Renten-Dilemma in Bad Oeynhausen: Wenn die Erhöhung nicht im Geldbeutel ankommt

Bad Oeynhausen. Elli Weber ist nicht auf den Mund gefallen. Das zweiseitige Schreiben mit dem doppelseitigen Fragebogen aber hat sie dann doch sprachlos gemacht. Noch bevor sie damit zum Sozialamt geht, zeigt sie ihre Behördenpost empört in der Redaktion. &bdquo;Ich fühle mich wie eine Schwerverbrecherin“, sagt sie. Dabei hat sie gar nichts Unrechtes getan. Ganz im Gegenteil. Elli Weber hat bloß ihre Rentenerhöhung dem Sozialamt mitgeteilt. Dazu sind Aufstocker verpflichtet. Elli Weber heißt in Wirklichkeit anders, aber ihre Geschichte ist echt. Die 70-jährige Bad Oeynhausenerin bekommt eine so kleine Rente, dass das Sozialamt den monatlichen Betrag aufstockt. Seit Anfang Juli zahlt die Rentenkasse erfreulicherweise etwas mehr. Es sind 46,35 Euro. Der kleine Zuschlag hat jedoch große Auswirkungen. Die paar Euro mehr Rente führen nämlich dazu, dass das Sozialamt genau 46,35 Euro weniger bezahlt. Für Elli Weber ist die Rentenerhöhung also ein Nullsummenspiel. Der Staat steckt’s ihr in die linke Tasche und nimmt’s aus der rechten wieder heraus. &bdquo;Da habe ich doch nichts von. Und dann so ein Bohei?“ Textbausteine aus dem Paragraphen-Dschungel Doch damit nicht genug. Die Kürzung der Aufstockung erklärt das Amt in unvergleichlichem Behördendeutsch. In dem Schreiben stehen Textbausteine aus dem Paragraphen-Dschungel deutscher Verwaltungsvorschriften, bei denen selbst Profis die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Kostprobe? &bdquo;Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nach Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt wurde, das zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Sie haben nach Erlass des oben genannten Verwaltungsaktes Einkommen erzielt, wodurch der Anspruch für den oben genannten Zeitraum teilweise entfallen ist.“ Lesen Sie auch: Geldsorgen im Alter: Sozialhilfeausgaben in OWL steigen stark an Dabei ist die Sache eigentlich klar: Sozialhilfeempfänger müssen jedes eigene Einkommen angeben. Rente ist Einkommen. Und wer als Aufstocker mehr Einkommen hat, bekommt weniger Sozialhilfe. Das ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Nullsummenspiel. Wenn alle Rentner mehr Geld bekommen, die Aufstocker aber unterm Strich nicht, ist das allerdings ungerecht. &bdquo;Die Rentnerin hat nichts falsch gemacht“ Elli Weber hat zwar ihr Leben lang gearbeitet, aber nur wenig in die Rentenkasse eingezahlt. Sie war selbstständige Gastwirtin und Croupière im Spielcasino, bevor sie als angestellte Berufskraftfahrerin regelmäßig in die Rentenkasse einzahlte. Vor über zehn Jahren hat sie aufgehört zu arbeiten, weil ihre Hände nicht mehr mitmachten: Rheuma. Seitdem hat die Rentnerin eine Erwerbsminderungsrente bekommen und bezieht inzwischen eine Aufstockung zur Rente in der Grundsicherung auf 563 Euro monatlich. In dem Schreiben des Sozialamts findet Elli Weber aber auch Wörter wie &bdquo;Sorgfaltspflicht“ und die Phrase &bdquo;in besonders schwerem Maße nicht nachgekommen“. Das Amt referiert an dieser Stelle zwar bloß Vorschriften des Sozialgesetzbuches. Trotzdem ist Elli Weber schockiert, als sie das liest. Zu ihrem Fall gibt es gar keinen Bezug. Sie hat ja pflichtschuldigst dem Amt ihre Rentenerhöhung gemeldet. Die Krönung aber ist ein doppelseitiger Fragebogen, der als &bdquo;Stellungnahme zu der Anhörung“ ausgefüllt zurück ans Amt geschickt werden soll. Erste Frage: &bdquo;Wurde der Sachverhalt richtig wiedergegeben?