80-Jähriger radelt von Bad Oeynhausen nach Venedig

Bad Oeynhausen. Exakt 1.304 Kilometer ist Hans-Jürgen Migge mit seinem Tourenrad gefahren - nur mit der Kraft seiner Beine, ohne elektrische Unterstützung. In nur 15 Tagen hat der Bergkirchener, der im Februar 80 Jahre alt geworden ist, allein die Tour vom Südhang des Wiehengebirges über die Alpen bis nach Lido de Jesolo bei Venedig gemeistert. Und wenn er jetzt - nur zwei Wochen nach der Radtour von seinem Balkon in Bergkirchen auf Bad Oeynhausen schaut, dann juckt es schon wieder in den Beinen. Dabei sollte die Fahrt, bei der er insgesamt 11.600 Höhenmeter absolviert hat, eigentlich seine letzte große Tour sein. "Aber wer weiß, was noch kommt", schränkt er seine vor der Reise getroffene Aussage ein. Allerdings müsste er bei weiteren Touren auf sein Tourenrad verzichten. Denn das musste er im Flughafen von Venedig zurücklassen. "Die Dame am Check-in-Schalter verweigerte mir die Mitnahme des Rads, weil ich es nicht ordnungsgemäß in einem großen Pappkarton verstaut hatte", erzählt Hans-Jürgen Migge. Nach vielem Hin- und Her hat er sein 15 Jahre altes und viel gefahrenes Rad schließlich dagelassen. "Ich habe es sozusagen der Stadt Venedig geschenkt." Die Reise ist ein Geschenk seiner Kinder Ein Geschenk war auch die Basis für Migges nunmehr dritte Italien-Tour. "Meine Kinder haben mir die Reise quasi zum Geburtstag geschenkt." Dafür ist er dankbar. Denn: "Man glaubt immer, Radtouren seien günstig. Aber das stimmt nicht. Die Übernachtungspreise haben ganz schön angezogen", berichtet Migge. Da er nicht jede Übernachtung frühzeitig vorbuchen konnte, weil er nicht wusste, wie weit er jeden Tag kommt, musste Hans-Jürgen Migge manchmal ganz schön tief ins Portemonnaie greifen. Während seiner Tour stand Hans-Jürgen Migge immer mit seinen Kindern in Kontakt. "Mein Sohn wusste über GPS immer, wo ich war." Fast immer. "Der Gasthof in Fulda, in dem ich übernachtet habe, lag in einem Funkloch. Ich habe das gar nicht gemerkt, sonst hätte ich übers Festnetz angerufen", erzählt Migge. Aus Sorge um den Vater informierte der Sohn die Polizei. Anhand der letzten GPS-Daten, die der Sohn übermittelte, konnte die Polizei Hans-Jürgen Migge ausfindig machen und letztlich Entwarnung geben. App macht "steile" Vorschläge Eine konkrete Streckenplanung hat Migge übrigens vorher nicht gemacht. "Ich bin ja nicht das erste Mal mit dem Rad nach Italien gefahren", sagt Migge. Die Strecke war ihm also vertraut. Orientiert hat er sich per Navi, an Schildern oder mithilfe der App "Komoot". "Die App hat mir interessante Vorschläge gemacht", erzählt der frühere Computerprogrammierer und Unternehmer aus Bergkirchen mit ironischem Unterton. "In Innsbruck hat mich die App eine lange und steile Treppe hinunter geschickt. Wenn mir da nicht ein freundlicher und zupackender junger Mann geholfen hätte, hätte ich ganz schön alt ausgesehen." Wenig hilfreich seien oft auch die Tipps von Einheimischen. "Das sind oft die schlimmsten Vorschläge", sagt Migge. Ein Tipp einer Einheimischen führte ihn letztlich von Seefeld nach Innsbruck über Stock und Stein auf einen schmalen, steilen Pfad. "Den Pfad habe ich dann mehrfach gemacht. Erst habe ich das Fahrrad hochgeschoben und dann mein Gepäck geholt. Alles ganz langsam mit vielen kleinen Pausen, um zu verschnaufen", berichtet Migge. Die Strapazen einer solchen Tagesetappe sind allerdings schnell vergessen. "Allein die Augenblicke, in denen ich die Landschaft genießen konnte, geben unheimlich viel