Teil des Protests: Welche Eindrücke zwei Mindener aus Lützerath mitnehmen

Minden. Mit letzten Kräften wehrten sich einige Aktivisten gegen die Räumung von Lützerath und durchbrachen am Samstag die Polizeikette. Die Beamten antworteten und setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein, beide Seiten überschütteten sich hinterher mit Gewaltvorwürfen. Am Ende zogen die 35.000 Demonstranten ab, auch zwei Mindener hatten in der Vergangenheit die Proteste begleitet. Es sei nass, windig und kalt gewesen, die Stimmung alles andere als ausgelassen, das erzählt der Mindener Klimaaktivist Paul Schilling. Der VWL-Student war am Samstagmittag vor Ort und reiste mit einem Bus aus seiner Wahlheimat Heidelberg an. &bdquo;Diese unendliche Weite des kargen Tagebaus war erschreckend“, sagt der 20-Jährige. Vor der Absperrung zum Dorf hätten sich die Menschenmassen versammelt, hinter der Absperrung habe die Polizei gestanden. &bdquo;Vereinzelnd haben Menschen versucht, die Barrikade zu durchbrechen.“ Daraufhin habe die Polizei mit Gewalt reagiert. &bdquo;Da laufen ein paar Menschen ungeschützt in Straßenkleidung über eine Wiese und die Polizei in Schutzuniform knüppelt sie nieder – das ist doch pervers“, schildert der Aktivist seine Eindrücke. &bdquo;Für mich ist das eine Asymmetrie von Macht.“ Schilling glaubt, dass auch ein paar Personen dagewesen seien, die die Polizei generell als Feindbild betrachten würden &bdquo;Ich finde es nicht in Ordnung, die Polizei mit Steinen zu bewerfen, wie es manche Demonstrierende getan haben“, sagt er und verweist auf die Gegenseite: Man breche auch niemandem das Bein, weil eine Person über eine Wiese laufe. Er selbst hält nichts von gewaltvollen Protesten. "Der Einsatz war nicht deeskalierend" Paul Schilling hat schon an vielen Demonstrationen für den Klimaschutz teilgenommen und auch selbst Protestveranstaltungen, etwa in Minden, mit organisiert. Bei der Bundestagswahl 2021 trat der Student übrigens gegen Achim Post (SPD) an, verlor jedoch sehr deutlich. Bei der Großdemo am Samstag war der Mindener René Knott zwar nicht, er schaute sich jedoch Anfang Januar die Situation in Lützerath an, um sich selbst ein Bild vom Protest und Ort zu machen: &bdquo;Ich fand die Strukturen, die die Aktivisten über Wochen und Monate aufgebaut haben, beeindruckend.“ Es sei fatal zu sehen gewesen, dass die Bewohner für die Kohle darunter enteignet worden waren. &bdquo;Lützerath zeigt, dass dafür Gesetze geändert werden müssen“, so der Co-Sprecher der Grünen Jugend Minden-Lübbecke. Das oberste Ziel müsse sein, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Damit soll der globale Temperaturanstieg begrenzt werden, worauf sich die Weltgemeinschaft beim Pariser Klimaabkommen verständigte. In Lützerath blieb Knott nur einen Tag und verfolgte die Großdemo von Zuhause: &bdquo;Als Erwerbstätiger war es mir nicht möglich, unterhalb der Woche anzureisen“, sagt der ehemalige Leistungssportler, der bei der Deutschen Meisterschaft der Schwimmer 2018 auf Platz fünf landete und sich nun politisch engagiert. Den Umgang mit den Demonstrierenden empfindet er als falsch: &bdquo;Ich habe sehr viele Videos von zum Teil schwer verletzten Personen gesehen.“ Auch Berichte über die Einschränkung der Presse und der Sanitätsdienste müssten ernst genommen werden. &bdquo;Der Einsatz war nicht deeskalierend und muss dringend aufgearbeitet werden. Dazu gehört es, Druck auf Innenminister Herbert Reul (CDU) auszuüben.“ Der hat inzwischen die Polizei in Schutz genommen und verteidigt. Gute Erinnerungen an Minden Aufgrund des vielen Verkehrs kam Schilling zu spät zur Kundgebung. Er verpasste die beiden prominenten Rednerinnen Luisa Neubauer und Greta Thunberg. Von Keyenberg aus begaben sich die Demonstrierenden dann auf einen Fußmarsch nach Lützerath. Die Strecke sei länger gewesen als gedacht, so Schilling und meint: &bdquo;Es geht nicht um ein paar Bauernhöfe – es geht um die Symbolik.“ Der Protest stehe stellvertretend für den Kohleabbau deutschlandweit, mit dem die Vereinbarung des Pariser Klimaabkommens endgültig gebrochen werde. Der 20-Jährige ist davon überzeugt, dass nicht die Demonstrationen das Problem wären, sondern die Politik, die diese Aktionen erst notwendig mache. Die Präsenz am Streitpunkt Lützerath hält er für richtig und wichtig. Erinnerungen an Demos in Minden Gleichzeitig erinnert sich der 20-Jährige gerne an die Kundgebungen in den vergangenen Jahren in Minden zurück: &bdquo;Das war schon ein tolles Gefühl, als bei einer der ersten Demos von Fridays-for-Future über tausend Leute kamen – und wir hatten bloß zwei Megafone“ erzählt er und lacht. Mittlerweile ist es ruhig um die Mindener Fridays-for-Future-Gruppe geworden, viele der aktiven jungen Menschen sind – wie Schilling selbst – in andere Städte gezogen. Die Räumung auf dem Gelände des Tagebaus gilt als abgeschlossen. Zwei Aktivisten, die seit Tagen in einem selbst gegrabenen Tunnelsystem unterhalb des Braunkohle-Dorfs ausharrten, sind am Montag freiwillig herausgekommen. Die Polizei hat ihren Job erledigt, die Demonstranten sind wieder abgereist. War alles umsonst? &bdquo;Nein“, sagt Schilling. &bdquo;Die Leute haben hingeschaut. – und das darf nicht aufhören.“

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