Ex-Landrat zur Zusammenführung des Kreises: Es besteht immer noch eine mentale Grenze

Bad Oeynhausen/Kreis Minden-Lübbecke. Abgehängt? Nur der nordöstlichste Zipfel NRWs? &bdquo;Keineswegs“, sagt Ralf Niermann. &bdquo;Wir sind das Tor des Landes nach Norden und Osten oder die Eingangstür NRWs“. Der promovierte Jurist war von 2007 bis 2020 Landrat des Kreises Minden-Lübbecke. Allein in der geografisches Lage des Kreises findet der 59-Jährige überraschend viel Positives. &bdquo;Wie gut die Interessen des Kreises in Düsseldorf oder Berlin vertreten werden, hängt aus meiner Sicht nicht von der räumlichen Nähe ab“, ist Niermann überzeugt. Er habe eher Interesse und Aufgeschlossenheit gespürt. &bdquo;In Düsseldorf blickt man mit Neugier auf das, was bei uns oben im Kreis geschieht“, sagt Niermann, der nach wie vor mit seiner Familie in Minden lebt und an der Hochschule für Polizei und Verwaltung in Bielefeld als Dozent tätig ist. "Wir sind nicht so unter dem Druck" Die Lage des Kreises im eher ländlich geprägten Raum sei sogar ein Vorteil: &bdquo;Wir sind nicht so unter dem Druck städtischer Ballungszentren wie andere Kreise. Zum Beispiel steht Herford in einem viele größeren Spannungsfeld mit der Stadt Bielefeld.“ Auch verkehrstechnisch liege der Kreis auf der Mitte zwischen der Landeshauptstadt und der Bundeshauptstadt, zusätzlich noch aufgewertet durch die Nordumgehung. Mit der zum 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Gebietsreform wurden die beiden Kreise Minden und Lübbecke zum Kreis Minden-Lübbecke zusammengeführt. Bis heute besteht der Eindruck, dass es in vielen Köpfen immer noch eine imaginäre Grenze gibt. &bdquo;Ich weiß aus Gesprächen, dass die Zusammenführung in der Anfangszeit des Kreises durchaus auch zu Schwierigkeiten geführt hat“, berichtet Niermann. Noch vor der kommunalen Neugliederung plante damals der Kreis Minden einen Neubau seiner Verwaltung an der Portastraße. &bdquo;Und dann kam die Neugliederung mit dem nicht von allen erwarteten Ergebnis“, so der ehemalige Landrat. Der Lübbecker Flügel in der Kreisverwaltung Die Reform führte letztlich dazu, die Verwaltung neu zu planen – mit einem zusätzlichen Gebäudeteil B. &bdquo;Das war dann auch im Sprachgebrauch der sogenannte Lübbecker Flügel. Und da war es in der Anfangszeit dann so, dass viele der Mitarbeiter aus dem ehemaligen Kreis Lübbecke mit Bussen oder in Fahrgemeinschaften nach Minden gefahren wurden. Da gab es auch innerhalb der neuen Kreisverwaltung deutliche Trennlinien“, weiß Niermann. Bei seinem Amtsantritt 2007 sei dies aber kein Thema mehr gewesen. &bdquo;Wir haben einen bunten Mix und auch viele Kollegen aus dem angrenzenden Niedersachsen.“ Jedem Versuch der Zusammenführung sind geografische Grenzen gesetzt Ralf Niermann weiß aber aus vielen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern, dass ein Stück der Identitäten aus beiden Kreisteilen bis heute fortlebt. &bdquo;Allein aufgrund der Geografie – der beträchtlichen Entfernungen zwischen den Städten – sind jedem Versuch, die die Teile zusammenzuführen, bestimmte Grenzen gesetzt.“ Auch das Wiehengebirge werde nicht als gemeinsame geografische Linie gesehen, sondern als etwas Trennendes. &bdquo;Ich habe das häufig erlebt, dass damit gescherzt wurde. Aber hinter jedem Scherz steckt ein ernster Hintergrund“, weiß Niermann. Für das Aufrechterhalten der Identitäten hat der ehemalige Landrat des Kreises Verständnis. Verständnis dafür, dass sich Menschen aus dem engeren Umfeld heraus definieren, aus dem sie stammen. Der Blick auf den Kreis aus der Perspektive eines Menschen aus Dehme sei ein anderer als die Perspektive eines Menschen, der in Oppenwehe oder Ovenstädt lebe. &bdquo;Und: Ein Rehmer