Pro und Kontra zu den Bauernprotesten in Minden-Lübbecke

Kreis Minden-Lübbecke. Bei Protestaktionen der heimischen Landwirte gegen den künftigen Wegfall der Agrardiesel-Subventionen ist es am vergangenen Montag in Teilen des Kreisgebietes zu starken Verkehrsbehinderungen gekommen. War diese Art des Protests gerechtfertigt? Joern Spreen-Ledebur, Redakteur der NW Lübbecke/Espelkamp: Wenn in Deutschland Revolution sei und die Deutschen wollten einen Bahnhof stürmen, dann würden sie sich vorher Bahnsteigkarten kaufen: Dieser Ausspruch wird Lenin nachgesagt, dem Anführer der russischen Oktoberrevolution 1917. Proteste in Deutschland, die verliefen in den vergangenen Jahrzehnten eher ruhig, auch Proteste der deutschen Landwirte waren deutlich gemäßigter als die von Landwirten etwa in Frankreich. Das scheint sich in Deutschland nun zu ändern. So wie sich die politische Kultur in diesem Land ändert. Demonstrationen sind ein Grundrecht und Demos dürfen und müssen auch unangenehme Folgen haben. Allein Straftaten sind tabu. So steht es auch im Gesetz. Wenn Landwirte Straßen blockieren, dann ist das eben so. Protest, den niemand merkt, bringt nichts. Wichtig ist nur, dass die Straßen für Einsätze von Notärzten, Feuerwehr oder Polizei passierbar bleiben. Agrardiesel war nur der letzte Tropfen Der Streit um die Besteuerung von Agrardiesel ist letztlich nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es geht um viel mehr, viel mehr Unmut hat sich angestaut. Da geht es um Eingriffe in einen Berufsstand, der gern für die Pflege der Kulturlandschaft von der Politik gelobt und im nächsten Moment wieder gegängelt wird. Mal dreht es sich um die zwangsweise Stilllegung von Teilen der landwirtschaftlichen Fläche, mal geht es um den Vorrang für den Wolf. Wenn die Politik das auch noch schlecht kommuniziert, macht es die Lage nicht besser. Jeden Tag Unmut Und bei den Subventionen gilt seit Jahrzehnten, dass die Großen mehr profitieren als die Kleinen. Obwohl gerade die Kleinen doch auch aus Sicht der Politik so wichtig sein sollen für Tierwohl, Landschaftspflege und regionale Kreisläufe. Da setzt sich dann fort bei nachgelagerten Bereichen. Kleine Fleischereien mit regionalen Geschäftsbeziehungen sind auch im Lübbecker Land ein aussterbendes Handwerk. Was in diesem Land bleibt, das werden die großen Tiertötungsfabriken sein, bei denen die Tiere mitunter lange und stressige Fahrten zum Schafott vor sich haben. Wo bleibt da das Tierwohl? Spüren werden auch Reisende aus dem Lübbecker Land den Streik der Lokführer. Aber kann man dem Personal &bdquo;an der Basis“ den Streik verdenken? Nein. Sie baden jeden Tag den Unmut aus, den die Menschen wegen schlechter Leistungen des Konzerns haben. Anstieg der CO2-Preise Dass sich der Vorstand der bundeseigenen Deutschen Bahn AG nun Bonuszahlungen genehmigt, obwohl das Unternehmen und damit der DB-Vorstand im vorigen Jahr in Sachen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sehr schlechte Leistung ablieferten – dafür werden Reisende bei Zugausfällen und auf kalten Bahnsteigen bestimmt ganz viel Verständnis haben. Landwirte und Bahn – das sind zwei Punkte, auf die der ländliche Raum wie das Lübbecker Land angewiesen sind. Hier soll auch die Energiewende stattfinden, die die Menschen hier belastet. Gleichzeitig aber wird ein ländlicher Raum weiter belastet – nicht nur durch die Probleme auf der Schiene. Denn der Anstieg der CO2-Preise trifft über den Benzinpreis die Pendlerinnen und Pendler. Wundert Politikverdrossenheit? Über Jahre haben die etablierten Parteien den Menschen nicht gut genug erklärt, warum sie was entscheiden. Das aber wäre kein Hexenwerk gewesen. Aber wenn Politiker oder Behördenvertreter Menschen nicht mitnehmen, sie teilweise verbal abkanzeln – wundert dann Politikverdrossenheit? In diesem und im kommenden Jahr steht Entscheidendes auf dem Spiel, es geht um unsere Demokratie. Die ist manchmal unbequem, aber die beste aller Staatsformen. Und dazu