Verschleppt und zwangsprostituiert: So hilft die Beratungsstelle Nadeschda Opfern von Menschenhandel

Minden. Li lebt in einer Großstand in China. Die junge Frau und ihre Familie kommen plötzlich in eine finanzielle Notlage, Li braucht dringend Geld. Eine gute Bekannte der Familie bietet ihre Hilfe an und will Li eine Arbeitsstelle in Deutschland besorgen. Die Frau kümmert sich um die komplette Organisation und plant die Reise nach Europa. Li hofft auf einen besseren Verdienst als in ihrem Heimatland und damit auf ein besseres Leben - sie stimmt der Reise zu, obwohl sie nicht weiß, was tatsächlich auf sie zukommt. Und nur wenige Wochen später wird nichts mehr sein, wie es einmal war, denn Li landet in den Fängen krimineller Menschen und wird zur Prostitution gezwungen. Das Schicksal der jungen Chinesin ist Thema im jüngsten Kreis-Gleichstellungsausschuss, als Corinna Dammeyer über die Arbeit der Frauenberatungsstelle Nadeschda berichtet. Das Team hilft Frauen auch aus Minden-Lübbecke, die Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung geworden sind. Lis Qual dauert mehrere Monate. Dann ergreift sie in einem günstigen Moment die Flucht und kann sich in Sicherheit bringen. Mit der Unterstützung eines Mannes kommt sie nach Bochum, wo sie einen Asylantrag stellt. Durch die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Bielefeld wird sie schließlich an die Beratungsstelle in Herford vermittelt. Li ist schwer traumatisiert und braucht dringend Hilfe. Das Team von Nadeschda nimmt sie an die Hand und erstattet mit ihr zunächst einmal Anzeige bei der Polizei - in der Hoffnung, die mutmaßliche Täterin identifizieren zu können. Doch am Ende steht Aussage gegen Aussage, weshalb die Staatsanwaltschaft nichts als erwiesen ansieht und somit keine Anklage gegen die Verdächtige erhebt. Die junge Chinesin ist deprimiert, ihr fällt es schwer, mit dieser Situation umzugehen. Beratungsstelle gibt es bereits seit 1997 So wie Li geht es im Übrigen vielen Frauen, vor allem aus Westafrika. Sie werden in ihrem Heimatland von Kriminellen angeworben, nach Europa verfrachtet, zwangsprostituiert. Die Beratungsstelle Nadeschda versucht, den Opfern bestmöglich zu helfen. Bereits seit 1997 gibt es die Beratungsstelle, Corinna Dammeyer hat sie damals mitgegründet. Träger von Nadeschda ist die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen, Kommunen und Kreise in OWL leisten finanzielle Zuschüsse, um die Arbeit zu unterstützen. Der Name Nadeschda kommt aus dem Russischen und heißt übersetzt &bdquo;Hoffnung“. Hoffnung auf ein besseres Leben - das ist es, weshalb die Frauen in der Zwangsprostitution landen. Das ist es aber auch, was sie am Ende zur Beratungsstelle bringt. Dammeyer und ihr Team helfen den Opfern dann bei Behördengängen, begleiten sie bei Gerichtsverfahren, vermitteln Unterkünfte. In der Regel haben die Frauen nicht mehr dabei als eine Handtasche. Nadeschda stattet sie mit Jacken, Hosen, Schuhen und Hygieneartikeln aus, zählt die Sozialarbeiterin auf. Der Unterstützungsbedarf ist nach wie vor hoch Wie hoch der Bedarf an Unterstützung durch die Beratungsstelle nach wie vor ist, zeigt ein Blick auf die Fallzahlen. Im Jahr 2022 betreute Nadeschda 108 Frauen und 27 Kinder - im Jahr zuvor waren es 79 Frauen und 23 Kinder. Die niedrigeren Zahlen begründet Dammeyer mit der Corona-Pandemie, weshalb viele Frauen aus Angst vor Ansteckungen weniger gereist seien. Vor Corona hätten sich die Fallzahlen auf einem