Hille/Bielefeld

Prozess um Dreifachmord von Hille: "Jörg war so voller Gewalt"

Die Aussage, die Kevin R. über seinen Anwalt verlesen lässt, belasten Jörg W. schwer.

Einer der beiden Angeklagten im Sitzungssaal im Landgericht Bielefeld. | © picture alliance/dpa

30.10.2018 | 30.10.2018, 06:38

Hille/Bielefeld. Nur ein leichtes Kopfschütteln, danach verzieht der Angeklagte Jörg W. keine Miene mehr – obwohl ihn Kevin R. mit seiner Aussage schwer belastet. Am sechsten Prozesstag vor dem Bielefelder Landgericht äußert sich der 24-Jährige über seinen Verteidiger erstmalig zu den Mordvorwürfen. Sein Ziehvater dagegen hatte die Taten Kevin R. zugeschoben und behauptet, dieser habe drei Männer aus Mordlust getötet.

In seinen Ausführungen stellt sich der Zeitsoldat Kevin R. als Opfer dar, das Angst um sein Leben hatte. Demnach sei er von dem ersten Mord an dem 71-jährigen Nachbarn Gerd F. nahezu überrascht worden. Eigentlich hätten sie ihm nur Lebensmittel bringen und die Katzen füttern wollen. Mit dem „gut angetrunkenen" Rentner hätten sie in der Küche eine Zigarette geraucht, ehe Jörg W. und Gerd F. den Raum verließen.

Jörg W. habe im Keller auf Gerd F. eingeschlagen

„Minuten später hörte ich ein lautes Rumms und ein Stöhnen", schildert Kevin R. Das nächste Bild, das sich ihm bot, sei Jörg W. gewesen, der im Keller auf den am Boden liegenden Gerd F. mehrmals und „sehr fest" mit einem Ziegelstein einschlug. Der 51-Jährige habe ihm dann befohlen, die Kellertür mit Hilfe eines Akkuschraubers zu verschließen. „Ich zitterte so, dass mir die Schrauben aus der Hand fielen."

Unmittelbar nach der Tat und den Tagen habe Jörg W. seinem Ziehsohn gedroht: „Du hältst die Schnauze und hältst dicht. Du weißt, was sonst passiert." Ihm sei sofort klar gewesen, dass auch sein Leben in Gefahr sei. Es folgten schlaflose Nächte und Bilder im Kopf, über die er mit keinem hätte reden können.

Kevin R. habe helfen sollen, die Leiche von Jochen K. zu verstecken

Der Mord an Jochen K. sei in seiner Erinnerung ein paar Wochen später geschehen, schildert Kevin R. Der ehemalige Fremdenlegionär Jörg W. habe den landwirtschaftlichen Helfer mit einem Ziegelstein „umgeklatscht" und mit „einer Art Rambomesser" in den Rücken des Opfers gestochen. Auch bei dieser Tat habe Jörg W. ihn genötigt, ihm zu helfen, die Leiche in einer Grube zu verstecken. Sein Blick sei finster und aggressiv gewesen. „Bin ich jetzt selbst dran?", habe Kevin R. sich gefragt. Der 24-Jährige schildert, dass er noch versucht habe, einen Kopfverband bei Jochen K. anzulegen – dafür sei es zu spät gewesen.

Jörg W. sei dann einige Tage später auf die Idee gekommen, die beiden Leichen auf seinem Grundstück zu vergraben. Er selber habe sich vor der Aktion betrunken, um sich zu beruhigen, lässt Kevin R. über seinen Verteidiger verlesen. Als sie Gerd F. aus dem Keller hervorholten, bot sich ein Bild des Schreckens: Die Leiche sei verschimmelt gewesen, mehrere Finger bereits abgefallen. „Der Geruch trieb mir die Kotze hoch", liest Kevins Anwalt vor. Die Leiche von Jochen K. habe sogar noch viel mehr gestunken, so dass er würgen musste. Jörg W. habe ihn ausgelacht.

Kevin R. schildert Wochen voller Angst

Was folgte, seien Wochen voller Angst gewesen. In dieser Zeit habe sein Ziehvater ihm geraten, eine Risiko-Lebensversicherung abzuschließen – erst unterschwellig, dann immer offensichtlicher. Seine Begründung: Beim Bund könne ja viel passieren. „Ich denke, wenn ich das gemacht hätte, wäre ich längst weg vom Fenster", ist sich Kevin R. sicher.

Die Geschäftsbeziehung zwischen Jörg W. und dem dritten Opfer Fadi S. habe er nur am Rande mitbekommen, heißt es in der Einlassung. Im Zusammenhang mit den Renovierungsarbeiten am Haus von Gerd F. – das Jörg W. ihm in Aussicht gestellt hatte – sei Fadi S. für Maurerarbeiten dazugekommen. Gerade hätten sie sich noch über Werkzeuge unterhalten, da sei Jörg schon wieder ausgerastet und habe den Libanesen mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen.

„Er sah aus wie auf Droge"

„Jörg war so voller Gewalt, dass ich Angst wie noch nie vor ihm hatte", schildert Kevin R. und ergänzt: „Er sah aus wie auf Droge." Bereits wenig später sei sein Ziehvater schon wieder ganz normal gewesen, hätte ihn aber ermahnt, „die Füße still zu halten." Zuhause hätte Doris schon mit dem Essen auf die beiden gewartet. Appetit habe er nicht gehabt.

Der Gerichtsmediziner Dr. Ronald Schulz vom Uniklinikum Münster bestätigte, dass das jüngste Opfer – der zweifache Familienvater Fadi S. – an seinen schweren Kopfverletzungen gestorben ist. Die Todesursache sei ein schweres Schädelhirntrauma aufgrund mehrfacher stumpfer Gewalteinwirkung gegen den Kopf gewesen, so der Experte.

Der Mediziner zählte weiterhin ein gebrochenes Nasenbein, einen Bruch an Augenhöhle und Jochbein sowie Blutungen an Armen und Beinen auf. Er habe scherbenartige Knochenbrüche festgestellt. Der Gerichtsmediziner bestätigte, dass die Verletzungen zum gefundenen Hammer passten.

Wahrscheinlich mehr als zehn Mal auf den Kopf des Opfers eingeschlagen

Der oder die Täter hätten mindestens sieben bis acht Mal, wahrscheinlich aber mehr als zehn Mal auf den Kopf von Fadi S. eingeschlagen, so Ronald Schulz. Viele Fragen konnte der Rechtsmediziner nicht mit Sicherheit beantworten. War der 30-Jährige bereits nach dem ersten Schlag bewusstlos? Wurden ihm die Verletzungen im Stehen zugefügt? Wie kam das Blut auf die Jacke von Kevin R.? Weil vieles noch klärungsbedürftig scheint, zieht der Vorsitzende Richter Georg Zimmermann die Anfertigung eines Spritzspuren-Gutachtens in Erwägung.

Außerdem appellierte er eindringlich an die beiden Angeklagten, seine Fragen persönlich zu beantworten, um so die gegensätzlichen Aussagen aufzulösen. „Verlesene Einlassungen haben einen geringeren Beweiswert, als eine Aussage." Peter Jahn, Anwalt von Kevin R., lehnte dies am Montag ab, schließt aber eine Aussage zu einem späteren Zeitpunkt nicht aus. Der Prozess wird am heutigen Dienstag fortgesetzt.