Hilfe in der dunkelsten Stunde: Die stille Arbeit der Notfallseelsorger in Minden

Minden. Petra Flohrer muss nicht lange überlegen: &bdquo;Jedes Mal, wenn Kinder involviert sind, sind die Einsätze besonders herausfordernd.“ Bernd Rathert und Ingo Schmidt nicken und stimmen ihrer Kollegin zu. Alle drei sind als Notfallseelsorger für den evangelischen Kirchenkreis Minden tätig. Sie rücken bei Unglücken aus, überbringen zusammen mit der Polizei Todesnachrichten an Angehörige und geben unmittelbar nach häuslichen Todesfällen Hinterbliebenen Halt. 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag stehen sie und weitere 13 Ehrenamtliche bereit, um Betroffene nach einem erschütternden Ereignis zu begleiten. Eine Aufgabe, die auch für die Seelsorger selbst nicht immer leicht zu verkraften ist. &bdquo;Ich bin dann auch mal Tage nach einem Einsatz raus, nehme mir eine Auszeit und schalte alles ab“, sagt Bernd Rathert. Der Mindener ist Trauerredner und hat - genau wie alle anderen Ehrenamtlichen bei der Notfallseelsorge - eine Vorbildung. Ingo Schmidt aus Petershagen ist außerdem ehrenamtlich bei der Krankenhausseelsorge aktiv, Petra Flohrer beim Trauercafé und der Sterbe- und Palliativbegleitung beim Hospizkreis. &bdquo;Die Vorbildung ist sehr wichtig“, betonen sie alle, wenn sie über ihre herausfordernde Arbeit sprechen. Allein fünf Monate lang dauert die Ausbildung zum Notfallseelsorger in OWL, Petra Flohrer hat sie zuletzt durchlaufen. Lesen Sie auch: Notfallseelsorger brauchen Unterstützung So läuft die Fachausbildung zum Notfallseelsorger &bdquo;Das war schon harter Tobak“, blickt die Mindenerin auf den Intensivkurs zurück. Es sei sehr anstrengend und anspruchsvoll gewesen, jedoch habe sie eine sehr gute Ausbildung genossen. In insgesamt 110 Unterrichtseinheiten geht es in der Fachausbildung etwa um rechtliche Rahmenbedingungen, den Umgang mit Angehörigen nach einem Suizid oder wie man mit eigenen Belastungen umgeht. &bdquo;Das hat mich wirklich gut vorbereitet“, sagt sie rückblickend. Doch die Praxis sei dann doch etwas anderes. &bdquo;Bei den ersten Einsätzen ist man dann gemeinsam mit erfahrenen Seelsorgern unterwegs“, sagt Andreas Wilmsmeier. Der Pfarrer aus Hahlen ist Beauftragter für die Notfallseelsorge und auch selbst im Einsatz. Neben ihm koordiniert der ehemalige Häverstädter Pfarrer Matthias Rausch die Einsätze vor Ort und für ganz Ostwestfalen-Lippe. &bdquo;Wir sind von Schlüsselburg bis Kleinenbremen im Einsatz“, erklärt Wilmsmeier und stellt klar, dass die Notfallseelsorge für jeden Menschen da ist. Sie gelte allen Menschen, gleich welche Konfession, Religion oder Weltanschauung sie haben. &bdquo;Wir kommen für jeden, egal wann und wo.“ Notfallseelsorger arbeiten, wenn Notarzt und Polizei weg sind Allein im Jahr 2024 wurden die Ehrenamtlichen 90 Mal alarmiert, darunter waren das tödliche Schiffsunglück auf dem Mittellandkanal in Minden, der schwere Verkehrsunfall in Hille, bei dem zwei junge Menschen starben und viele weitere schwere Unfälle. &bdquo;Das ist allerdings nur ein Teil der Arbeit“, sagt Ingrid Jagodzinski aus Minden. Bei diesen würden sie in ihren lilafarbenen Westen deutlich sichtbar sein und durch das große, öffentliche Interesse im Fokus stehen. Ein nicht unwesentlicher Teil ihrer Arbeit findet jedoch ohne Öffentlichkeit statt, sondern in den Wohnungen und Häusern von Hinterbliebenen. &bdquo;Wir fangen an zu arbeiten, wenn das Blaulicht weg ist“, sagen die Notfallseelsorger unisono. Oftmals müssten der Notarzt oder die Polizei weiter zum nächsten Einsatz und dann seien nur noch sie da. &bdquo;Menschen bekommen Angst und wissen nicht mit der Situation umzugehen.“ Dann sei es wichtig, da zu sein. &bdquo;Manchmal sagt man nur guten Tag und sonst nichts“, sagt Ingo Schmidt. Das Ehrenamt als Notfallseelsorger sei für ihn und seine Kollegen eine bewusste Entscheidung: &bdquo;Wir machen das, weil wir Menschen beistehen wollen.