ähnlichen Niveau wie 2022 befunden. Etwa 40 Prozent der Frauen, die im vergangenen Jahr Hilfe bei Nadeschda suchten, waren zwischen 18 und 30 Jahre alt, viele kamen aus Nigeria (35 Prozent) und Guinea (13 Prozent), aber auch aus Gambia, Afghanistan oder Bulgarien. Wie bei der Chinesin Li ist es in den meisten Fällen schwierig, die Täterinnen oder Täter ausfindig zu machen und ihnen den Menschenhandel nachzuweisen. Oft wissen die Frauen gar nicht, mit wem sie es überhaupt zu tun haben - sie kennen von den Kontaktpersonen lediglich irgendwelche Spitznamen. Die Täter arbeiten über ein großes, kriminelles Netzwerk, berichtet Corinna Dammeyer: "Sie wissen, wo die Familien ihrer Opfer wohnen. Und sie üben entsprechend Druck aus." Von daher sei es wichtig, dass Nadeschda die Frauen in Deutschland an einen sicheren Ort vermittele. "Sie werden dezentral untergebracht, damit sie sich frei bewegen können und keine Angst haben müssen, dass sie plötzlich ihren Freiern über den Weg laufen." Es gibt im Übrigen auch Erfolge im Kampf gegen den Menschenhandel. Im Mai 2021 zum Beispiel verurteilte laut Auskunft der Beratungsstelle das Landgericht Bielefeld vier Männer im Alter von 21 bis 24 Jahren wegen schweren Menschenhandels und anderer Delikte. Im Zuge weiterer Ermittlungen im vergangenen Jahr sei ein weiterer Täter identifiziert und festgenommen worden. Für die betroffene Frau sei es sehr schwierig gewesen, vor Gericht dem Täter wieder gegenüberzustehen und über ihre Erlebnisse zu sprechen. "Aus diesem Grund ist eine engmaschige Begleitung zwingend notwendig - sofern die Klientinnen dies wünschen." Finanzierung der Arbeit vorerst gesichert Einige der Frauen schaffen den Weg zurück in ein normales Leben, finden in Deutschland einen Job oder beginnen eine Ausbildung. Bei der Betreuung, die zum Teil mehrere Jahre dauern kann, unterstützen auch viele Ehrenamtliche das Nadeschda-Team, berichtet Dammeyer stolz. Glücklich ist sie außerdem darüber, dass die Kommunen und Kreise in OWL ihre finanzielle Unterstützung für die kommenden Jahre zugesagt haben, damit das Team seine Arbeit fortsetzen kann. Der Kreis Minden-Lübbecke zahlt jährlich 37.500 Euro - das hat die Politik mit großer Mehrheit beschlossen. Die Chinesin Li hält weiterhin Kontakt zu Nadeschda. Regelmäßige Gespräche mit einer Psychologin helfen ihr auf dem langen Weg zurück in ein halbwegs normales Leben, berichtet Corinna Dammeyer. "Wie ihre Zukunft konkret aussehen wird, ist allerdings noch unklar." Die Beratungsstellen Nadeschda ist eine Frauenberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel. Sie ist für die gesamte Region OWL zuständig. Kontakt: Tel. (05221) 84 02 00, E-Mail info@nadeschda-owl.de, www.nadeschda-owl.de Theodora ist eine Beratungsstelle für Prostituierte in Ostwestfalen-Lippe. Ziel sei, dass dass Prostituierte ein gesundes, selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben in Sicherheit führen können. Die Beratungsstelle ist ebenfalls für ganz OWL zuständig. Kontakt: Tel. (05221) 3 42 71 11, E-Mail info@theodora-owl.de, www.theodora-owl.de Träger beider Beratungsstellen ist die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen. Nadeschda und Theodora arbeiten eng zusammen, teilen sich Büroräume in Herford und auch Dienstwagen. Einer der Synergieeffekte: "Durch die aufsuchende Arbeit der Theodora-Mitarbeiterinnen können mehr Frauen im Milieu auf das Angebot von Nadeschda aufmerksam gemacht werden", heißt es.

Meistgelesen