Espelkamper Facharztpraxis nach 28 Jahren verkauft

Espelkamp. Auf dem Hinweisschild am Haupteingang der Augenheilpraxis Gerd Kirschstein im Atrium wird bereits augenfällig, was sich hier verändert hat: Ralf Krallmann steht dort als erstes, darunter Filiale Espelkamp mit dem Namen Gerd Kirschstein. Erst dann kommen die Öffnungszeiten. Damit ist sofort sichtbar, dass aus der ehemaligen Alleinpraxis für Augenheilkunde inzwischen eine Filiale geworden ist. Das wird vom Chef im Gespräch mit nw.de auch sofort bestätigt: Nach 28 Jahren Tätigkeit in Espelkamp habe er seine Praxis an den mit ihm befreundeten Facharzt für Augenheilkunde aus Herford, Ralf Krallmann, verkauft. Dies sei ihm "sehr, sehr schwer gefallen", gesteht der Mediziner ein und spricht auch gleich sein Bedauern aus: "Für meine Patienten, für die Menschen in meinem riesigen Tätigkeitsgebiet tut es mir unendlich leid. Aber es ging einfach nicht mehr anders", wird er sehr deutlich. Ehemalige Kollegin Angela Hahn ist jetzt in Lübbecke Nachdem seine Kollegin Angela Hahn, die 20 Stunden bei ihm in der Woche mehrere Jahre gearbeitet hatte zu seinem Kollegen Wolfgang Sonnenschein nach Lübbecke abgewandert sei, sei die Arbeit nicht mehr zu bewältigen. Hahn war nach einem Antrag in Form einer Einzelentscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) nach Espelkamp gekommen. Dazu hatte Gerd Kirschstein einen Antrag auf Sonderbedarf gestellt. So kann eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden. Denn eigentlich hat Espelkamp keinen Anspruch auf einen weiteren Augenarzt. Das ist zwar kaum nachzuvollziehen, doch ist es so, dass die KV bei Fachärzten, und dazu gehören natürlich auch die Augenärzte, den Bedarf nach einem ganzen Kreisgebiet berechnet. Und der ist im Kreis Minden-Lübbecke mehr als erfüllt. Dies liegt vor allem an der Zahl der in Minden und Bad Oeynhausen praktizierenden Augenärzte, die vor allem in Augenkliniken aktiv sind. Für den Rest des Kreises bleibt dann kaum etwas übrig, wie auch Gerd Kirschstein immer wieder kritisierte, auch in den eigenen Berufsverbänden. 16.000 Patienten im Jahr betreut So musste der Allein-Praxisbesitzer wieder bis zu 80 Stunden wöchentlich arbeiten, um das Pensum zu schaffen. Rund 16.000 Patienten, 4.000 pro Quartal, durchlaufen die Praxis von Kirschstein. Die KV bezahle nur noch eine bestimmte Zahl von Stunden, die geleistet würden. Außerdem sei bemängelt worden, dass zu viele Patienten von auswärts kommen. Auswärts heißt in diesem Fall vor allem jenseits der Landesgrenze, denn das Einzugsgebiet der Praxis von Gerd Kirschstein reicht von Diepholz und Stolzenau bis nach Bad Essen und Osnabrück im Norden und Minden im Nordwesten. Das war auch mit Unterstützung von Angela Hahn zu viel. Rund 100.000 Menschen wohnen in diesem Gebiet. Augenärzte sind in der Regel sehr rar Augenärzte sind in der Regel sehr rar, merkt Kirschstein an. Mittlerweile stellen Frauen rund 70 Prozent dieser Berufsgruppe. Wegen der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzten inzwischen viele Mediziner auf Gemeinschaftspraxen beziehungsweise auf eine Anstellung. "Wir benötigen so etwas wie eine Männerquote in der Ausbildung. Da passen Anspruch und Wirklichkeit einfach nicht mehr zusammen", sagt der Mediziner. Bevorzugt würden dabei vor allem die städtischen Regionen. "Einzelpraxen sind politisch auch nicht mehr gewollt, die Tendenz geht ganz klar zu Großpraxen und Augenkliniken". Aber die gebe es nicht im ländlichen Bereich. "Überbordende Bürokratie" erschwert Vieles Gegenüber seinem Kollegen und Freund Ralf Krallmann habe er sich zunächst auf drei Jahre verpflichtet, in Espelkamp weiter zu machen. Ein Antrag auf Sonderbedarf sei wieder gestellt worden, doch es habe sich bisher niemand gemeldet. Er werde mit "reduziertem Patientenanteil und Zeiten und mit zehn Angestellten weiter arbeiten, machte Kirschstein deutlich. Das würde für den Stamm seiner Patienten zunächst keine Änderungen mit sich bringen, aber neue Patienten könne er aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr aufnehmen. "Die müssen dann den weiteren Weg nach Minden, Bad Oeynhausen oder auch nach Herford auf sich nehmen. Auch sein Lübbecker Kollege habe mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, so Kirschstein. Kirschstein kritisiert die "überbordende Bürokratie". Anscheinend wolle man nicht mehr, dass es Einzelpraxen gebe. Dies gelte auch für die Politik. Von ehemals 30 Alleinpraxen in der Region gebe es jetzt noch drei bis vier. Immer mehr "Stolpersteine" würden ihnen in den Weg gelegt. Man komme sich manchmal wie ein Dinosaurier vor. Die zunehmende Digitalisierung bringe da keine Vereinfachung, sondern eher eine Verschlechterung der Situation. Denn nach Einführung des elektronischen Rezeptes müsse man in den Praxen zwei Systeme vorhalten, das alte analoge und das digitale. "Wir haben doch auch ganz viele ältere Patienten. Was sollen die denn dann machen?. Wie wir das noch stemmen wollen, weiß ich nicht." Von "elementarer Bedeutung für die Gesundheitsversorgung" Verständnis und Unterstützung erhält Kirschstein von der Stadtverwaltung. Für Matthias Tegeler, allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters, ist die Praxis Kirschstein von "elementarer Bedeutung für die medizinische Versorgung im Raum Espelkamp". Er habe "sehr, sehr viel geleistet und gearbeitet für die Menschen hier". Der Stadt sei es wichtig, dass die Versorgung gewährleistet sei und die Stundenbeschränkung aufgefangen werde, deshalb werde er sofort das Gespräch mit dem neuen Besitzer der Praxis in Herford führen. Für Tegeler ist es klar, dass es Einzelpraxen immer schwerer haben. Deshalb sei die jetzige Zusammenlegung vielleicht auch eine Chance, den Standort Espelkamp dauerhaft zu halten, da Personal flexibel eingesetzt werden könne. Grundsätzlich müsse jedoch dauerhaft der Zuschnitt des Versorgungsgebietes verändert werden, sodass sich auch die Fachärzte besser verteilten.

Meistgelesen