In die Falle gelockt: „Pädophilen-Jäger“ stellen 33-Jährigen am Mindener Bahnhof

Minden. In der Nähe des Mindener Bahnhofs kommt es an jenem Samstagnachmittag zur Konfrontation. Ein 33-Jähriger steigt aus dem Zug und geht von Gleis 12 über den Parkplatz in Richtung Viktoriastraße. Der Mann aus dem Landkreis Schaumburg möchte sich mit einer Zwölfjährigen treffen. Plötzlich umstellen ihn mehrere ernst dreinblickende, teils muskelbepackte Männer und teilen ihm mit, dass er Hauptdarsteller ihrer Dreharbeiten sei. Die Gruppe selbst nennt sich die &bdquo;Pedo Hunters“ (übersetzt: Pädophilen-Jäger), der 39-jährige Kölner Ex-Polizist Nick Hein führt sie an. 2014 hat er seine Beamtenlaufbahn für die Karriere als Profikampfsportler beendet. Nach seinem letzten Kampf im Jahr 2019 ist er seit 2020 im Internet aktiv. Sein Ziel ist es dort, Pädophile aufzuspüren und sie zu Treffen zu bewegen. Dabei filmen &bdquo;Pedo Hunters“ ihre Vorgehensweise und auch das Finale. Das ist die Situation, wenn sie die mutmaßlichen Pädophilen in die Falle gelockt haben, mit den Tatvorwürfen konfrontieren und die Polizei einschalten. Immer dabei ist die laufende Kamera. Im Anschluss landen die zusammengeschnittenen Aufnahmen auf der Internet-Plattform Youtube. Dort kommen sie gut an. Die bislang 24 Videos von Hein wurden bereits mehr als 13 Millionen Mal geklickt. &bdquo;Ich möchte euch von Herzen danken, für das was ihr tut. Ich als Vergewaltigungs-Opfer finde es stark, was ihr macht!“, kommentiert dort eine Person. Die Ermittlungsbehörden finden allerdings keinen Gefallen am Format und äußern sich kritisch dazu. Objektiv sind die teils reißerischen Beiträge der &bdquo;Pedo Hunters“ ohnehin nie. Kritiker wie andere Youtuber argumentieren, dass es den Machern darum gehe, die mutmaßlichen Täter vorzuführen und sie vor ein öffentliches Tribunal zu stellen. &bdquo;Er ist so irre, dass man nicht weiß, ob Jimmy lügt“ Auch in Minden waren die &bdquo;Jäger“ aktiv und haben davon im vergangenen Mai einen Beitrag veröffentlicht, der auf 450.000 Aufrufe kommt. &bdquo;Wir haben Deutschlands dreistesten Lügner und Pädokriminellen verhaften lassen“, kündigt Hein darin anfangs an. Die Gruppe nennt den Mann &bdquo;Jimmy“ und Hein sagt über ihn: &bdquo;Er ist so irre, dass man nicht weiß, ob Jimmy lügt oder ob er tatsächlich der Schlimmste ist, denn wir je hatten.“ Auf Jimmy ist die Gruppe im Internet gestoßen, wie genau das erfolgte, wird nach einem Bericht des &bdquo;Mindener Tageblatts&bdquo; nicht klar. In anderen Videos gelang das über Ebay-Kleinanzeigen und Babysitter-Announcen. Ein halbes Jahr soll sich ein Mitglied der &bdquo;Hunters“ als zwölfjährige Nina ausgegeben und mit Jimmy geschrieben haben. Dabei habe er vom Geschlechtsverkehr mit seiner Cousine (13) und dem Nachbarsmädchen (12) erzählt und angegeben, dass er es gerne jung mag, so Hein. Darüber hinaus soll er Nina gefragt haben, ob sie Sex miteinander haben wollen. Am Mindener Bahnhof observiert die Gruppe den Mann aus dem Kreis Schaumburg, bis ihn Hein schließlich anspricht und &bdquo;Zugriff“ in sein Mikrofon ruft. Jimmys Gesicht ist im Video unkenntlich gemacht. Im Gespräch erklärt der Mann mit dem roten Rucksack, dass er tatsächlich eine zwölfjährige Freundin besuchen wollte, aber dabei keine Absichten gehabt habe. Hein lässt das nicht gelten und führt an, dass der Mann Lockvogel &bdquo;Nina“ kinderpornografisches Material geschickt habe. &bdquo;Warum willst du dich mit kleinen Mädchen treffen, um Sex zu haben?