Eigentlich andere Pläne: 28-Jährige übernimmt Familienfleischerei in Minden

Minden. Blutverschmierte Schürze, scharfe Messer, schwerer Geruch nach rohem Fleisch – so stellen sich viele Menschen den klassischen Fleischerberuf vor. Das Bild vom grobschlächtigen, kräftigen Mann hinter der Theke, der wortkarg Würste schneidet und Schweinehälften zerlegt, hält sich hartnäckig. Doch das Klischee hat mit der Realität nur noch wenig zu tun, das zeigt das Beispiel von Larissa Riesner: rot lackierte Fingernägel, lange blonde Haare - sie legt Wert auf ihr Äußeres. Die 28-Jährige leitet seit 2022 den Familienbetrieb in dritter Generation, nachdem die Fleischerei Riesner zwischenzeitlich auf der Kippe stand. Eigentlich strebte sie eine andere Karriere in Hamburg an. Wie bei so vielen handwerklichen Unternehmen steht hinter dem Fundament der 1960 gegründeten Fleischerei Riesner das Herzblut mehrerer Generationen und eine jahrzehntelange Arbeit. Elfriede und Paul Riesner eröffneten vor 65 Jahren ihren Betrieb an der Königstraße 19, wo inzwischen &bdquo;Wohnen und Beraten“ des Clubs 74 ansässig ist. Die großen Fenster und die Fassade lassen erkennen, dass dort früher kein Büro war, sondern mit Lebensmitteln gehandelt wurde. Die Gründer setzten unter anderem auf schlesische Spezialitäten aus ihrer ehemaligen Heimat, ehe Sohn Hartmut Riesner den Betrieb 1980 übernahm, bald den Laden in der Oberen Altstadt schloss und auf Märkten die Produkte verkaufte. In der Königstraße produzierte er weiter Waren, ehe er an der Lübbecker Straße neu baute und dort 2008 eröffnete. Mehr als ein Jahrzehnt später befasste sich Hartmut Riesner mit dem Ruhestand und hatte ganz viel Bauchschmerzen. Einen Nachfolger konnte er nicht finden und wollte das Unternehmen für einen Verkauf bereits schätzen lassen. Wie ihm geht es viele anderen Inhabern ähnlich. Laut eines Berichts der Förderbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) stehen rund 70 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen bei der Nachfolgefrage vor einer großen Herausforderung. Dabei denke jeder vierte Betrieb über eine Geschäftsaufgabe nach, da die Inhaber immer älter werden, meist aus der &bdquo;Boomer-Generation“ stammen und selten ihre Kinder an der Spitze nachfolgen. Mehr zum Thema: Hier gibt es noch Handwerksfleischereien in OWL Einstieg war erst nur eine Idee Vor diesem Problem stand auch Hartmut Riesner (67), ehe seine Tochter ins Spiel kam. Larissa Riesner studierte nach dem Abitur BWL in Hamburg und machte dort ihren Bachelor. Beruflich wollte sie in die Richtung Unternehmensführung, Marketing und arbeitete bei verschiedenen Agenturen. Dann begann sie ihren Master und eine neue Option ergab sich. &bdquo;Ich konnte ihn nicht leiden sehen, die Situation hat ihn belastet und das hat auch mir wehgetan“, sagt die heutige Geschäftsführerin über den damaligen Zustand ihres Vaters. Erst sei es nur ein spontaner Einfall gewesen, dass sie den Betrieb übernehmen würde, dann wurde es konkreter. Sie habe sich alles erst ein halbes Jahr angeschaut, mitgearbeitet und dann entschieden, einzusteigen. Aus der Sicht von Cordian Reckmann, Obermeister der Innung des Fleischerhandwerks Wittekindsland, hatte sie beste Voraussetzungen für die Übernahme. &bdquo;Was die neue Generation abschreckt, sind Investitionsstaus, die Betriebe müssen mit der Zeit gehen“, meint der Experte. Bei den Riesners seien die Grundlagen gegeben gewesen, er kenne die Fleischerei. Cordian Reckmann freut sich auch darüber, dass seine Branche mit Gesichtern wie Larissa Riesner weiblicher wird. Die Zahl der Frauen steige, auch die der Meisterinnen und Geschäftsführerinnen. Rund ein Viertel streben inzwischen einen Meistertitel an. &bdquo;Das war früher ganz anders und der Beruf viel männlicher.“ Unabhängig von dem Geschlecht stehen die Fleischer vor ähnlichen Problemen. &bdquo;Die Bürokratie nimmt nach jedem Wurstskandal zu, dann müssen wir immer mehr ausfüllen, obwohl die Politik uns etwas anderes verspricht“, so Obermeister Reckmann. Seiner Ansicht nach habe die Branche auch ein Imageproblem. So müsse man die Kunden mehr mitnehmen, die Nachhaltigkeit transparenter verdeutlichen. Generell seien die Menschen bereit, mehr für Qualität zu zahlen. &bdquo;Wir Traditionsbetriebe unterscheiden uns, wenn man es genau nimmt, preislich nicht besonders vom Großhandel.