräch mit dem MT. Er spricht bedacht und ruhig, hat eine tiefe Stimme, aus der keine Unruhe herauszuhören ist. &bdquo;Ich bin Heizungsbauer", sagt er, &bdquo;da ist man Kummer gewohnt." Niemandem nützte es, wenn er nun in Panik verfallen würde. Er müsse allein schon für seine Familie stark sein, das Baby spüre schließlich, würden die Eltern den Kopf verlieren. Machtlosigkeit ist unerträglich &bdquo;Mein Bruder ist ein pragmatischer Handwerkmeister, der sich immer durchkämpft", das sagt auch Schwester Marina Berndt-Mügge. Sie hat sich am Samstag in einer Mail ans MT gewandt. &bdquo;Ich bin so verzweifelt", schreibt sie, ihre Panik reiche für Wochen – die Familie stehe angesichts der Situation unter Schock. Niemand in Deutschland wisse, wie es mit den festsitzenden Verwandten weitergehen soll. &bdquo;Diese absolute Machtlosigkeit ist unerträglich", sagt sie. Sie gehe in die Kirche und spreche ein Gebet für die Familie und natürlich würde sie sich auch sofort ins Auto setzen und zur polnisch-ukrainischen Grenze fahren. Aber wie soll die Familie dorthin kommen? Zumal angesichts der Lage, dass sich dort offenbar schon zigtausend Menschen drängen. Wenn Eltern ihr Kind nach einer Leihmutterschaft in der Ukraine abholen, entsteht ein oft langer behördlicher Prozess. Weil das medizinische Verfahren in Deutschland nicht legal und damit auch nicht vorgesehen ist, gibt es keinen schnell gangbaren Weg, die Elternschaft anzuerkennen. Es kann mitunter Jahre dauern, bis die neue Mutter das Kind von der Leihmutter adoptieren kann und die deutschen Behördenmühlen mit dem Thema durch sind. Portaner fühlt sich im Stich gelassen Schon im Land der Leihmutterschaft beginnt der Behördenprozess. Gero und Oksana Berndt suchten die deutsche Botschaft in Kiew auf, berichtet der Portaner. Da die Leihmutter an der Grenze zu Weißrussland lebe, habe die es wegen der schließlich beginnenden Kriegswirren nicht mehr zur Botschaft nach Kiew geschafft, was eigentlich für den Prozess notwendig ist. Berndt berichtet, dass sich das Verfahren dadurch in die Länge gezogen habe, die Botschaft in konstruktiver Absprache mit dem Standesamt in Porta aber schließlich eine Lösung gefunden habe. Der Prozess habe aber schließlich so lange gedauert, dass die kleine Familie den letztmöglichen Flug zurück nach Deutschland verpasste. Inzwischen ist der Luftraum über der Ukraine geschlossen, kein ziviler Flieger geht mehr. Nicht nach Deutschland, nicht in ein anderes Land. Und auch, wenn Gero Berndt ansonsten erstaunlich ruhig wirkt, verliert er an der Stelle kurz die Fassung. Er fühlt sich im Stich gelassen. Das letzte Personal der deutschen Botschaft ist seinen Informationen zufolge schon am Donnerstag in Richtung Polen ausgereist. Deutschland hat derzeit keine arbeitsfähige diplomatische Vertretung mehr in dem Land, in dem das Paar festsitzt – ein zusätzlich beklemmendes Gefühl. &bdquo;Es fühlt sich an wie: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff", sagt er. Aber ausgerechnet sie müssten bleiben und das mit einem 30 Tage alten Baby. Da fühle er sich vom deutschen Staat schon im Stich gelassen. Bekanntschaft mit anderen Paaren Untergebracht war die junge Familie im siebten Stock eines Apartmenthauses im Westen Kiews. Auf einem Video, das er gemacht hat, ist zu sehen, wie krachend ein Panzer auf der Straße vor dem Haus vorbeirollt. Weil Luftalarm und Einschläge zu hören gewesen seien, habe sich das Paar mit anderen Hausbewohnern schließlich in den Keller zurückgezogen. Die Ukrainer – seine Frau spricht als Ukrainischstämmige die Sprache – seien sehr hilfsbereit. Inzwischen habe die ukrainische Armee empfohlen, in ein Haus in zweiter Reihe zu wechseln, weg von der viel befahrenen Straße. &bdquo;Dort sei es im Falle von Kämpfen etwas sicherer", berichtet Berndt. Größtenteils sitzt die Familie auch in diesem Haus im Keller. Wenn draußen nichts zu hören ist, verlassen die drei kurz das Gebäude, um frische Luft zu schnappen. Manchmal halten sie sich auch in der angemieteten Wohnung eines Inders auf, der ebenfalls einer Leihmutterschaft wegen in das Land gereist sei. Überhaupt: Die Berndts kennen inzwischen einige Paare, die wegen in genau der gleichen Lage sind, wie sie. Einige haben sich zu einer WhatsApp-Gruppe zusammengeschlossen, um sich in den kommenden Tagen und Wochen vielleicht weiterhelfen zu können. Die Ratlosigkeit sei bei allen Eltern groß, ganz gleich, ob die ebenfalls aus Deutschland, aus Spanien, Italien, Indien oder den USA kämen. Werden sie es bis zum Bahnhof schaffen? Wie geht es nun weiter? Gero Berndt weiß es nicht. Er habe noch ein paar hundert Euro Bargeld bei sich und Babynahrung für die kommenden 14 Tage bekommen können. Die russischen Truppen seien ihren vagen Informationen zufolge auf 20 Kilometer an den Keller herangerückt. Die Berndts haben ein am 1. März gültiges Bahnticket Richtung Westen. Aber wird der Zug fahren? Werden sie es bis überhaupt bis zum Bahnhof schaffen? Ist es dort besonders gefährlich, weil die russische Arme die Infrastruktur angreifen könnte? &bdquo;Ausharren, Ruhe bewahren, das Land möglichst auf dem Landweg verlassen, eine Evakuierung unsererseits ist derzeit nicht möglich", das habe er an der Hotline des Auswärtigen Amtes schließlich gesagt bekommen. Wie es wirklich weitergeht, weiß die Familie nicht. Erleichtert ist Gero Berndt, dass das Handy- und Stromnetz bisher stabil funktioniert. Derzeit bleibe nichts als: &bdquo;Wir harren hier erstmal irgendwie aus."

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