Mehr Gewalt in der Krise: So geht das "Hexenhaus" für Frauen damit um

Espelkamp. Die einen genießen es, in der Corona-Krise mit dem Partner und der Familie mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Für die anderen führt so viel Nähe zu einer Gefahr für Leib und Leben. Die Befürchtung ist groß, dass mit den Ausgangsbeschränkungen die Fälle von häuslicher Gewalt zunehmen. Die erste Anlaufstelle für betroffene Frauen im Lübbecker Land war bislang das "Hexenhaus" in Espelkamp. Wie sich die Lage im Haus und für die Frauen entwickelt hat und mit welchen Schwierigkeiten das Frauenhaus umgehen muss, erklärt Geschäftsführerin Elke Schmidt-Sawatzki. Frau Schmidt-Sawatzki, die Mitarbeiter der Frauenhäuser wurden von der Familienministerin als systemrelevant eingestuft. Sie müssen also weiterhin geöffnet haben. Wie stehen Sie dazu? Elke Schmidt-Sawatzki: Wir sind eine Schlüsseleinrichtung. Die Anerkennung, dass wir systemrelevant sind, ist für uns noch einmal eine Akzeptanz des gesellschaftlichen Stellenwertes. Es ist das erste Mal, dass wir wirklich als systemrelevant gekennzeichnet worden sind. Und das finden wir gut. Denn die Finanzierung der Frauenhäuser, obwohl wir in Espelkamp vergleichsweise komfortabel finanziert werden, wird bundesweit immer noch nicht als Pflichtaufgabe betrachtet. Von daher ist bei den ganzen großen Schwierigkeiten, die mit der Systemrelevanz einhergehen, das noch einmal etwas Positives. Das heißt, Sie müssen weiterhin alle unter einem Dach arbeiten. Wie haben Sie es geregelt, dass der nötige Abstand unter den Mitarbeiterinnen und zu den Bewohnerinnen eingehalten wird? Schmidt-Sawatzki: Wir haben eine ganz klare Pandemie-Planung, klare Verantwortlichkeiten und einen Plan für den Ernstfall. Die Kolleginnen arbeiten in Schichten und teilweise von zu Hause aus. Wir sind zum Glück in der Lage, dass wir die Frauen in einzelnen Wohnungen unterbringen können und wir haben eine Wohnung mit externem Eingang frei gehalten, wenn wir wirklich jemanden unter Quarantäne stellen müssen. Ist dieser Fall schon eingetreten? Schmidt-Sawatzki: Nein, im Augenblick ist das noch nicht so. Wir sind voll belegt, aber zu einer Corona-Infektion ist es noch nicht gekommen. Weiterhin haben wir Einschränkungen im Bereich der Face-to-face-Kontakte gemacht, halten aber trotzdem regelmäßig Kontakt zu den Frauen. Wenn sich eine Frau in einer akuten Krisensituation befindet, dann wird auch der persönliche Kontakt gestattet, aber dann nur unter Einhalt von Sicherheitsbestimmungen. Wie handhaben Sie es mit Mundschutz und Schutzkleidung? Schmidt-Sawatzki: Also Schutzkleidung ist hier noch nicht nötig, aber Mundschutz wird durchaus genutzt. Wir haben überall Desinfektionsmittel stehen. Wir beraten nicht mehr im Büro des Frauenhauses, sondern machen das jetzt hier im großen Gruppenraum, um den Abstand zu wahren. Mittlerweile haben wir den Erhalt von Schutzausrüstung zugesagt bekommen, aber es ist schwierig, an diese heranzukommen. Im Augenblick ist noch überhaupt nicht klar, wo die Verteilungsstellen dafür sind. Was wir hier haben, haben wir uns selbst zusammengekratzt. Die Regierung will dabei unterstützen, betroffene Frauen in Pensionen und Hotels unterzubringen, sollten die Frauenhaus-Kapazitäten erschöpft sein. Mussten Sie diese Maßnahmen schon in Anspruch nehmen? Schmidt-Sawatzki: Nein, bis jetzt noch nicht. Es gibt hier das Angebot vom Weißen Ring, uns bei einer Überfüllung behilflich zu sein, wenn wir also ein Hotel anmieten müssten. Ich sehe das sehr skeptisch, weil da auch eine Betreuung sicher gestellt