Kraft. Der schönste Teil der Tour war das Anfahren auf die Alpen. Das ist einfach ein fantastisches Erlebnis." Im HDZ bestens auf die Tour eingestellt Auch wenn er seine Tagesetappen nicht präzise geplant hatte, medizinisch hat er sich perfekt auf die Tour vorbereitet. "Ich bin insulinpflichtiger Diabetiker", sagt Migge, "und muss mehrfach am Tag spritzen." Im Herz- und Diabeteszentrum hat er sich vorab nicht nur auf Herz und Nieren durchchecken lassen, sondern sich auch auf die Belastung einstellen lassen. "Ich bin da auch in puncto Ernährung perfekt vorbereitet worden", so Migge. Denn bei einer solchen körperlichen Belastung ist die Abstimmung von Ernährung und Insulingabe besonders wichtig. Nach dem Treppenerlebnis in Innsbruck führte ihn sein Weg noch bis Patsch. "Dort kam ich recht spät an, im Ort vorher hatte ich schon nach einer Unterkunft gesucht, aber nichts gefunden", berichtet der 80-Jährige. Suchen wollte er nun nicht mehr. "Ich bin in das nächste Hotel und ahnte schon, das wird nicht ganz billig." Steigung wie bei der Tour-de-France Die Frage nach einem freien Zimmer leitete Migge an der Hotel-Rezeption mit dem Satz ein: "Hier steht ein alter, müder Mann, der ein Zimmer braucht." Nach kurzer Verhandlung waren sich der Mann an der Rezeption und der Radfahrer aus Bergkirche einig. "Nach einem leckeren Abendessen habe ich dort super geschlafen." Am nächsten Tag stand die Etappe über den Brenner auf seinem Programm. "Zwar hat mir die App wieder kleine Streiche gespielt, aber an sich ist der Brenner gar nicht das Problem. Der Pass ist 1.320 Meter hoch, die Steigungen sind auf anderen Strecken aber deutlich schlimmer." Richtig heftig wurde es dann noch einmal auf seiner letzten Etappe: "Ich fuhr schon durch die Weinberge Richtung Venedig, da kam noch mal eine lange elfprozentige Steigung", erzählt Hans-Jürgen vom 15. Tag seiner Tour. Zum Vergleich: Die Tour-de-France-Etappe zum Puy de Dome am vergangenen Sonntag hat kurz vor der Bergankunft eine Steigung von 13 Prozent. "An meinen letzten Tag bin ich noch mal 157 Kilometer gefahren, erst um 0.13 Uhr habe ich mein Ziel erreicht", sagt Migge. Zur Belohnung für den Tag und die ganze Tour gesellte sich Hans-Jürgen Migge noch zu fröhlichen Urlaubern ins Restaurant gegenüber seinem Hotel. "Da habe ich mir sofort ein großes Bier gegönnt und eine Zigarette und einfach nur die Atmosphäre genossen", schildert das Ende seiner Fahrt. Großes Bier und Zigarette zur Belohnung Aus dem Stand hat Hans-Jürgen Migge diese Italien-Tour natürlich nicht gemacht. "Meine erste lange Tour habe ich 1991 nach meiner Silberhochzeit gemacht", sagt Migge. Quer durch Deutschland - von der dänischen Grenze bis nach Bad Säckingen an der Schweizer Grenze sei er damals gefahren. "Das war ein traumhaftes Erlebnis und ein Gefühl unendlicher Freiheit. In der Folge hat er sich jedes Jahr aufs Rad gesetzt, meist gemeinsam mit Freunden oder Verwandten. Ziele waren das Nordkap, Italien, Kroatien und Spanien. "Das Ziel in Spanien war Lloret de Mar. Das kannte ich von Handballfahrten, die wir damals mit Rot-Weiß Unterlübbe gemacht haben. Als ich mit dem Fahrrad gefahren bin, habe ich den Ort ganz anders kennengelernt", sagt Migge und lacht. Auf seine Reisen bereitet Migge sich gründlich vor. "Ich habe drei Trainingsstrecken in der Region, die sind zwischen 48 und 125 Kilometer lang." Und die fährt er mehrmals die Woche. Und immer gehts über'n Berg und nicht durch die Porta Westfalica.

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