“, fragt der Ex-Polizist. Für den umstellten, hageren Jimmy gibt es hier keinen Ausweg. Er versucht, sich dennoch herauszureden, während die Kameras auf ihn gerichtet sind: &bdquo;Ich bin auch angeklagt wegen so etwas und das ist gerade mein Problem.“ In dem Video behauptet er, dass jemand anderes seine Handynummer und E-Mail-Adresse genutzt habe. &bdquo;Ich werde verurteilt für irgendetwas, was ich gar nicht gemacht habe.“ Warum er selbst mit der angeblichen Zwölfjährigen für das Treffen telefoniert hatte und seine Kamera dafür einschaltete, kann er nicht beantworten. Jimmy erwähnt auch Hausdurchsuchungen und dass die Polizei bei ihm gewesen sei. &bdquo;Lass dich einweisen!“, fordert ein Mitglied der Gruppe. Die Szene endet damit, wie die Mindener Polizei nahe des Bahnhofs zu sehen ist. Wie es hinterher weitergeht und ob diese Konfrontationen strafrechtliche Relevanz für die Justiz hat, bleibt in dem Video offen. Eine MT-Anfrage dazu ließen die &bdquo;Pedo Hunters“ unbeantwortet. Im Fall von Jimmy ermittelten die Behörden tatsächlich weiter. Das MT hat rekonstruiert, was im Anschluss geschehen ist. Nach Angaben der Polizei Minden-Lübbecke fand das Treffen Anfang November 2022 statt, nach dem Hinweis der &bdquo;Pedo Hunters“ fuhr ein Streifenwagen zur Viktoriastraße. &bdquo;Aufgrund der Gesamtumstände wurde der Tatverdächtige vor Ort vorläufig festgenommen und in die Mindener Dienststelle gebracht“, teilt Thomas Bensch auf MT-Anfrage mit. Mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln Dabei habe sich den ersten Ermittlungen zufolge der Tatverdacht auf &bdquo;sexuellen Missbrauch von Kindern - Einwirkung auf ein Kind zur Vorbereitung sexuellen Missbrauchs“ erhärtet, so Bensch. Hieraus sei ein Antrag von der Staatsanwaltschaft Bielefeld auf Untersuchungshaft erfolgt. Einen Tag nach dem Treffen mit der Gruppe um Hein musste der Mann für die U-Haft ins Gefängnis. Danach wechselten die Zuständigkeiten, es ermittelten die Staatsanwaltschaften in Bielefeld, Bückeburg und Hannover gegen den inzwischen 34-Jährigen. Im Februar 2023 musste sich der Mann aus dem Kreis Schaumburg vor dem Amtsgericht Bückeburg verantworten. Die Polizei hatte seinen Wohnsitz bei den Eltern zweimal durchsucht. Bei Razzien fanden die Beamten im Mai 2022 kinderpornografische Dateien im dreistelligen Bereich und im Juni 2022 erneut 14 verbotene Aufnahmen. Bereits vor den &bdquo;Pedo Hunters“ hatte die Polizei den Mann auf dem Schirm. Hinzu klagte ihn die Staatsanwaltschaft an, weil er den sexuellen Missbrauch eines Kindes vorbereitet haben soll. Das geschah in den Chats mit den &bdquo;Pedo Hunters“. Am Ende wurde der 34-Jährige zu einer rechtskräftigen Haftstrafe (ein Jahr und sechs Monate) auf Bewährung verurteilt, wie die Staatsanwaltschaft Hannover auf MT-Anfrage mitteilt. Das Bundeskriminalamt warnt Kann man daraus schließen, dass die &bdquo;Pedo Hunters“ ein verlängerter Arm der Polizei oder Staatsanwaltschaft