Die Spur führt wohl zur albanischen Mafia: War in Minden die Organisierte Kriminalität aktiv?

Minden. Umgeben von Feldern und einem Polizisten in der Nachbarschaft wuchsen die rund 1.300 Cannabispflanzen unter besten Bedingungen auf zwei Etagen. Jährlich hätte das &bdquo;Gras“ in der Menge eine Million Euro einbringen können, schätzt das Landeskriminalamt (LKA). So hoch war der Straßenverkaufswert. Diejenigen, die die illegale Aufzucht am Rande von Kutenhausen in einer kleinen Wohnsiedlung betrieben, kannten sich aus. In der Halle befanden sich 177 Lampen, 55 Ventilatoren, 19 Filter, elf Lüfter, acht Thermostate, sieben Heizstrahler und diverse Vorschaltgeräte. Dahinter verbargen sich Profis, sie agierten unauffällig und zogen die Fäden im Hintergrund nahezu unsichtbar für Nachbarn und Ermittler. Wer durch den Vordereingang ins Gebäude der ehemaligen Druckerei gelangt, ahnt nicht, was sich im hinteren Teil abgespielt hat. Vorne sind mehrere Fenster gelagert, was auf eine Firma hindeutet, die damit gehandelt haben könnte. Um in den hinteren Bereich zu kommen, ist eine große Tür zu öffnen. Dahinter liegen im Erd- und Obergeschoss isolierte Räume. Kabel hängen von den Decken, viel Elektronik ist hier angebracht. Ein Jahr ist vergangen, seitdem die Plantage aufgeflogen ist. Auf dem Boden stehen zahlreiche Pflanzsäcke mit Erde und gammeln vor sich hin. Das Cannabis haben die Ermittler beseitigen lassen. Im Haus gibt es noch einige Klamotten und Spuren von Menschen wie dem Gärtner, die dort gewohnt haben. Ansonsten steht es leer. Die Polizei hat diese Drogenplantage – sie zählt zu den größten, die je im Kreis Minden-Lübbecke entdeckt worden sind – zufällig im Goldammerweg aufgespürt. Gleich vor Ort verhafteten die Beamten im November 2023 auch den Gärtner der Anlage, einen Albaner. Er stand vermutlich am Anfang der Nahrungskette. Es blieb bisher bei der einen Verhaftung. Auch der Eigentümer der Immobilie hat juristisch bisher offenbar nichts zu befürchten. Anwohner wundert das. Inzwischen steht fest, dass die Kripo mit ihren Ermittlungen nicht bis zu den Drahtziehern vorgedrungen ist. Bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld laufen derzeit keine Verfahren mehr zur Aufzucht, heißt es auf MT-Anfrage. Es verdichten sich die Anzeichen, dass die albanische Mafia und die Organisierte Kriminalität die Drahtzieher sind. Auch das LKA schließt das nicht aus, kommt eigenen Angaben zufolge aber nicht einfach so an die Köpfe hinter der Plantage heran. Was alle Albaner aus der Szene eint: Sie schweigen eisern und machen niemals Angaben zu ihren Auftraggebern. Da sei ein Kodex, heißt es in einer ZDF-Doku über die albanische Mafia und darüber, wie sie den Kokain-Markt in Europa im Griff hat. Auch der in Minden verhaftete Gärtner will eigenen Aussagen zufolge nicht gewusst haben, für wen er arbeitet. Namen nannte er in den Befragungen keine. Diese Aussage wiederholte er während des Prozesses vor dem Amtsgericht Minden. Das Schöffengericht zweifelte die Angaben zwar an. Doch auch während des Berufungsverfahrens vor dem Landgericht Bielefeld wich der Angeklagte von seiner Position nicht ab. Er berichtete, dass er im August 2023 mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern nach Deutschland eingereist sei. In Dortmund hatte er offenbar in einem Café Kontakt zu einer Person, dessen Identität den Ermittlern bislang nicht bekannt ist. Dieser Mann stellte ihm die Wohnung im Goldammerweg zur Verfügung. Als Gegenleistung sollte der Albaner die Pflanzen der Plantage versorgen. Das tat er zwei Monate, bis die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bochum vor der Tür stand. Die Beamten prüften einen Verdacht, bei dem es um den Besitz eines gefälschten griechischen Reisepasses ging. Hinweise auf eine Cannabis-Zucht hatten sie keine. Dabei handelte es sich lettlich um einen Glückstreffer. Die 22. Kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld stellte in der Urteilsbegründung auch fest, dass sich der Albaner vor seiner Einreise in einer schwierigen Situation befunden hatte. Nach dem Tod seines Vaters habe er sich als einziger Sohn verpflichtet gefühlt, für seine Mutter und Schwester zu sorgen. Verwandten schuldete er Geld für eine Operation der Mutter. Der Angeklagte soll mit 60.000 Euro in der Kreide gestanden haben. Um mehr Geld zu verdienen als in einer albanischen Schuhfabrik, zog es ihn nach