Trotz Endometriose zum Kind: So fasst eine Mindenerin nach zwei Fehlgeburten neuen Mut

Minden-Häverstädt. Mit geschlossenen Augen saugt der kleine Nils genüsslich an der Milchflasche. &bdquo;Gleich schläft er wieder ein“, sagt Anna-Marie Kühme, die ihren Sohn in den Armen hält und anlächelt. &bdquo;Unser Wunder“, flüstert sie dem Säugling, der im Mai zur Welt kam, liebevoll zu. An ihr Babyglück hat die junge Mindenerin lange selbst kaum zu glauben gewagt. Wie knapp zwei Millionen Frauen in Deutschland ist Anna-Marie Kühme an Endometriose erkrankt. Viele Jahre, zahlreiche Arztbesuche, Untersuchungen, schwere Operationen, Fehlgeburten und eine, wie sie sagt, Nahtoderfahrung später, hatten Ärzte es eigentlich für unwahrscheinlich gehalten, dass Kühme auf natürlichem Wege ein Kind zur Welt bringen könne. Im sozialen Netzwerk Instagram teilt sie ihren Lebensweg und zeigt dort die Höhen und Tiefen, die sie und ihr Mann bewältigt haben. Die heute 29-Jährige möchte anderen Frauen damit Mut machen und dafür sorgen, dass Betroffene mit Endometriose-Beschwerden ernst genommen werden. &bdquo;Ich habe die Symptome eigentlich schon immer“, sagt die junge Frau schulterzuckend. Sie schließt die Augen, denkt an ihre früheste Jugend zurück, während sie ihren Sohn in den Armen wiegt. &bdquo;Seitdem ich meine Periode habe, habe ich starke Schmerzen. Und die wurden von Mal zu Mal schlimmer.“ Ein Leben ohne Schmerzen, daran könne sie sich kaum erinnern. &bdquo;Ungefähr 14 Jahre war ich, da hat mein damaliger Frauenarzt mir die Minipille verschrieben, um die Symptome zu lindern.“ Hinterfragt habe sie das damals nicht. &bdquo;Das machte man eben so.“ Jahrelanger Ärztemarathon Auch sei ihr vermittelt worden, dass Schmerzen bei der Blutung normal seien. &bdquo;Man sagte mir alle Frauen hätten das, ich vielleicht etwas schlimmer. Aber damit müsse ich eben leben lernen.“ Anna-Marie Kühme wurde damals immer öfter krank, ihr Immunsystem litt, oft konnte sie nur in die Schule, wenn sie Schmerzmittel nahm. Jahrelang nimmt die Jugendliche diesen Zustand hin, kämpft sich durch den Alltag. Bis zur Diagnose ist es noch ein langer Weg. Kühme probiert durch ärztlichen Rat verschiedene Verhütungsmittel aus, die ihre starke Periodenblutung und die Beschwerden regulieren sollten. Eine Hormonspirale wird bei ihr eingesetzt, jedoch ohne den erhofften Erfolg. Stattdessen wird sie schwanger – ungeplant mit 22 Jahren. Das sei 2017 zunächst ein Schock für sie und ihren Partner Max gewesen, sagt die 29-Jährige. Ihr wird von ihrer damaligen Gynäkologin abgeraten, das Kind zu behalten. &bdquo;Mir wurde gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass das Kind mit einer Behinderung zur Welt kommt“, erzählt sie, während sie ihrem Säugling die Flasche gibt. Sie habe außerdem an Depressionen gelitten, die medikamentös behandelt wurden. Ein persönlicher Verlust im familiären Umfeld und die Symptome der noch unerkannten Endometriose-Erkrankung belasten die junge Frau. &bdquo;Die Schmerz-Medikamente, Antidepressiva und die Spirale seien nicht gut für den Embryo, sagte man mir“, erinnert sich die Mindenerin an das damalige Beratungsgespräch mit der Ärztin. Gemeinsam mit ihrem Partner Max habe sie sich dann entschieden, das Kind zu behalten. Kurz darauf stellt sie die Medikamente ein. &bdquo;Ich habe mir vorher regelrechte Schmerzmittel-Cocktails gemischt, um die Endometriose-Beschwerden zu ertragen. Ibuprofen, Paracetamol – das habe ich alles gemixt, so wie es mir gerade passte.