gehören auch Demos und Streiks. Frank Hartmann, Redaktionsleiter der NW Lübbecke/Espelkamp: Ich bin froh in einem Beruf zu arbeiten, in dem der Feierabend zwar regelmäßig später beginnt als in anderen Branchen. In dem der Arbeitstag aber auch erst zwischen 9.30 und 10 Uhr anfängt. So auch am Montag dieser Woche, als 50 Landwirte mit ihren Fahrzeugen die Zufahrtsstraßen der Ampelkreuzung B65/B239 blockierten. Unangemeldet, für zweieinhalb Stunden. Obwohl ich so spät an der Kreuzung ankam und deshalb glücklicherweise nicht vom Rückstau dieser meistbefahrenen und wahrscheinlich deshalb gezielt ausgewählten Straßen in Lübbecke betroffen war, ärgere ich mich über diese Art des Protests. Wieso verwickeln die Bauern Tausende von Autofahrern, die auf dem Weg zur Arbeit sind, ab 7 Uhr morgens in ihren Widerstand gegen den künftigen Wegfall der Subvention von Agrardiesel? Bürger in Geiselhaft Ich erkläre mich ausdrücklich solidarisch mit den Landwirten, die seit langem zu den Leidtragenden einer für mich unverständlichen und auch falschen nationalen, EU- und auch weltweiten Agrarpolitik gehören. Trotzdem halte ich generell nichts davon, als Bürger, Kunde oder Verbraucher in Geiselhaft genommen zu werden – weder im Auto, noch im Zug oder im Flugzeug. Und auch nicht zu Fuß. Es war überflüssig, dem Anliegen durch das Erscheinen zum Teil überdimensionaler Fahrzeuge und durch die Blockaden von Straßen zusätzlich Nachdruck zu verleihen. Die Bauern sind auf allen Ebenen ausgezeichnet vernetzt und organisiert. Ihre Interessenvertretungen gehören zu den Top-Einflussgruppen und schaffen es mit ihrer professionellen Presse-, Öffentlichkeits- und mit gezielter Lobbyarbeit auch so, die gewünschten Botschaften unters Volk zu bringen. Da muss man dann nicht noch PS-starke Fahrzeuge in provozierend langsamer Fahrt über die Straßen schicken. Oder so positionieren, dass bis auf Rettungswagen niemand mehr durchkommt, beziehungsweise durchgelassen wird. Bauern als Straßenwächter, die selbstherrlich darüber entscheiden, wer wann passieren darf und wer nicht – nein danke. Korsos, die einschüchtern Ganz zu schweigen von mancher Botschaft, die vor den Traktoren befestigt worden war. &bdquo;Gibt es keine Bauern mehr, bleiben Eure Teller leer.“ Richtig. &bdquo;Regionale Lebensmittel brauchen regionale Landwirte.“ Na klar. &bdquo;Klima-, Wasser-, Artenschutz – aber nur mit, nicht gegen uns.“ Einverstanden.Aber &bdquo;Ampel-Irrsinn“, &bdquo;Ihr habt Mist gewählt – jetzt haben wir ihn“ und &bdquo;Wer’s Land verkauft und Bauern fängt. Ist es wert dass er . . . hängt?“ Abgesehen davon, dass derart aggressive und teilweise juristisch relevante Parolen zu weit gehen, können Protestbotschaften auch auf dem üblichen Weg öffentlich gemacht werden. Dazu muss man nicht noch Korsos bilden die in ihrer Dimension nicht nur aufmerksam machen, sondern wohl auch einschüchtern sollen. Das Recht zu streiken und zu protestieren ist unbedingt zu verteidigen und wird von anderen Branchen viel zu selten genutzt, um berechtigte Forderungen durchzusetzen. Aber wenn die öffentliche Ordnung unangemeldet und ungenehmigt derart gestört wird wie am Montag – die Ampelkreuzung in Lübbecke ist ein Beispiel dafür – dann ist Schluss mit lustig. Selbst die Polizeianweisung an die Fahrer, die B65 und die B239 freizuhalten, wurde ignoriert. Im Gegenteil, weitere Traktoren kamen dazu und verstärkten die morgendliche Blockade. Subventions-Wahn Noch einmal: Ich halte die Agrarpolitik auf allen Ebenen seit Jahrzehnten für politisch total vermurkst und die landwirtschaftlichen Betriebe und die Familien dahinter – vor allem die kleinen und mittleren – für die Opfer dieses Flächen-, Massentier- und Subventions-Wahns. Ich bemühe mich deshalb so gut es geht saisonal, regional und fair gegenüber den Erzeugern einzukaufen. Bei der am Montag praktizierten Unverhältnismäßigkeit der Mittel jedoch endet mein Verständnis.

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