Deutschland. Wahrscheinlich wurde er schon in seinem Heimatland für die Plantagen-Betreuung angeheuert, denn ein zielloser Umzug mit Familie und Kindern klingt wenig plausibel. Nach seiner Ankunft in Minden erhielt der Mann von seinem Auftraggeber circa 600 Euro für den Lebensbedarf. Der Plantagenarbeiter ging davon aus, nach drei Monaten etwa 2.000 bis 3.000 Euro zu erhalten. Zudem sollten Gläubiger in Albanien über seinen Auftraggeber Geld bekommen. Das Landgericht bestätigte das Urteil des Mindener Amtsgerichts: Der 32-jährige Gärtner muss für zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis, wo er sich bereits seit seiner Festnahme befindet. Weiterhin in Freiheit lebt dagegen ein 49-Jähriger aus Dortmund, der die Immobilie vor drei Jahren erworben und umgestaltet hatte. Er hatte eine 100 Quadratmeter große Wohnung neben der Lagerhalle eingerichtet. Der Eigentümer hat albanische Wurzeln und führt ein Unternehmen im Baugewerbe, das Insolvenz angemeldet hat. Bereits 2019 schrieb die Firma rote Zahlen, wie Bilanzen zu entnehmen ist, die dem MT vorliegen. Vor Gericht sagte der Gärtner, dass er den Eigentümer nicht kenne. Dessen Privaträume durchsuchten die Ermittler ebenfalls. Die Polizei wertete die Handys der Männer aus und stellte fest, dass sie darüber nicht kommuniziert hatten. Anwohner gaben jedoch an, die beiden häufiger zusammen gesehen zu haben. Der Gärtner habe den Namen des Dortmunders genannt. Der wiederum habe die Frau seines &bdquo;Angestellten“ zum Arzt gefahren. In der Nachbarschaft herrscht Verwunderung, dass der Eigentümer ohne Anklage davonkommt. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld teilt mit, dass die Zeugenaussagen ihr bekannt seien, geht auf Nachfrage aber nicht weiter auf Details ein. &bdquo;Ungeachtet dessen ließ sich ein hinreichender Tatverdacht nicht begründen“, so Sprecherin Kim Beatrix Simon. Dieser sei erst gegeben, wenn eine Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit voll gültigen Beweismitteln wahrscheinlich sei. Hat der Eigentümer möglicherweise die Lagerhalle an jemand anderen verpachtet? Oder hat er nur alle Spuren, die ihn belasten könnten, verwischt? Oder ist er tatsächlich komplett unbeteiligt? Diese Fragen bleiben offen. Fest steht, dass eine Beteiligung albanischstämmiger Tatverdächtiger in Bezug auf den illegalen Anbau von Betäubungsmitteln in den vergangenen drei Jahren merklich zugenommen hat, teilt das LKA mit (siehe Grafik). Die Täter würden vor allem Profi- (100 bis 999 Cannabispflanzen) und Großplantagen (mehr als 1.000 Pflanzen wie in Kutenhausen) betreiben. So nahm die Polizei in diesem Jahr in Steinheim (Kreis Höxter) eine Cannabisplantage hoch. Wie im Mindener Fall standen albanische Gärtner vor Gericht. Auch sie sollen von einem Café in Dortmund beauftragt worden sein. Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, etwa aus Löhne oder Hagen, bei denen auch immer wieder Albaner mitgewirkt haben. Das LKA stellt fest, dass diese Anlagen Bezüge zur Organisierten Kriminalität mit strikter Arbeitsteilung aufweisen. &bdquo;Bei den in den Plantagen festgenommenen Personen handelt es sich in aller Regel um eigens für den Betrieb und die Versorgung der Pflanzen rekrutierte Personen“, so ein LKA-Sprecher. Diese Menschen würden dort wohnen, man würde sie von außen mit den Dingen des alltäglichen Bedarfs versorgen. Dadurch müssten sie die Anlagen nicht verlassen. &bdquo;Aufgrund dieser hierarchisch getrennten Vorgehensweise können die festgenommenen Personen oftmals kaum Angaben zu ihren Auftraggebern machen“, heißt es. Die Ermittler beobachten, dass sich die verantwortlichen Hintermänner in Albanien befinden. &bdquo;Da sie in Nordrhein-Westfalen selbst keine Straftaten begehen, sind sie im Zuge des deutschen Strafverfahrens schwer zur belangen“, teilt der LKA-Sprecher mit. Dies erschwere eine nachhaltige Zerschlagung der gesamten Täterstrukturen. Aktuelle Ermittlungsergebnisse würden außerdem belegen, dass albanisch dominierte Tätergruppen insbesondere in Handel und Einfuhrschmuggel von Kokain und Marihuana aktiv seien und hier Strukturen für Transport und Verteilung der Betäubungsmittel bereitstellen. Ob die Ermittler jemals an die Hintermänner der Plantage in Kutenhausen gelangen? Aktuell deutet wenig darauf hin. Dass jemand aus dem Umfeld singen könnte, gilt nahezu als ausgeschlossen.

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