“ Mit dem positiven Schwangerschaftstest habe sie damit aufgehört, um das Kind nicht zu gefährden. Plötzlicher Verlust Als Anna-Maria Kühme eines Tages nach einem Einkauf die Tüten eine Treppe hochtragen will, bekommt sie plötzlich starke Blutungen, im Krankenhaus bricht ihr Kreislauf zusammen. Die Diagnose: Eine Eileiterschwangerschaft. Sie verliert nicht nur den Embryo, sondern auch einen Eileiter, der in der Schwangerschaft geplatzt war. Erneut wechselt die Frau auf die Pille und wird drei Monate nach der ersten Fehlgeburt wieder ungeplant schwanger. Eine Berg- und Talfahrt der Gefühle für die damals 22-Jährige, die noch mit dem Verlust des ersten Kindes zu kämpfen hat. Auch diese Schwangerschaft verläuft nicht ohne Komplikationen. Kurz nach dem positiven Test hat sie erneut starke Blutungen und kommt zur Behandlung ins Bad Oeynhausener Krankenhaus. &bdquo;Keiner konnte erklären, woher die starken Blutungen kommen“, sagt Kühme heute, &bdquo;aber sie konnten nur durch eine Ausschabung gestoppt werden.“ Hoffnung schenken Die Verluste veranlassen die junge Frau dazu, den Verein &bdquo;Hope & Magic“ zu gründen. Sie sehnt sich nach Austausch mit anderen Betroffenen, findet jedoch in Minden keine für sie passende Anlaufstelle. &bdquo;Ich habe mich ziemlich allein gefühlt“, sagt sie. Der von ihr gegründete Verein setzt sich nun für die Eltern von Frühchen und Sternenkindern ein, um diese zu unterstützen. Die Ehrenamtlichen nähen bunte Mützen, Strampler und Söckchen, um den Krankenhausalltag etwas bunter zu gestalten. Mit dem Nähen der Babykleidung und der ehrenamtlichen Arbeit bewältigt Kühme ihre Trauer. Für Eltern von Sternenkindern, also Kinder, die vor, bei oder kurz nach der Geburt verstorben sind, stellen die Ehrenamtlichen ein Set zusammen und vermitteln Trauerredner für die Beerdigung. In den Sets enthalten sind unter anderen Dinge wie ein Wickeltuch und eine Erinnerungskerze. &bdquo;Alle Eltern sollten die Möglichkeit zum Trauern und einen Abschied haben. Wenn ein Kind stirbt, ist das immer ein Verlust, auch wenn es bereits tot geboren wird“, sagt die 29-Jährige mit fester Stimme. Einmal im Monat organisieren die Mitglieder des Vereins ein Trauer-Café in Porta Westfalica, wo sich Eltern und auch Angehörige austauschen können. Ende des Rätselratens - endlich eine Diagnose Das erste Mal hört die Mindenerin von der Krankheit Endometriose, als sie bei ihrer Tante festgestellt wird. &bdquo;Da wurde ich hellhörig, denn ihr Krankheitsbild überschnitt sich sehr mit meinen Symptomen.“ Daraufhin habe sie sich informiert, viel gelesen und ging schließlich erneut zum Frauenarzt, um mit ihm über ihre Vermutung zu reden. Zu der starken Regelblutung waren mittlerweile Darmblutungen hinzugekommen. Untersuchungen wie Bauch- und Darmspiegelungen lässt Kühme über sich ergehen, in der Hoffnung auf Gewissheit. Aber auch diese zeigen zunächst keine Auffälligkeiten. Bis sie schließlich im Oktober 2021 zu Prof. Dr. Philipp Soergel, Direktor des Klinikteams im Bereich Frauenheilkunde bei den Mühlenkreiskliniken wechselt. Er bestätigt Kühmes Verdacht und rät zur Operation, um das gewucherte Gewebe am Darm zu entfernen. Schon einen Monat später passiert es: Nach einer knapp sechsstündigen Operation wacht Kühme auf – mit einem künstlichen Darmausgang am Bauch. Die Endometriose habe ihre Organe und insbesondere ihren Darm so stark geschädigt, dass sich die Operateure zu diesem Schritt gezwungen sahen, heißt es damals. Nur so könne der Darm heilen. Zuerst sei sie erleichtert gewesen, diesen Schritt gewagt zu haben, erinnert sich Kühme. Doch dann treten Komplikationen auf und aus einem ursprünglich geplanten 14-tägigen Krankenhausaufenthalt werden rund anderthalb Monate. Zwei Mal liegt die 29-Jährige in diesem Zeitraum auf der Intensivstation, auch mit einer asymptomatischen Corona-Erkrankung inklusive Lungenentzündung und mit einem lebensbedrohlichen Darmdurchbruch mit einer Sepsis, auf die eine Not-Operation folgt. Spätfolgen der Erkrankung und der OPs &bdquo;Es sah nicht gut aus“, sagt die junge Mindenerin und schluckt. Sie beschreibt ihre Erlebnisse als Nahtoderfahrung. &bdquo;Ganz klischeehaft habe ich auch diesen Tunnel mit Licht gesehen“, sagt sie. &bdquo;Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen.