Vergewaltigung in der Ehe: Tochter bekommt die Tat mit und zeigt eigenen Vater an

Minden/Stemwede. Im Bad vermischen sich die Tränen mit dem Wasser aus dem Duschkopf. Jegliche Spuren will die Frau abwaschen, den Körper reinigen und allein sein. "Ich stand mehrere Stunden unter der Dusche und konnte nicht begreifen, wie weit er gegangen ist", erinnert sich die 47-Jährige. Mit "er" meint sie ihren einstigen Ehemann, mit ihm war sie mehr als 25 Jahre verheiratet, beide haben zusammen drei Kinder. Nun treffen sie sich im Gerichtssaal wieder. Der auf der Anklagebank sitzende Lkw-Fahrer verzieht keine Miene, als seine Ex-Frau den Raum betritt. Fast eine Dreiviertelstunde spricht sie teils weinend über den Zusammenbruch der Ehe - und von zwei Vergewaltigungen in dieser Zeit. Während sie redet, scheint der 51-Jährige noch nicht im Ansatz zu ahnen, dass er am Ende zu einer Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt wird. Der Prozess hat Seltenheitswert, das liegt daran, dass Fälle von Vergewaltigung in der Ehe so gut wie nie vor Gericht landen. Das Mindener Amtsgericht verhandelte im vergangenen Jahr lediglich in drei Fällen den Tatbestand der Vergewaltigung, zweimal sprach das Gericht den Angeklagten frei. Nach Angaben von Amtsdirektor Dr. Jörg Eisberg handelte es sich in keinem der Fälle um Delikte in der Ehe. Dabei belegen Studien, dass Sexualstraftaten selten von Fremden begangen werden. Meist geschieht sexuelle Gewalt im häuslichen Bereich und innerhalb von Beziehungen. Bei einem Großteil der Täter handelt es sich um den Ehemann oder Lebensgefährten des Opfers. Aber: "Unsere Erfahrung zeigt, dass nur eine von 20 Betroffenen diese Taten anzeigt", sagt Finola Nieratschker von Wildwasser, der Mindener Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt an Mädchen und Frauen. Sie spricht von einer hohen Hemmschwelle. Tochter lag im Bett nebenan Auch im Fall des Stemweder Ehepaars war es nicht die Frau, die sich an die Polizei wandte, sondern die Tochter, die ihren Vater anzeigte. "Meine Mutter hat mir erzählt, was passiert ist und danach bin ich zur Polizei gegangen", sagt sie vor Gericht aus. Die erste Vergewaltigung in einem Urlaub im Sommer 2012 auf Ibiza erlebte die damals Jugendliche sogar mit, weil sie sich im gleichen Hotelzimmer befand. Und weil sie die Tat vor Gericht bezeugt, zieht sich die Schlinge für ihren Vater in der Beweisaufnahme zu. Seit zwei Jahren pflegen er und seine Tochter keinen Kontakt mehr. Deren Aussage deckt sich mit der der Mutter: "Wir schliefen bereits im Zimmer, er trank noch unten im Hotel, kam dann rein und stieß meine Mutter aufs Bett." Die habe ihm eindeutig mehrmals mit einem "Nein" mitgeteilt, dass sie das nicht wolle, "auch weil ich anwesend war". Anschließend habe der Vater der Mutter die Hand auf den Mund gedrückt und den Geschlechtsverkehr vollzogen. "Ich war damals 14, lag im Bett nebenan und hatte Angst irgendwas zu sagen. Dass ich das alles mitbekommen habe, erzählte ich niemanden - ich verdrängte das." Auch das Opfer meldet den Übergriff nicht und registriert es als eine Art Ausfall. "Er bekam, was er wollte und war davon nicht abzubringen." Die Stemwederin berichtet von einer Ehe mit klaren Rollen. Sie war die Vollzeitmutter, blieb ohne Ausbildung zuhause und zog die Kinder groß. Er dagegen sei fleißig gewesen, habe stets gearbeitet und mit eigenen