Lübbecker Land

Selbstversuch: Selina aus Rahden hat ein Jahr ohne Smartphone gelebt

Die 19-jährige Selina Hensel probierte, zwölf Monate auf ihr Handy zu verzichten. Einige Erfahrungen waren erschreckend, sagt sie

09.02.2019 | 09.02.2019, 22:27
Zeit für Spaziergänge und zum Lesen: Die junge Espelkamperin Selina Hensel verzichtete ein Jahr lang auf ihr Smartphone. - © privat
Zeit für Spaziergänge und zum Lesen: Die junge Espelkamperin Selina Hensel verzichtete ein Jahr lang auf ihr Smartphone. | © privat

Lübbecker Land. Immer erreichbar zu sein, gehört mittlerweile dazu. Genau so, wie es normal ist, jederzeit auf Google Maps eine Streckenführung herauszusuchen. Auch andere Dienste des Smartphones sind sehr hilfreich und praktisch. Für das neue Jahr hat sich laut der Krankenkasse DAK-Gesundheit trotzdem einer von vier Menschen aus Nordrhein-Westfalen vorgenommen, weniger Zeit mit dem Handy zu verbringen. Denn weil es so praktisch ist, nimmt es viel Zeit in Anspruch, zum Teil mehrere Stunden pro Tag.

Hinzu kommt: Das Handy wird längst nicht mehr nur zum Kommunizieren benötigt. Es werden Spiele gespielt, Fotos gemacht und Beiträge geteilt. Ein erheblicher Teil der Nutzer ist Tag und Nacht in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter unterwegs. Obwohl es mittlerweile Apps gibt, die den zeitlichen Umfang täglichen Handygebrauchs anzeigen, fällt es offenbar vielen Leuten schwer ihr Handy wegzulegen. Denn laut einer DAK-Studie haben viele Nutzer Angst etwas zu verpassen oder nicht erreichbar sein zu können in Notfällen.

»Als ich einen Tag frei hatte, waren es auf einmal sechs Stunden«

Selina Hensel aus Rahden gehörte zu den Leuten, die jeden Tag mehrere Stunden am Handy verbrachten. Irgendwann wollte sie wissen, wie viel Zeit genau. Deshalb entschied sie sich, eine App auf ihr Smartphone zu laden, die ihr anzeigte, wie lange sie auf das Display guckt. "An einem Tag waren es drei Stunden am Handy, das fand ich zwar viel, aber es lag eigentlich sogar unterm Durchschnitt. Als ich dann einen Tag frei hatte, waren es auf einmal sechs Stunden, die ich am Handy verbracht habe. Diese lange Zeit hat mich echt erschreckt. Wie viel Lebenszeit das ist und wie viele andere Sachen man machen könnte - dann entschied ich mich, etwas zu ändern."

Selina Hensel fing damit an, einen Tag lang auf ihr Handy zu verzichten, danach eine Woche und dann einen ganzen Monat. Zu Beginn fiel es ihr schwer: "Die ersten Tage waren echt hart. Immer wieder griff ich automatisch nach dem Handy. Dabei wusste ich, dass es zu Hause im Schrank lag und nicht bei mir in der Hosentasche ist. Irgendwann habe ich mich aber daran gewöhnt." Schließlich wurde aus dem einen Tag ohne Handy ein ganzes Jahr.

Ihr Umfeld reagierte gemischt, nicht alle waren begeistert vom ihrem ständigen offline sein. Sie hatte sich zwar ein Tastenhandy besorgt, um weiter im Notfall erreichbar zu sein, aber bei beim Kurznachrichtendienst Whatsapp konnte man nicht mehr mit ihr rechnen. "Am Anfang fanden meine Freunde es zwar ganz cool, aber irgendwann waren sie doch genervt, weil man mich nie erreichen konnte. Ich konnte zwar abends über Facebook oder E-Mail meine Freunde erreichen, aber das war schon echt umständlicher als eben mal eine Whatsapp zu schreiben."