“ Ihre Mutter und ihr Freund Max hätten ihr in dieser Zeit viel Kraft gespendet. Aufgrund der Corona-Auflagen durften nur die beiden sie besuchen. Noch heute spürt Kühme die Spätfolgen der Erkrankungen und OPs. &bdquo;Früher bin ich viel Fahrrad gefahren, gewandert und war mit dem Hund in der Natur unterwegs. Das geht in diesem Ausmaß leider nicht mehr. Auch darf ich aktuell nicht schwer heben.“ Zu schnell sei sie erschöpft, habe noch Schmerzen und Probleme mit der Verdauung. Nach der Not-Operation habe sie erneut laufen lernen müssen. Zuhause ruhte sie sich weiter aus. &bdquo;Dort wird man am schnellsten gesund“, ist sich Kühme sicher. Neben den körperlichen Einschränkungen seien durch die Erkrankung auch zwischenmenschliche Beziehungen zerbrochen und die Zukunftsplanung wurde durcheinandergewirbelt. &bdquo;Familie, Freunde, Jobs – ich habe vieles durch die Endometriose verloren“, sagt die junge Frau rückblickend. Auch für die Beziehung zu ihrem Partner Max seien die vergangenen Jahre eine Härteprobe gewesen. &bdquo;Aber er war immer für mich da, egal was gekommen ist.“ Am 23. Februar 2022 folgte dann der Heiratsantrag, drei Monate später die Hochzeit. Und damit auch die Frage: Wie geht es weiter? Ist eine Familienplanung überhaupt noch möglich? Überraschendes Babyglück &bdquo;Die Endometriose kann immer wieder zurückkommen, mit der Operation ist das Kapitel nicht abgeschlossen.“ Die Narben am Darm, die nicht reißen dürfen, der einzelne verbliebene Eileiter – all diese körperlichen Faktoren erschwerten eine natürliche Schwangerschaft, hätten Experten ihr gesagt. Wieder wechselt die 29-Jährige den Gynäkologen und wird bei einem Mindener Arzt fündig, der das Paar in ihrem Kinderwunsch unterstützen will und sich mit Endometriose-Patientinnen auskennt. Medizinern wieder zu vertrauen, das fällt der jungen Frau bis heute schwer. Zu lange habe sie sich in ihrem Leid nicht ernstgenommen gefühlt. Ein Medikament, das das Schleimhautwachstum hemmt, sollte ihre Endometriose hemmen, so der Rat. Im nächsten Schritt sollte dann eine künstliche Befruchtung stattfinden. Sechs Monate nimmt Kühme die empfohlene Pille, pausiert auf ärztlichen Rat und wird in dieser Zeit zum dritten Mal schwanger. &bdquo;Das war eine riesige Überraschung für uns, damit haben wir nicht gerechnet. Und jetzt ist der kleine Mann da.“ Strahlend schaut die junge Mutter zum Babybett, in dem Nils schlummert. Zwar sei die Schwangerschaft von vielen Arztbesuchen, -kontrollen sowie Angst vor einer weiteren Fehlgeburt und Verunsicherung geprägt gewesen, aber besonders das zweite Trimester habe das Paar unbeschwert genießen können. &bdquo;Eine normale Entbindung war nicht möglich, denn das Risiko für innere Verletzungen wäre zu groß gewesen.“ Per Kaiserschnitt kommt Nils schließlich zur Welt. Eine zweite gute Nachricht für die junge Mutter: Bei der Operation werden keine neuen Endometrioseherde im Bauchraum entdeckt. &bdquo;Die Schwangerschaftshormone haben während dieser Zeit die Krankheit quasi gestoppt“, erklärt die 29-Jährige. &bdquo;Nun genieße ich erst einmal meine Elternzeit. Alles Weitere muss man auf sich zukommen lassen.“

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