sind? Schließlich steuern sie Beweismaterial bei und überführen vermeintliche Kriminelle. Nein, meint das Bundeskriminalamt (BKA) und rät von einer solchen Vorgehensweise ab. Die Verfolgung von Straftaten obliege ausschließlich den Strafverfolgungsbehörden, heißt es. &bdquo;Durch das hier beschriebene Verfahren besteht die Gefahr, sich selbst strafbar zu machen“, so eine Sprecherin. Gerade im Bereich Sexualdelikte zum Nachteil von Minderjährigen könne die Schwelle zwischen &bdquo;wohlgemeintem Handeln“ und der Begehung einer Straftat schnell erreicht sein. &bdquo;So kann ein derartiges Vorgehen unter anderem als Anstiftung zu einer Straftat ausgelegt werden.“ Insofern befinden sich die &bdquo;Pedo Hunters“ in einer rechtlichen Grauzone und bekamen Hein zufolge mehrere Strafanzeigen, die alle fallengelassen worden seien. Das BKA rät von einer aktiven Suche oder dem Provozieren einer Straftat ausdrücklich ab. &bdquo;Wenn solche Sachverhalte im Internet bekannt werden, sollte dies umgehend an die Polizei oder den Beschwerdestellen gemeldet werden“, teilt die BKA-Sprecherin mit. Außerdem könnten im Rahmen sogenannter &bdquo;Selbstermittlungen“ sexualisierte Darstellungen von Kindern oder Jugendlichen versendet, empfangen, weitergeleitet oder gespeichert werden. &bdquo;Auch wenn dies nicht gewollt ist, kann eine Strafbarkeit in Betracht kommen.“ Dann greift der Paragraf 184b des Strafgesetzbuchs, in dem es um Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte geht. Doch warum macht Hein das Format, für das er um Spenden wirbt, überhaupt? In einigen Videos spricht er davon, den Tätern Lektionen zu erteilen und Angst einflößen zu wollen. Dem Mann in Minden, Jimmy, wolle er beispielsweise &bdquo;Dinge eintrichtern, die er hören muss“. Dem Nachrichtenmagazin Spiegel sagte Hein im Dezember 2021: &bdquo;Wenn wir das nicht so machen, dann würde sich doch niemand dafür interessieren.“ Er wolle sich von altbackenen deutschen Berichterstattungsformaten distanzieren und auf Probleme aufmerksam machen. Dabei verdiene er weder Geld, noch betreibe er Selbstjustiz. Immer wieder schwingt Kritik an der Arbeit der Ermittler mit. Andersherum gibt es Kritik an Hein von N.I.N.A., einer Anlaufstelle für von sexualisierter Gewalt betroffene Mädchen und Jungen, und &bdquo;Kein Täter werden“, einem Therapieangebot für Menschen mit pädophiler Neigung, wie das Online-Magazin Vice berichtete. Ein Sprecher von &bdquo;Kein Täter werden“ betonte in dem Beitrag, dass zwischen Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch unterschieden werden müsse: &bdquo;Für seine sexuellen Fantasien kann niemand etwas, für sein Verhalten hingegen schon.“ In den Videos der &bdquo;Pedo Hunters“ wird nie klar, ob es bei den Bloßgestellten wirklich um Pädophile oder Pädokriminelle handelt. Letztere setzen ihre pädosexuellen Wünsche um und machen sich strafbar, die anderen nicht. Um all das geht es Hein offenbar nicht. Zum Schluss des in Minden gedrehten Videos fällt der Satz &bdquo;Youve been busted“ (Du wurdest erwischt). Für die &bdquo;Pedo Hunters“ gleicht der Besuch im Mühlenkreis einem Erfolg. Ihre Falle schnappte hier publikumswirksam zu.

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