Verpasst hat sie aber ihrer Meinung nach nichts. "Einmal bin ich tatsächlich vergessen worden, in einer Schul-Whatsapp-Gruppe, aber das war nicht so schlimm. Eigentlich habe ich es eher als Erleichterung empfunden, nicht mehr in so vielen Whatsapp-Gruppen zu sein. Die meisten Gruppen sind unnötig und echt nervig."

Oft wird das Handy aber auch in anderen Situationen gebraucht. Im Bus oder in Freistunden in der Schule beispielsweise. "Gerade wenn ich zum Beispiel auf den Bus gewartet habe, habe ich mein Handy besonders vermisst. Ich habe mir irgendwann dann anstelle meines Handys ein Buch mitgenommen. Bücher waren wahrscheinlich mein Hauptersatz für mein Handy. Ich habe so viel gelesen."

Auch Musik war nicht mehr so leicht zugänglich. Selina Hensel hatte zwar noch einen alten iPod - mit Spotify und anderen Musikstreams war der jedoch nicht kompatibel. "Ich habe dann eben meine alten Lieder gehört", meint sie daraufhin, "das ging auch".

Ein anderes Problem stellte Google Maps dar - das Programm, dass ihr am meisten gefehlt hat. "Ich habe mir vor jedem Besuch einer fremden Stadt rausgeschrieben, welche U-Bahn-Verbindungen ich nehmen muss. Das war schon deutlich umständlicher. Oft musste ich aber auch Leute auf der Straße ansprechen, das stellte sich im Endeffekt aber als sehr effektiv heraus."

»Seit ich abends nicht mehr am Handy bin, schlafe ich besser«

Abgemeldet: Das Handy packte Selina Hensel in den Schrank. Am Anfang fiel es ihr besonders schwer. - © Heike von Schulz
Abgemeldet: Das Handy packte Selina Hensel in den Schrank. Am Anfang fiel es ihr besonders schwer. | © Heike von Schulz

Im Allgemeinen, meint Selina Hensel, dass ein Jahr ohne Handy leichter war, als sie vorher gedacht hatte. Trotzdem hat sie sich nach Ablauf des Jahres ein Smartphone gekauft - mit allem drum und dran. "Ein Handy ist einfach zu praktisch. Ich kann zwar ohne ein Smartphone leben, aber die Vorteile überwiegen. Alle Dinge, die ich brauche, sind in einem Handy verschmolzen. Ich brauche also statt einem iPod, einem Buch, einer Kamera, einer Karte und meinem Tastenhandy nur noch mein Smartphone. Außerdem denke ich, dass ich nach dem einen Jahr ohne Smartphone bewusster am Handy bin."

Die durchschnittliche Bildschirmzeit der jungen Frau beträgt zwar immer noch drei Stunden, aber sie benutzt ihr Handy mehr für andere Dinge: Sprachen lernen, kochen lernen und Fitnessprogramme mitmachen: "Außerdem benutze ich mein Handy auch nicht mehr in meinem Bett, es lädt an der anderen Seite meines Zimmers auf. In dem Jahr ohne Handy habe ich nämlich gelernt, dass ich viel besser schlafe, seitdem ich abends nicht mehr am Handy bin."

Vermutlich sind nicht alle Nutzer bereit, ihr Smartphone so lange aufzugeben wie Selina Hensel, um zu sehen, wie wichtig der Abstand ist. Selina meint, es würde aber auch reichen einfach zeitweise das Handy wegzulegen oder auszuschalten: "Anstelle bei Instagram unterwegs zu sein, könnte man am Abend vielleicht einmal ein Buch lesen. Oder auch gleich ein Paar unnötige Apps löschen. Wenn man sich einmal klar darüber wird, wie viel Zeit man mit seinem Smartphone verschwendet, fällt dieser Schritt leichter."

INFORMATION


Selina Hensel wohnt in Alt-Espelkamp.

Sie ist 19 Jahre alt und hat keine Geschwister.

Ihr Abitur hat sie 2018 gemacht.

In diesem Jahr fängt sie ein duales Studium bei der Kreisverwaltung in Minden an - im Gebiet Public Management.

Sie liest am liebsten Sachbücher. Ihre Lieblingsbücher in der handyfreien Zeit waren: "Factfullness" von Hans Rosling und "Die Geschichte der Bienen" von Maja Lunde.