fühlt sich als Rehmer, ein bisschen als Bad Oeynhausener, aber ganz wenig als Kreisangehöriger“, weiß Niermann. Jeder Teil bringt seine Besonderheiten mit ein &bdquo;Ich habe das immer so gesehen, dass die unterschiedlichen Teilbereiche des Kreises den Kreis bereichern. Jeder Teil bringt seine eigenen Stärken und Besonderheiten mit ein. Dieser schöne Mix aus eher städtisch geprägten Bereichen entlang der Weser und dem eher ländlich geprägten westlichen Kreisgebiet“, so Niermann. Trotzdem sei es aus der Perspektive des Landrats oder der Kreistagsabgeordneten extrem wichtig, den Kreis als Ganzes zu sehen. Dass sei die Aufgabe der Kreispolitik. In Bad Oeynhausen werden immer wieder Stimmen laut, die sagen, die Kurstadt sei in der Kreispolitik unterrepräsentiert. Zu dieser Einschätzung hat Ralf Niermann eine klare Meinung: &bdquo;Ich kann nur jedem, der sich nicht wahrgenommen fühlt, empfehlen, nicht darüber zu klagen, sondern daran aktiv etwas zu ändern. Jeder hat die Möglichkeit sich einzubringen. Ich glaube auch nicht, dass die Ratsmitglieder von Bad Oeynhausen genau wissen, was in der Kreispolitik abläuft“, sagt der ehemalige Landrat. Die Anzahl der Kreistagsmandate bilden sich entsprechend der Einwohnerzahl der Kommunen ab. &bdquo;Wenn man Bad Oeynhausen isoliert betrachtet, hat die Kurstadt in Meinungsbildungsprozessen keine historischen Verbündeten, sondern muss sich in der Meinungsbildung Verbündete suchen“, so Niermann weiter. Der Blick auf den Kreis hänge allerdings auch von der Größe einer Kommune ab. Für die kleinen Städte und Gemeinden habe der Kreis eine viel größere Bedeutung. Denn eine Vielzahl von Aufgaben für die Menschen, die zu erledigen sind, würden durch den Kreis Minden-Lübbecke erledigt. Aus der Sicht der kleineren Kommunen - wie Hüllhorst oder Stemwede - blicke man viel stärker auf den Kreis, als aus Sicht von Bad Oeynhausen oder Minden. "Der Begriff Altkreis ist aus der Zeit gefallen" &bdquo;Dazu kommt eine Medienlandschaft, die die Strukturen der früheren Kreise weiterleben lassen, weil einige Printmedien ihren Lesern tagtäglich erklären, wo der Mittelpunkt der Welt ist. Wenn ich als Bürger immer wieder lese, dass die Perspektive des Altkreises Lübbecke oder die der Stadt Bad Oeynhausen zu berücksichtigten sind, werde ich als Leser diese Perspektive verinnerlichen“, ist Niermann überzeugt. &bdquo;Für mich spielen die beiden Altkreise keine Rolle mehr, der Begriff 'Altkreis' ist aus der Zeit gefallen, er weist nicht in die Zukunft. Deswegen gefällt mir auch die Namenskonstruktion als Bindestrich-Kreis nicht“, sagt Niermann. Eine Umbenennung – etwa in Mühlenkreis – hält Niermann allerdings nicht für zielführend. Der Mühlenkreis sei eher als Synonym für den touristischen Bereich geeignet.Nicht aber für eine Region mit so vielen unterschiedlichen Stärken. Als wesentliches Plus macht Ralf Niermann die gute Wirtschaftskraft aus. &bdquo;Wir haben hier viele familiengeführte Unternehmen, die teilweise Weltmarktführer sind, aber neben diesen Unternehmen gibt es auch unzählige kleinere Unternehmen und Handwerksbetriebe. Selbstständige, die mit hohem Fleiß ihrer Arbeit nachgehen.“ Für die Zukunft wünscht sich Niermann im Kreis Minden-Lübbecke ein Stück mehr Innovation und Veränderungswillen. &bdquo;Das hat mir manchmal an bestimmten Projekten gefehlt. Dass nicht die Schwächen und Risiken in den Vordergrund gestellt werden, sondern dass die Menschen auch sehen, dass sich etwas verändert“, fügt Ralf Niermann hinzu. Beständigkeit sei schön, aber jede Region brauche auch mal das ein oder andere Projekt, an dem man erkennen könne, dass es vorwärts gehe, dass man sich auch was traue.

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