“ Und die letzte Frage: &bdquo;Können Sie den genannten Betrag erstatten?“ Mehr zum Thema: Immer mehr Rentner beziehen zusätzlich Grundsicherung Kerstin Vornheder, Sprecherin der Stadt Bad Oeynhausen, hat sich Schreiben und Fragebogen auf Anfrage der NW angeschaut und bestätigt: &bdquo;Frau Weber hat nichts falsch gemacht.“ Bei dem Schreiben handele es sich um &bdquo;Musterbescheide“. Vornheder: &bdquo;Ihr wird kein Vorwurf gemacht.“ Die einzelnen Absätze des Schreibens seien den Sachbearbeiterinnen des Sozialamts vorgegeben. &bdquo;Die Verweise auf Gesetze sind notwendig und oft sehr komplex“, erklärt Vornheder. Die Textbausteine seien im Übrigen das Ergebnis einer kreisweiten Abstimmung der Sozialämter im Mühlenkreis. Dabei gehe es darum, die Verwaltungsschreiben möglichst rechtssicher zu formulieren. Für sprachliche Verbesserungen sei man offen. Zahl der betroffenen Aufstocker ist unbekannt Das Amt will vor Gericht offensichtlich keinen Schiffbruch erleiden. Um Verständlichkeit für die Kunden der Sozialämter geht es dabei allerdings nicht. Oder nicht an erster Stelle. Die Stadtsprecherin äußert auch Verständnis dafür, dass Elli Weber beim Lesen aufgeschreckt ist. &bdquo;Die Paragraphen hören sich erst einmal scharf an“, sagt Vornheder. &bdquo;Das muss aber so benannt werden.“ Auch der Fragebogen sei vorgeschrieben und Standard. Es ist Teil der Anhörung des Betroffenen im Verwaltungsverfahren. Nicht jeder Empfänger wird allerdings so pflichtbewusst sein wie Elli Weber und die Rentenerhöhung freiwillig dem Sozialamt melden. Die Rentenkasse allerdings meldet die Erhöhungen nachträglich den Ämtern. Das wiederum löst dann im Nachhinein solche Schreiben aus und erklärt auch den Fragebogen und die angebotenen Ratenzahlungen. Deutschlandweit haben wohl etwa drei Millionen Rentner wie Elli Weber einen Zuschuss zur Rente bekommen. Wie viele Aufstocker in Bad Oeynhausen, die daraufhin vierseitige Schreiben vom Sozialamt bekommen haben oder noch bekommen werden? Lesen Sie auch: So schlecht schneiden die Rentner in OWL im Landesvergleich ab &bdquo;Wir haben dazu keine Zahlen“, erklärt Vornheder. Das Sozialamt führe keine Statistik und die Rentenkasse teile nicht vorab mit, wie viele Grundsicherungsbezieher unter den Rentnern den Zuschuss bekommen. Das wird erst im Nachhinein ermittelt. Außerdem wird die Sozialhilfe für Aufstocker unterschiedlich berechnet. Mal individuell, mal kollektiv. Wenn Menschen zusammen leben, werden ihre Einkommen auch zusammen berechnet. Das Amt spricht von Bedarfsgemeinschaften. Elli Weber ist am nächsten Tag zu ihrer Sachbearbeiterin gegangen und hat die Sache im persönlichen Gespräch geregelt. Sie hat gefragt und Antworten bekommen. Die 46,35 Euro sind zwar schon auf ihrem Konto. Sie muss das Geld aber nicht ans Sozialamt überweisen. Im nächsten Monat hat sie stattdessen genau 46,35 Euro weniger zur Verfügung. &bdquo;Das habe ich eingeplant“, sagt sie.

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