Die Rückkehr des Wolfes: Wie ein Experte aus Bad Oeynhausen die Situation einschätzt

Bad Oeynhausen. Fast 200 Jahre lang galt der Wolf in Deutschland als ausgerottet. Den letzten nachweislich in Westfalen geschossenen Wolf erlegte 1835 ein Gastwirt. Doch nun ist der große Räuber zurück, nicht nur in Brandenburg und Niedersachsen, nein auch im Kreis Minden-Lübbecke. "Der Wolf ist wieder da", konstatiert Walter Jäcker, Rechtsanwalt, Vorsitzender der Kreisjägerschaft Minden-Lübbecke und stellvertretender Justiziar des Landesjagdverbandes. Der Bad Oeynhausener sieht den Mühlenkreis aber auch in Zukunft eher nicht als festen Wohnsitz eines Rudels. Nach seiner Einschätzung sind es eher die Einzelgänger, der Wolf auf Wanderschaft, der immer mal wieder die Gefilde an Weser und Wiehen durchquert. Doch auch die seltenen Wolfssichtungen im Kreisgebiet lassen die Emotionen höherschlagen. Während Naturschützer jubeln, sorgen sich Schafhalter um ihre Tiere und manch ein Spaziergänger fürchtet gar einen Angriff des nicht zuletzt durch Märchen als "böser Wolf" gebrandmarkten Raubtieres. "Der Wolf ist ein sehr faszinierendes Tier. Die Art und die Geschwindigkeit, mit der er sich seinen alten Lebensraum zurückerobert, ist einzigartig", findet Jäcker. "Genauso einzigartig aber ist auch die Reaktion darauf, die die Gesellschaft spaltet." Die "Urangst" vor dem Wolf ernstnehmen Für Panik allerdings gebe es keinen Anlass, stellt der Jäger und Jurist klar. "Man sollte keine Angst vor dem Wolf haben, wohl aber Respekt." Dass einige Menschen eine Art "Urangst" vor dem Wolf haben, müsse man ernstnehmen. "Es geht schließlich um ein 40 Kilo schweres Raubtier", räumt Jäcker ein. Ebenso müsse man auch die Sorgen der Tierhalter ernstnehmen. "Wölfe leben eigentlich von Paarhufern," erklärt Jäcker. Ihre eigentliche Beute seien hierzulande Rehe. "Aber sie lernen, dass ein Schaf oft leichter zu fangen ist", weiß der Vorsitzender der Kreisjägerschaft. Das habe schon im Mittelalter zum schlechten Ruf des Wolfes und letztlich zu seiner Ausrottung in Deutschland und weiten Teilen Europas beigetragen. "Früher hielten die Menschen oft nur eine Handvoll Tiere. Wenn ein Wolf davon eines tötete, war das für die Familien schon eine existenzielle Bedrohung", so Jäcker. Das ist es heute für die Schafhalter in der Regel nicht. Doch ein wirtschaftlicher Schaden entsteht natürlich. Erst im Oktober vergangenen Jahres wurden in Petershagen sieben Schafe von einem Wolf gerissen. Walter Jäcker begutachtete die toten Tiere, denn er ist auch Wolfsberater im Mühlenkreis. "Wir haben Speichelproben zum Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz und zum Senckenberg-Institut geschickt, wo per Genanalyse untersucht wurde, ob es wirklich ein Wolf war, der die Tiere getötet hat", erläutert Jäcker. Und es war ein Wolf. "Der Wolf ist nicht gefährdet" Ist der Wolf als Verursacher nachgewiesen, bekommt der Schafhalter eine Entschädigung. Geregelt ist das im Wolfsmanagementplan des Landes NRW. Schwieriger ist die Rechtslage, wenn es darum geht, einen Wolf, der Vieh gerissen hat, abzuschießen. Im nordrhein-westfälischen Jagdgesetz kommt der Wolf bislang - anders als zum Beispiel in Sachsen