“ Lesen Sie auch: Eigene Fleischerei geschlossen: Bekannter Löhner Fleischermeister steht wieder hinter der Theke Traditionsbetriebe haben es schwer Trotzdem wirken sich die unterschiedlichen Faktoren wie die Inflation auf die Gesundheit der Fleischereien aus. Bundesweit haben mehrere Traditionsbetriebe Insolvenz angemeldet, darunter auch die Landfleischerei Engelke aus Diepenau. In Minden schloss der Herforder Mittelständler Goksch kürzlich seine Filiale in der Viktoriastraße, genau wie Fleischerei Meyer ihren Standort in Rothenuffeln wegen Fachkräftemangels. 2019 zog sich die Fleischerei Geier aus der Mindener Innenstadt zurück. Nach Angaben des Deutschen Fleischer-Verbands hat sich die Zahl der Meisterbetriebe seit 2002 fast halbiert, 2014 gab es rund 10.000 Meisterbetriebe. Reinhard von Stoutz vom Deutschen Fleischer-Verband begründet diese Entwicklung gegenüber dem Deutschlandfunk mit veränderten Essgewohnheiten, dem knappen Budget der Kunden und Nachwuchsmangel. Larissa Riesner kennt die Probleme der Branche und setzt auf ihre Stammkunden. &bdquo;Wir schlachten nicht selbst, nehmen das Fleisch auseinander und achten darauf, dass die Tiere von regionalen Landwirten kommen.“ Ansonsten würde ihr Betrieb nahezu alle Produkte wie Leber- oder Bratwurst selbst produzieren - das sei das Alleinstellungsmerkmal bei einem aus 100 Artikeln bestehenden Sortiment. Die Wurst aus ihrem Betrieb isst Larissa Riesner seit ihrer Kindheit, für sie schließt sich ein Kreis. Die Mortadella sei ein Stück Heimat für die Mindenerin. An den Verkaufsständen beobachtet sie auch das Kaufverhalten der unterschiedlichen Generationen. &bdquo;Die Älteren nehmen auch mal eine Blut- oder Wellwurst mit und sind froh, dass sie noch jemand produziert.“ Während der Corona-Pandemie habe sie einen Wandel gespürt. &bdquo;Viele haben weniger Fleisch gegessen, dafür aber mehr in Qualität investiert.“ Mehr zum Thema: Herforder Fleischerei Goksch schließt Mindener Laden Segment der Fleischalternativen soll ausgeweitet werden Auf der anderen Seite würde auch die Nachfrage nach vegetarischen Produkten steigen, weshalb sie Grillkäse im Angebot hat. Larissa Riesner beobachtet, dass Vegetarier - wenig überraschend - keinen Grund haben, zum Fleischer zu gehen. &bdquo;Aber wenn die Familie grillt, sind häufig auch Mitglieder dabei, die auf Fleisch verzichten und Alternativen benötigen.“ Deswegen überlegt sie, das Angebot in dem Segment auszuweiten. &bdquo;Mein Vater weigert sich noch beim Wurstersatz.“ Der einstige Inhaber spielt immer noch eine tragende Rolle in dem Betrieb. Seine Tochter hat keine Ausbildung als Fleischerin und entsprechend auch keinen Meistertitel. &bdquo;Mein Vater erfüllt dieses Kriterium, ich kümmere mich mehr um den kaufmännischen Bereich.“ Die 28-Jährige hilft ansonsten mal in der Produktion mit, wo sieben feste Mitarbeiter tätig sind. Ansonsten steht sie zusammen mit ihrer Mutter hinter der Theke des Verkaufswagens. Der steht an ausgewählten Tagen auf dem Hof und bei den Wochenmärkten in Bünde und Espelkamp. &bdquo;Dort gehen die meisten Produkte weg.“ Dass gegenüber vom Hof der E-Center Röthemeier nach dem Abriss neugebaut hat, sieht die Geschäftsführerin nicht als Problem und Konkurrenz. &bdquo;Es ist eher ein Gewinn, wenn Menschen nach dem Einkauf dort noch zu uns kommen, weil sie unsere hausgemachten Produkte schätzen.“ Abwechslungsreicher Job Die Geschäftsführerin bestätigt, dass viele große Augen machen würden, wenn sie sich als Leiterin der Fleischerei vorstellt. &bdquo;Sie denken, dass ich mit dem Hackebeil vor dem Schwein stehe. Die Realität sieht anders aus, der Job ist abwechslungsreich.“ Einblicke in ihre Arbeit gewährt Larissa Riesner in den sozialen Medien, auf Instagram folgen ihr mehr als 8.000 Menschen. In Zukunft möchte sie den Betrieb so weiterführen wie ihr Vater. &bdquo;Mir ist wichtig, dass die Kunden wissen, woher das Fleisch kommt.“ Larissa Riesner möchte gar nicht unbedingt wachsen. &bdquo;Je größer man wird, desto mehr wird die Produktion zum Mechanismus und das entspricht nicht unserer Tradition.“ Sie kann sich vorstellen, noch weitere Verkaufswagen anzuschaffen, ansonsten soll alles beim Alten bleiben. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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