“ .responsive23-tuB4o8xGXc8FBx0y-bar-vertical-ehrenamt-in-deutschland { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-tuB4o8xGXc8FBx0y-bar-vertical-ehrenamt-in-deutschland { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-tuB4o8xGXc8FBx0y-bar-vertical-ehrenamt-in-deutschland { padding-top: 166.67%; } } Zum Thema Ehrenamt: Warum mehr Geld kein Anreiz für Helfer ist Viele ehrenamtliche Notfallseelsorger sind nicht mehr berufstätig Die 16 Ehrenamtlichen sowie die beteiligten Pfarrer organisieren sich dabei in einer Gruppe beim Messengerdienst Signal, um sich kurzfristig abzusprechen, wer zu welchem Einsatz fährt. Jeder Tag des Jahres ist in zwei Schichten geplant und abgedeckt. &bdquo;Es gibt einen Tag- und Nachtdienst, der jeweils zwölf Stunden läuft“, erklärt Wilmsmeier. Pro Dienst mache jeder Ehrenamtliche nur einen Einsatz. Alarmiert werden die Notfallseelsorger ähnlich wie etwa Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr - nämlich via App oder über einen Pieper. &bdquo;Der Unterschied ist, dass es für uns im Gegensatz zur Feuerwehr keine gesetzliche Regelung zum Verlassen des Arbeitsplatzes gibt. Viele Ehrenamtliche sind nicht mehr berufstätig“, erklärt Ingo Schmidt in dem Zusammenhang. Er selbst arbeitet noch und sei deshalb vor allem abends und an Wochenenden im Einsatz. In den rund sieben Jahren, in denen er dabei ist, habe er noch keine schlechten Erfahrungen mit Übergriffen oder Angriffen gemacht, über die Einsatzkräfte immer mehr klagen. &bdquo;Wir schaffen es, die Menschen runterzuholen und Ruhe in die Situation zu bringen“, sagt er. Er versteht seine Arbeit vor Ort oftmals als Mediator. Bei häuslichen Todesfällen würde die Notfallseelsorge etwa dezent und leise auftreten. &bdquo;Da ziehen wir unsere Weste gar nicht an.“ Notfallseelsorger müssen auf eigene Psychohygiene achten Die Notfallseelsorge der Kirche gibt es seit rund 30 Jahren, wie Wilmsmeier erklärt. Unter anderem bei der ICE-Katastrophe von Eschede wurde klar, wie wichtig sie sei. Zunächst hätten Pfarrer die Seelsorge übernommen, doch dabei stieß man schnell an Grenzen. &bdquo;Vor sieben Jahren sind wir hier mit Ehrenamtlichen gestartet“, sagt er und ist stolz, dass ein so großes und kompetentes Team an seiner Seite steht. Über neue Seelsorger würde man sich natürlich freuen - aber: &bdquo;Man muss wissen, auf was man sich einlässt. Das geht nicht einfach so.“ Das sehen auch Ingo Schmidt, Bernd Rathert, Ingrid Jagodzinski und Petra Flohrer so. &bdquo;Es gibt immer wieder neue Dinge. Jeder Einsatz ist anders“, sagt Rathert. Er und die weiteren Notfallseelsorger treffen sich einmal im Monat, um über das Erlebte zu sprechen und voneinander zu lernen. &bdquo;Die eigene Psychohygiene ist ganz wichtig“, betont Schmidt. Jeder habe persönliche Ansprechpartner, man belaste nicht seinen Partner oder seine Partnerin. &bdquo;Es muss nach ein paar Tagen aus dem Kopf sein“, nennt Schmidt sein persönliches Credo. Notfallseelsorgerin erklärt: Wie Kinder den Tod begreifen können Notfallseelsorger haben sich einen guten Ruf erarbeitet Ingrid Jagodzinski erinnert sich noch gut an einen Einsatz, der sie an ihre Grenzen brachte. &bdquo;Es gibt dann Trigger, gegen die man nichts machen kann.“ Konkret ging es bei ihr darum, dass es bei einem Todesfall viele Parallelen zur eigenen Familie gab, eine Person genau wie ihr Sohn hieß und sie sich deshalb kurzzeitig zurückzog. &bdquo;Wir sind Menschen und müssen auch für uns selbst sorgen.“ Um sicherzugehen, dass man nicht bei Einsätzen aktiv ist, wo Freunde und Bekannte involviert sind, gilt das Motto: &bdquo;Wer drin ist, ist draußen.“ In den letzten Jahren sind die Notfallseelsorger verstärkt an Schulen tätig, etwa nach dem Tod einer Lehrerin oder eines Mitschülers. &bdquo;Wir kommen in Absprache mit der Schulleitung und betreuen dann die Kinder“, sagt Jagodzinski. Dabei werden etwa Gedenkräume gestaltet. Sie und ihre Kollegen betonen dabei nicht nur die gute Zusammenarbeit mit Schulen, sondern auch mit den Einsatzkräften der Feuerwehr und Polizei. &bdquo;Wir haben uns in den letzten Jahren ein Standing erarbeitet und man weiß, was wir können.“ Gottesdienst feiert Zusammenarbeit von Seelsorge, Polizei und Rettungskräften So gab es jüngst eine Zusammenarbeit mit der Polizei - ein dreitägiger Workshop. &bdquo;Wie überbringe ich Todesnachrichten?“, war eine der Fragen, die gemeinsam mit den Beamten erörtert wurden. Mit einem Blaulicht-Gottesdienst in der Martinikirche soll die Zusammenarbeit mit Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr und DRK noch einmal symbolisch gefeiert werden. Denn eines ist klar: Die nächsten gemeinsamen Einsätze kommen gewiss.

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