und Niedersachsen - gar nicht vor. Wird der Wolf im Jagdrecht als Wildtier aufgelistet, wäre es nach Jäckers Einschätzung leichter, einen Problemwolf, der zum Beispiel nachweislich Weidetiere gerissen hat, zu schießen. Andererseits bestünde dann aber auch eine Hegepflicht für die Raubtiere. "In Niedersachsen gibt es ein Notfallmobil, mit dem verletzte Wölfe - zum Beispiel durch einen Verkehrsunfall - in die Tierklinik gefahren werden", berichtet Jäcker. Unter welchen Umständen in Ausnahmesituationen ein Wolf gezielt getötet werden darf, ist in der Wolfsverordnung NRW, die erst Mitte Juli novelliert wurde, geregelt. Die in der Verordnung "Entnahme" genannte Tötung des Tieres kann zum Beispiel dann erlaubt sein, wenn ein Wolf schwer verletzt oder krank ist, er durch sein Verhalten ernsthaften wirtschaftlichen Schaden verursacht oder die Gesundheit des Menschen bedroht ist. Wie schwierig die Rechtslage selbst in einer Notsituation sein kann, hat Jäcker erst jüngst in der Zeitschrift des Jagdverbandes NRW beleuchtet. Hier ging es um einen Jäger in Brandenburg, dessen Jagdhunde von einem Wolf angegriffen und schwer verletzt wurden. Der Jäger erschoss den Wolf - und musste sich dafür vor Gericht verantworten. In zwei Instanzen wurde er freigesprochen, vom Landgericht Potsdam aber nur mit der Begründung, dass derJäger nicht habe erkennen können, dass er den Wolf nicht habe erschießen dürfen. Jurist Jäcker nennt das einen "Erlaubnistatbestandsirrtum". Wie viel Wolf passt in die Landschaft? Eine Zeit, in der Wölfe legal gejagt werden dürften, ist weder in einem der 16 Landesjagdgesetze noch im Bundesjagdgesetz vorgesehen. Für sie besteht quasi das ganze Jahr über Schonzeit. Das aber wird nach Jäckers Einschätzung nicht auf Dauer so bleiben. In Deutschland wurden laut Bundes-Umweltministerium im vergangenen Jahr 161 Wolfsrudel, 43 Paare und 21 territoriale Einzeltiere bestätigt. In Europa gebe es zwischen 17.000 und 20.000 Wölfe. "Der Wolf ist nicht gefährdet", sagt Jäcker. "Bis 2030 werden alle Habitate, die für ihn geeignet sind, besetzt sein", ist er überzeugt. Dass der Mühlenkreis zu diesen Gebieten gehören wird, glaubt Jäcker nicht. Es dürften eher die Einzeltiere sein, die immer mal wieder im Kreisgebiet gesichtet werden. "Die legen auf ihren Wanderungen Strecken von bis zu 1.000 Kilometer zurück", weiß Jäcker. "Wolfswelpen im Wiehengebirge - das halte ich für sehr unwahrscheinlich." Der Wolf habe seine Chance ergriffen, neue Lebensräume zu besetzen. "Das ist ein natürlicher Prozess", sagt Jäcker. "Die Frage ist nur: Wie viel Wolf passt in die Landschaft? Wir haben hier schließlich eine Kulturlandschaft, keine Wildnis mehr." Für den Juristen ist klar: Die FFH-Richtlinie der EU (Flora-Fauna-Habitat) wird den Wolf von "streng geschützt" auf "bedingt geschützt" herabstufen. Dann könnte er auch - unter streng geregelten Bedingungen - bejagt werden. "Das wird passieren, irgendwann", so Jäcker. Dazu sei die Politik gefragt. "Ohne eine vernünftige gesetzliche Regelung steigt das Konfliktpotenzial. Dann werden emotionale Entscheidungen gefällt", sagt Jäcker. "Und das war noch nie gut."

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