Händen das Haus gebaut. "Ich musste mich anpassen." Doch mit den Jahren habe ihr Mann einen Hass auf Frauen entwickelt, so die 47-Jährige. "Als Russlanddeutsche bin ich damit aufgewachsen, dass die Frau immer Schuld an einer Scheidung hat - deswegen war ein Aus lange Zeit kein Thema." Hemd mit Blutspuren als Beweis Immer wieder habe sie aus seinem Mund Aussagen wie "alle Frauen sind Schlampen" gehört. Auch gegenüber der Tochter soll er geäußert haben, dass Frauen hin und wieder Schläge benötigen würden. Nach und nach zerfiel so die Ehe. "Unsere Kinder wollte ich stets vor den Konflikten schützen, auch von ihm sollten sie ein gutes Bild haben", sagt das Opfer vor Gericht aus. Seinen Groll äußert der Lkw-Fahrer mittlerweile aber auch in Anwesenheit des inzwischen erwachsenen Nachwuchses und soll den eigenen Sohn auf der Rückfahrt nach einer Feier als "Hurensohn" bezeichnet haben, um die Mutter zu demütigen. "Er hat ihn sogar verletzt", sagt die 47-Jährige und zieht ein weißes Hemd mit Blutspuren aus ihrer Tasche, das sie aufbewahrt hat. Es ist der Anfang vom Ende, auch weil die Frau damals bereits vermutet, dass ihr Mann sie mit einer Arbeitskollegin betrügt. Inzwischen ist er mit der fast 20 Jahre jüngeren Partnerin liiert und hat mit ihr eine fast zwei Jahre alte Tochter. Auch die neue Partnerin sagt vor Gericht aus und berichtet über die neue Beziehung. Damals, als sie schwanger war, bot der Angeklagte seiner Ex aber zunächst noch einen Neuanfang an. Er habe ihr gesagt, sie solle darüber nachdenken, erklärt das Opfer. Zu dem Zeitpunkt wohnt der Mann bereits bei seinen Eltern in Stemwede, das einstige gemeinsame Haus liegt nicht weit entfernt. Dort leben Tochter und Mutter damals noch. Als sich die Frau zur Scheidung entschließt, kommt es zur Eskalation. Werktags ist der Angeklagte zwar mit dem Lkw unterwegs, am Wochenende taucht er aber mehrmals im Haus der Frau unangekündigt auf, beleidigt sie und reißt ihr an den Haaren. Einmal bekommt das die Tochter mit. Ein anderes Mal nähert er sich der 47-Jährigen und fasst ihr in die Hose, wie sie berichtet. "Als er hörte, wie meine Tochter mit dem Auto auf den Hof fuhr, ließ er von mir ab." Im Oktober 2021 stößt er seine Ehefrau im Badezimmer um, sodass sie auf dem Boden fällt und vergewaltigt sie. "Ich habe aufgehört mich zu wehren, mir war klar, dass es keinen Ausweg gibt." Sex trotz Problemen als "partnerschaftliche Pflicht" Dieses Verhalten von Männern kennt Finola Nieratschker von Wildwasser. Es geschehe häufiger, wenn es zu Trennungen komme: "Das ist ein Ausdruck von Macht. Der Mann möchte die Verhältnisse "gerade rücken", wie sie aus seiner Sicht mal waren und zeigen, wer der Stärkere ist." Julia Kuntemeier, Leiterin des neuen Mindener Frauenhauses, spricht ebenfalls von einem Machtverhältnis. "Die Täter wollen die Frauen an der empfindlichsten Stelle treffen und sind ihnen dabei körperlich überlegen. Das kennt man zum Beispiel auch aus Kriegsgebieten bei Vergewaltigungen." Für die Frau bleibt diese zweite Vergewaltigung nicht folgenlos. "Ich hatte Angst, dass er wieder auftaucht, mich weiter psychisch fertig macht und mir was antut." Zwischenzeitlich habe die Polizei auch einen Verweis gegen ihn ausgesprochen, damit er sich ihr nicht nähere. Inzwischen sind beide geschieden, das Haus steht leer. Nach wie vor leide sie unter den vergangenen Jahren, sei