Mit Vollgas hinterher: So laufen Verfolgungsfahrten der Polizei im Kreis Minden-Lübbecke ab

Minden. Mit Vollgas und quietschenden Reifen fährt das Polizeiauto dem Wagen hinterher, rammt ihn seitlich, drängt ihn in die Enge, überholt waghalsig und stellt sich schließlich quer vor ihn. Es qualmt, es dampft, die Autos sind kaputt - und die Verfolgung beendet. So oder so ähnlich laufen spektakuläre Verfolgungsjagden im Film ab. Tausendmal gesehen. &bdquo;Das hat aber rein gar nichts mit der Polizeirealität zu tun“, erklärt Sven-Otto Deubel. Der Erste Polizeihauptkommissar ist Leiter der Mindener Leitstelle, in der auch Verfolgungsfahrten koordiniert werden. Und auch eine Verfolgungsfahrt, die sich im Sommer in Herford ereignet hatte, bei der ein 19-Jähriger mit 34 Schüssen aus Polizeipistolen schwer verletzt wurde, gehört nicht zum Alltag der Beamten. &bdquo;Das kann keiner wollen“, kommentiert Deubel den Fall, der bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte. Und trotzdem kommen sie vor, die Einsätze, bei denen die Beamten von jetzt auf gleich schalten und dem Auto mit Vollgas hinterher müssen. Oft ergeben sich solche Situationen aus ganz gewöhnlichen Verkehrskontrollen. &bdquo;Dann wollen wir zum Beispiel die Fahrtüchtigkeit des Fahrers und/oder die des Fahrzeugs überprüfen und schalten den Anhaltesignalgeber &bdquo;Stopp! Polizei!“ ein“, beschreibt Ilka Hahler einen üblichen Ablauf. Die Polizeihauptkommissarin ist ehemalige Dienstgruppenleiterin im Wach- und Wechseldienst und jahrelang in Minden Streife gefahren. Wenn der Autofahrer dann in dem Moment Gas gebe, sei schnell klar, dass etwas nicht stimme. Einen kurzen Moment würden die Beamten dann innehalten und abwarten, ob der Fahrer vielleicht doch noch anhält und das Gasgeben nur eine Kurzschlussreaktion war. Ist das nicht der Fall, geht alles ganz schnell. &bdquo;Dann schalten wir Blaulicht und Einsatzhorn ein und nehmen die Verfolgung auf“, erklärt Ilka Hahler. Das Dilemma sei, dass die Polizisten in der Regel überhaupt keine Ahnung hätten, warum der Autofahrer flieht. Das könne der 16-Jährige sein, der Papas Auto &bdquo;geliehen“ habe oder jemand, der unter Alkohol- oder Drogeneinfluss steht. &bdquo;Dadurch hat der Fliehende auf jeden Fall einen gedanklichen Vorsprung“, beschreibt Ilka Hahler eine Schwierigkeit. Funkkommunikation im gesamten Kreisgebiet wird eingestellt Haben die Beamten die Verfolgung aufgenommen, läuft ein festgelegtes Szenario ab. Sofort werde die Fahrt bei der Leitstelle angemeldet und die Funkkommunikation im gesamten Kreisgebiet eingestellt, bedeutet: alle anderen müssen ruhig sein, nur die Leitstelle und die beiden an der Verfolgungsfahrt beteiligten Beamten kommunizieren weiterhin über Funk - wobei im Auto gelte: Einer fährt, einer funkt. So schnell wie möglich versuchen die Polizisten, erste Infos zu geben: Um welches Auto handelt es sich, wie lautet das Nummernschild, wo befindet sich das Auto und in welcher Richtung, wie ist das Fahrverhalten und wie viele Personen sitzen darin. Über die Leitstelle wird dann die Verfolgungsfahrt koordiniert. &bdquo;Nichts ist so schnell wie der Funk“, nennt Sven-Otto Deubel einen Merksatz der Polizei. So würde über die Leitstelle zum Beispiel auch die weiträumige Koordination weiterer Einsatzfahrzeuge geregelt. &bdquo;So können wir zusätzliche Wagen zur Unterstützung in die Nähe holen“, erklärt der Hauptkommissar. Beamten haben gesunden Selbsterhaltungstrieb Auch ein Hubschrauber könne hinzugezogen werden. &bdquo;Der ist schneller und kann die Verfolgung auch dann noch halten, wenn die Geschwindigkeit für die Beamten zu hoch wird. Unsere Autos sind ganz normale Serienfahrzeuge, die haben nicht mehr PS als andere“, macht Hahler deutlich. Und außerdem hätten die Kollegen einen gesunden Selbsterhaltungstrieb und