Unfälle in Minden-Lübbecke: Warum Autos von der Straße abkommen

Lübbecker Land. Es gibt Einsätze, die dem Polizisten Henrik Riechmann lange im Gedächtnis bleiben. Besonders wenn Angehörige am Unfallort eintreffen. "Dann sieht man Welten zusammenbrechen." So beschreibt der ehemalige Dienstgruppenleiter, der im September vergangenen Jahres in das Verkehrskommissariat der Polizei in der Lübbecker Dienststelle gewechselt ist, was für menschliche Tragödien sich manchmal vor Ort abspielen. Etwa wenn Schwerverletzte im Autowrack um ihr Leben kämpfen und immer wieder das Bewusstsein verlieren. Oder wenn Eltern um ihr Kind bangen, das sich noch im Unfallwagen befindet und sich nicht mehr bewegt. Zwischen Mai 2022 und Mai 2023 sind im Mühlenkreis 36 Mal Fahrzeuge von der Fahrbahn abgekommen. Drei Menschen starben. Für sechs Unfallbeteiligte ging die Sache glimpflich aus, bei 38 Personen registrierte die Polizei schwere Verletzungen. So wie im Herbst vergangenen Jahres auf der Niedringhausener Straße in Hüllhorst-Oberbauerschaft. Dort war laut Polizeibericht ein Espelkamper "aus bisher unbekannten Gründen von der Straße abgekommen". Ersten Ermittlungen zufolge war der Peugeot-Fahrer gegen 16 Uhr in Richtung Lübbecke unterwegs gewesen. In Höhe des Ahornwegs überfuhr er in einer Rechtskurve einen Leitpfosten und prallte dann gegen einen Baum und ein Treppengeländer. Ergebnisse sollen gerichtsfest sein "Hierbei zog sich der mutmaßlich nicht angegurtete 19-Jährige schwere Verletzungen zu", hieß es damals in der Polizeimeldung. Ein Rettungswagen brachte den jungen Mann ins Krankenhaus Lübbecke. Das Auto musste abgeschleppt werden. Während der Unfallaufnahme sowie der Bergungsarbeiten sperrten die Einsatzkräfte zeitweise die Unfallstelle. Durch eine Straßensperrung kann es auf stark befahrenen Bundes- oder Landesstraßen zu kilometerlangen Rückstaus kommen. Verkehrsstörungen sollen so gering wie möglich gehalten werden, indem andere Kräfte Ableitungen einrichten. Die Arbeitsteilung sei wichtig für die Beamten, die den Unfall aufnehmen, sagt Riechmann. Als Beispiel nennt er einen schweren Unfall auf der B239 in Höhe Brauerei Barre. Er erinnert sich noch gut an die "absolute Ruhe", die dort nach der Straßensperrung herrschte, als er und seine Kolleginnen und Kollegen sich mit der Unfallaufnahme befassten. "Diese Ruhe brauchen wir auch", sagt Riechmann, denn was er und andere Polizisten ermitteln, soll gerichtsfest sein: "Das ist unser Anspruch, denn wir sind den Menschen etwas schuldig." Kommentar zum Thema:Tote und Schwerverletzte auf den Straßen in Minden-Lübbecke: Wann ist es genug? Spuren sprechen Bände Manchmal reichen die Untersuchungsmöglichkeiten der örtlichen Polizei allerdings nicht aus, um zu ermitteln, wie und warum sich ein Unfall ereignet hat. Insbesondere bei schweren Unfällen kommt ein Verkehrsunfall-Aufnahmeteam (VU-Team) mit spezieller Technik dazu. Aus Bielefeld oder von einem anderen der insgesamt 14 VU-Teamstandorte in NRW. "Das sind Spezialisten, die kriminalistische Feinarbeit leisten", beschreibt Riechmann die Arbeit der Spurensicherer, die mit speziellen Fahrzeugen, 3D-Scannern, Drohnen und Technik zum Auslesen digitaler Daten ausgestattet sind. "Spuren sprechen Bände", gibt Henrik Riechmann seine Erfahrung wieder und ergänzt: "Wir können sehr schnell feststellen, ob jemand von seiner Spur abgekommen ist." Innerhalb eines Jahres ist das im Raum Espelkamp ein Mal vorgekommen, im Raum Lübbecke drei Mal. Auch wenn das Phänomen vor dem Hintergrund von jährlich mehr als 1.000 Verkehrsunfällen mit Personenschaden im Kreisgebiet unbedeutend erscheint - aus Sicht der Polizei ist jeder Verkehrsunfall einer zuviel. 80 mögliche Unfallursachen Manche dieser Unfälle enden tödlich. So wie der auf der B65, wo der freie NW-Mitarbeiter Michael Grundmeier vor gut einem Jahr starb, weil ihm ein anderes Fahrzeug auf seiner Spur entgegenkam und beide Autos - auf gerader Strecke - frontal zusammenstießen. Aber auch, wenn es keine Toten gibt: "Schwere Verletzungen hinterlassen oft lebenslange Spuren, zum Beispiel eine schwere Behinderung", sagt Riechmann. Auch eine eingeschränkte oder völlige Berufsunfähigkeit können die Folge sein. Der Verkehrssicherheitsbericht 2022 der Polizei Minden-Lübbecke nennt mehr als 80 mögliche Unfallursachen, darunter Sekundenschlaf, Krankheiten, Medikamente sowie Alkohol und Drogen. Und immer wieder Geschwindigkeit. Diese Ursachen sind Riechmann zufolge auch bei Unfällen relevant, bei denen ein Fahrzeug von der Fahrbahn abkommt. Fahren unter Alkohol und Drogen "nimmt sogar deutlich zu", stellt der Verkehrsexperte der Polizei fest. Fahrlässige Gefährdung ist Straftat Unter anderem das Alter der Fahrer wird statistisch erfasst. Unfälle, bei denen die Spur nicht gehalten wird, kommen demnach in allen Altersgruppen vor. Einen Hinweis möchte der Verkehrsexperte denjenigen geben, die aufgrund körperlicher oder anderer Einschränkungen nicht mehr in der Lage sind, ihr Fahrzeug in der eigenen Spur zu halten: "Bereits eine fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs ist keine Ordnungswidrigkeit mehr, sondern eine Straftat." Für eine fahrlässige Körperverletzung gelte das ohnehin. Hunde, Babys und Kleinkinder, die mitgenommen werden im Auto, Zigarette, Telefongespräche, Textnachrichten und diverse andere Dinge können die Konzentration beeinträchtigen. Riechmanns Kollege Thomas Bensch, Kreis-Polizeisprecher und früherer Fahrsicherheits-Trainer, ist deshalb diese Anmerkung wichtig: "Autofahren in der heutigen Zeit ist eine hoch komplexe Tätigkeit. Da kann jede noch so kleine Ablenkung tödlich enden."

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