ängstlicher, berichtet die Frau. Sexuelle Gewalt wirke sich massiv auf die Lebenssituation der Opfer aus, ist der Hamburger Verein re-empowerment überzeugt. Der setzt sich mit Partnerschaftsgewalt auseinander und schreibt in einem Beitrag, dass im "klassischen Verlauf" einer Misshandlungsbeziehung psychische und verbale Gewalt an der Tagesordnung seien: "Dennoch erwartet der Misshandler, dass die Betroffene ihre &bdquo;partnerschaftliche Pflicht“ trotz Schwierigkeiten in der Partnerschaft weiterhin erfüllt und ihm sexuell zu Willen ist." Oft steht Aussage gegen Aussage Nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt, die von ihrem aktuellen oder ihrem früheren Partner ausgehe. Demnach wurden laut Bundeskriminalamt (BKA) im Jahr 2021 insgesamt 143.504 Menschen (darunter überwiegend Frauen) Opfer von Partnerschaftsgewalt. Die Dunkelziffer sei weit höher, da viele Straftaten nicht zur Anzeige gebracht werden, so das BKA. "Die Gründe dafür sind Scham, Schuld und Angst", sagt Finola Nieratschker von Wildwasser. Der Gang zur Polizei könne weitreichende Konsequenzen bedeuten und für das endgültige Aus der Beziehungen sorgen. "Häufig denken Frauen auch, dass es sich um einmalige Übergriffe handelt und sie nicht wieder vorkommen." Die Leiterin des Frauenhauses, Julia Kuntemeier, erklärt, dass es bei diesen Vorwürfen selten zu Verfahren kommt: "Meist handelt es sich um Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen." Aufgrund der Beweislage würde die Staatsanwaltschaft die Verfahren häufiger einstellen. "Überhaupt dauert es lange, bis etwas passiert und ein Prozess eröffnet wird, dabei wollen die Frauen mit den Taten möglichst schnell abschließen." Erst seit 1997 strafbar Im Jahr 2021 zählte die Polizei im Kreis 48 Vergewaltigungen, 2022 waren es 55. Aber woran liegt es, das verhältnismäßig wenig dieser Vorwürfe dann tatsächlich vor Gericht landen? "Es kann sein, dass die ursprünglich bei der Polizei als Vergewaltigung erfassten Delikte im Verlauf der Ermittlungen weniger brisant erscheinen und dann zum Beispiel bei den Gerichten &bdquo;nur noch“ als sexuelle Belästigung angeklagt werden", erklärt Dr. Jörg Eisberg, Direktor des Mindener Amtsgerichts. Überhaupt sei Vergewaltigung in der Ehe erst nach einer Änderung im Gesetz 1997 strafbar, zuvor existierte in Deutschland diese Tat juristisch nicht - egal, was ein Ehemann seiner Frau antat. Dass der Lkw-Fahrer aus Stemwede die Taten begangen hat, davon ist das Schöffengericht nach der fünfstündigen Verhandlung überzeugt. Wenig nachvollziehbar schildern die Eltern des Angeklagten, dass er seine Ex-Frau nicht besuchen konnte, da er an den Wochenenden im Herbst 2021 immer auf der Baustelle seines Sohnes mithalf. Sein Verteidiger Michael Eveslage fordert eine Bewährungsstrafe und spricht in seinem Plädoyer davon, dass der 51-Jährige bei den Taten nicht viel Kraft aufwenden musste. Schöffen, Richter und Staatsanwältin überzeugt das nicht, sie verurteilen den Mann zu dreieinhalb Jahren Gefängnis. "Was die Frau voller Emotionen samt Details und ohne Widersprüche hier ausgesagt hat, kann man sich weder ausdenken noch auswendig lernen", sagt Richter Dr. Sebastian Homeier. Und der Angeklagte? Der äußert sich nur beim letztes Wort: "Der Urlaub auf Ibiza war schön und beim anderen Mal ist nichts gewesen."

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