würden keine Gefahren eingehen. Überhaupt stehe über jeder Verfolgungsfahrt der Schutz aller Unbeteiligten. &bdquo;Es muss unbedingt vermieden werden, dass irgendjemand bei einem solchen Einsatz überfahren wird“, nennt Thomas Bensch, Pressesprecher bei der Mindener Polizei, ein Beispiel. Und auch der Schutz des Flüchtenden und der eingesetzten Beamten hätte oberste Priorität. So könnte eine Verfolgungsjagd auch abgebrochen werden, wenn dadurch eine zu große Gefahr für die Beteiligten oder den gesamten Straßenverkehr entstehe. Dann sei eine kontrollierte Nachfahrt eventuell die bessere und sicherere Lösung. Psychische und Physische Extremsituation Egal, in welchem Tempo, eine Verfolgungsfahrt sei nichts, was man sich als Polizist auf Streife wünsche. &bdquo;Das ist immer eine psychische und physische Extremsituation für die Kollegen“, weiß Sven-Otto Deubel. Mit ihr seien vielfältige Gefahren verbunden. Und trotzdem käme in den oft brenzligen Situationen der &bdquo;Jagdtrieb“ zum Vorschein, wie es seine Kollegin Ilka Hahler beschreibt. &bdquo;Wir wollen den, der da flieht, schon fassen, das ist schließlich unser Job. Wir wollen den festnehmen“, erklärt sie den Antrieb und erzählt eine Geschichte, die deutlich macht, dass das nicht immer leicht ist - auch wenn keine hohe Geschwindigkeit im Spiel ist. So hat sie einmal einen Rollerfahrer über 20 Kilometer verfolgt, der einfach nicht angehalten habe. Der sei von Minden nach Hille und wieder zurück gefahren, einfach immer weiter gefahren. Schließlich habe man den Fahrer mit einer Straßensperre stoppen können. Das sei allerdings eine eher seltene Methode, Verfolgungsfahrten zu beenden. Besonders bei hoher Geschwindigkeit sei es viel zu gefährlich, Hindernisse auf die Fahrbahn zu bauen. Die meisten Verfolgungen würden damit enden, dass sich die Verfolgten festfahren. &bdquo;Das ist der Klassiker“, so Ilka Hahler. Dann würden sie entweder in einer Sackgasse oder in einem Graben landen oder sich auf einem Acker festfahren. Stop-Sticks kommen nur ganz selten zum Einsatz Einige würden auch aufgeben und nur ganz selten kämen sogenannte Stop-Sticks zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine moderne Version eines Nagelgürtels. Die dreieckige Banderole liegt fest auf der Straße. Sie besteht aus Hartschaum und Hülsen, die mit Spitzen versehen sind. Bei einem Gewicht von mehreren hundert Kilo brechen die Hülsen und die Spitzen bohren sich durch die Reifen der Fahrzeuge, die es zu stoppen gilt. Ganz langsam, um ein plötzliches Platzen der Reifen zu vermeiden, entweicht die Luft und die Reifen werden platt. &bdquo;Die Stop-Sticks zu platzieren ist allerdings koordinativ sehr anspruchsvoll und deshalb während Verfolgungsfahrten oft nicht praktikabel“, macht Pressesprecher Thomas Bensch deutlich. Er und seine beiden Kollegen können sich überhaupt nur an ein bis zwei Einsätze mit Stop-Sticks erinnern. &bdquo;Nur ganz selten liegt eine Leiche im Kofferraum“ Wie oft es zu Verfolgungsfahrten komme, sei statistisch nicht erfasst. Auch wenn die Einsätze von der Leitstelle protokolliert und von einer Kamera im Auto, dem Videoeigensicherungssystem, als zusätzliche Beweissicherung aufgenommen werden, tauchen sie nicht unbedingt als Verfolgungsfahrten auf, sondern werden zum Beispiel - wenn bei einer solchen Fahrt das Auto verunfallt - als Unfall aufgeführt. Manchmal gebe es am Wochenende mehrere Verfolgungen, manchmal wochenlang keine einzige. Die Gründe dafür seien eher profan. &bdquo;Aus unserer Erfahrung heraus handelt es sich meistens um Verkehrsdelikte, wie Fahren ohne Führerschein oder unter Alkohol- oder Drogeneinfluss“, berichtet Sven-Otto Deubel. &bdquo;Nur ganz selten liegt eine Leiche im Kofferraum“, scherzt der Erste Polizeihauptkommissar.

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