werden müsste. Und das kann ich mit meinen Personal in der jetzigen Situation leider nicht. Besonders schwierig in diesem Zusammenhang sehe ich das mit den Kindern. Wo liegen da die Schwierigkeiten? Schmidt-Sawatzki: Wir haben viele Frauen, die kein Deutsch sprechen, die Kinder können nicht zur Schule gehen, so viel Auslauf haben sie dann auch nicht und wenn das noch in Hotels passiert, dann muss sich die für die Kinder zuständige Erzieherin vierteilen. Außerdem: Wie stelle ich dann die Sicherheit der hoch gefährdenten Frauen im Hotel sicher? Wir haben hier eine Sicherheitsanlage, wir haben eine Sicherheitsschleuse, sind hochgeschaltet bei der Polizei - das alles ist in Hotels nicht gegeben. Reicht die Unterstützung aus, die Sie von der Bundesregierung bekommen, oder wünschten Sie sich mehr? Schmidt-Sawatzki: Was wirklich fehlt, ist ein anschließendes Versorgungssystem, denn häusliche Gewalt ist meistens nur eine Erscheinungsform und da stoßen wir immer an die Grenzen unseres versäulten Hilfesystems. Für die Kinder ist der Jugendbereich zuständig, für die Frauen das Gleichstellungsministerium. Wir setzen uns schon ganz lange dafür ein, dass mehr getan wird in dem Bereich zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Kindern. Und gerade in so einer Krisensituation wird sehr deutlich, wie die Hilfen hier versäult sind. Wir können aus dieser schwierigen Zeit nur lernen, dass es nötig ist, diese Versäulung aufzulösen. In China kam es seit Beginn der Pandemie zu drei Mal mehr Vorfällen von häuslicher Gewalt. Wie ist es hier der Fall? Schmidt-Sawatzki: In NRW gibt es noch keine validen Zahlen. Es ist aber schon so, dass wir merken, dass das Klima sich aufheizt in den Familien. Die Frage ist, was entwickelt sich? Zur Zeit sind die Frauen, wenn sie Zuhause sind, noch einmal ganz anders unter Kontrolle. Die Frauen sind sehr oft eingeengt, eingesperrt. Frauen gehen sehr häufig zur Beratungsstelle ins Frauenhaus, wenn der Mann zur Arbeit ist, wenn sie Freiraum haben. Wir haben sehr viele Anrufe hier in der Frauenberatungsstelle. Laut Polizei hat es von Januar bis April jetzt schon mehr Einsätze zum Thema häusliche Gewalt gegeben als im ganzen vergangenen Jahr - wobei hier noch nicht abgrenzbar ist, wie viel das mit der Pandemie zu tun hat. Als häufiger Grund wurde genannt, dass die Menschen nun für längere Zeit auf engstem Raum zusammen leben müssen und das zu mehr Gewalt führe. Gibt es Ihrer Meinung nach noch andere Gründe? Schmidt-Sawatzki: Das ist die Existenzangst, vielleicht dadurch auch ein erhöhter Konsum von Alkohol. Es gibt ja auch schon Berichte darüber, dass mehr Alkohol verkauft wird. Dann ist die Möglichkeit, nach draußen zu gehen, sich dem Streit zu entziehen, eingeschränkt und Langeweile könnte eine große Rolle spielen. Beratungstermine können auch nicht mehr in Ihrem Haus gewährleistet werden. Wie können Sie die Frauen "aus der Ferne" weiter unterstützen? Schmidt-Sawatzki: Per Telefon, per Mail. Wir haben auch eine Online-Beratung, die jetzt vermehrt in Anspruch genommen wird. Noch größere Hemmnisse als zuvor haben im Augenblick behinderte Frauen und Frauen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Wir unterstützen, wo wir können, appellieren aber auch immer wieder daran, dass sich die Frauen auch selbst schützen müssen. Wenn sie nun zum Beispiel über Ostern unsere Schutzhäuser verlassen haben und zur Familie gefahren sind, dann dürfen sie nicht wieder zurück kommen. Damit schützen wir unsere Mitarbeiter und auch die anderen Frauen.

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