Jugendrichter aus Bad Oeynhausen in Sorge: Immer mehr kriminelle Kinder

Bad Oeynhausen. Pro Jahr landen etwa 200 Jugendstrafsachen auf dem Richtertisch von Amtsgerichtsdirektor Werner Meier. Straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende sind am Amtsgericht, dass zuständig für die Städte Bad Oeynhausen, Löhne und Vlotho ist, Chefsache. Dabei ist es nicht die Menge der Straftaten, die Meier Kopfzerbrechen bereiten, sondern die Tatsache, dass die Jugendlichen immer früher straffällig werden. Ein weiteres Thema, dass Jugendrichter, Polizei und Jugendamtsmitarbeiter umtreibt, ist der zunehmende Drogenkonsum von Jugendlichen und damit auch die steigende Zahl der Delikte, die im Zusammenhang mit Drogen stehen. "Ein Großteil der Jugendlichen, die sich vor Gericht zu verantworten haben, sind erst 14 oder 15 Jahre alt", sagt Jugendrichter Meier. Und aus Gesprächen mit Mitarbeitern des Jugendamts und der Polizei weiß der Richter zudem, dass auch in Bad Oeynhausen etliche Straftaten von Kindern begangen werden, die noch keine 14 Jahre alt sind - also noch nicht strafmündig sind. Elf-, Zwölf- oder Dreizehnjährige, die Sachbeschädigungen oder Diebstähle begehen. "Kinder, die Mülleimer anzünden, Autospiegel abtreten, einfach über Autos laufen oder andere Sachbeschädigungen begehen. Das ist eine Entwicklung, die uns große Sorge bereitet", so Meier. Probleme, die Jugendliche noch vor Jahren im pubertären Alter machten, verlagerten sich zunehmend in vorpubertäre Alter. "Es gibt viele Kinder, denen es unmöglich ist, sich an Regeln zu halten" Auch in Bad Oeynhausen und in Löhne gebe es mittlerweile Gruppen von Jugendlichen, die noch keine 14 Jahre alt sind, die sich in Gruppen zusammentun, andere "abziehen" und sich dabei sogar gewalttätig zeigen. So fordern sie zumeist von etwa Gleichaltrigen deren Jacke, Geld, Handy oder andere Wertgegenstände. "Es gibt viele Kinder, denen es unmöglich ist, sich an Regeln zu halten", sagt Werner Meier. Oft gingen diese Kinder nicht regelmäßig oder gar nicht mehr in die Schule. "Einige sind schon in der Kita nicht zu händeln." Den Grund dafür sieht der Jugendrichter im Elternhaus der Kinder. "Viele Eltern gehen der Erziehungsarbeit aus dem Weg - sei es durch Vernachlässigung oder Überbehütung. Das zieht sich durch alle Schichten und Nationalitäten", fügt Meier hinzu. Nur eine Handvoll Mehrfachstraftäter, die in Haft müssen Die etwa 200 Straftaten, die Werner Meier im vergangenen Jahr zu verhandeln hatte, sind von etwa 150 Tätern begangen worden. Nur etwa eine Handvoll gelte im Einzugsgebiet des Amtsgerichts als Mehrfachstraftäter, bei denen die Taten in der Haft enden. Aus seiner langjährigen Tätigkeit als Jugendrichter weiß Meier aber auch, dass zahlreiche Jugendliche, die ihm als 14- oder 15-Jährige einiges Kopfzerbrechen bereitet haben, später "eine erstaunlich positive Wendung hingelegt haben". "Etwa 95 Prozent werden eins, zwei Mal auffällig und dann nicht wieder", fügt der Jurist hinzu. Bei den meisten wirke also "ein Schuss vor den Bug". Auch sei der Eindruck falsch, dass selbst mit jugendlichen Mehrfachtätern nichts mehr zu retten sei. Selbst wenn Populisten häufig Gegenteiliges behaupteten. Die Möglichkeiten und vor allem der Grundsatz Erziehung vor Strafe, die das Jugendstrafrecht biete, seien ausreichend und sinnvoll, ist Meier überzeugt. Und das seit mittlerweile einem Jahrhundert. Denn am 16. Februar 1923 wurde das sogenannte Reichsjugendgerichtsgesetz als erstes deutsches Jugendstrafrecht vom Reichstag verabschiedet. Bis dahin reagierten die Gerichte auf jugendliche Straftäter mit kompromissloser Härte. Das von dem Rechtsgelehrten, Sozialdemokraten und Justizminister der Weimarer Republik, Gustav Radbruch, auf den Weg gebrachte Gesetz hat im Grundsatz bis heute Bestand. Seit einer Reform im Jahr 1953 wird zudem bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren je nach persönlicher Reife entschieden, ob sie nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt werden. Der erzieherische Gedanke steht im Vordergrund Im Jugendstrafrecht sei der Blick nach vorn gerichtet. Für den Jugendrichter stelle sich die Frage: "Was kann ich tun, damit der Jugendliche nicht auf die schiefe Bahn gerät. "Der erzieherische Gedanke steht auch heute noch im Vordergrund", sagt Werner Meier. Denn - so der Grundgedanke des Gesetzes - bei Jugendlichen bestehe eine gute Aussicht auf Besserung und Veränderung. Schon vor 100 Jahren sah der Gesetzgeber Sozialstunden als eine Möglichkeit der Erziehung an. "Wer 30 bis 50 Arbeitsstunden ableisten muss, hat zunächst mal viel Gelegenheit zum Nachdenken", sagt Meier. Wichtig sei es aber auch, in jedem Einzelfall abzuwägen, welches erzieherische Mittel das Geeignete sei. Neben Arbeitsstunden kann der Jugendrichter den straffällig gewordenen Jugendlichen zu einem Kursus bei der Drogenberatungsstelle oder einem Anti-Gewalt-Training verpflichten. "Ich vielen Fällen ist auch ein Erziehungsbeistand vom Jugendamt sinnvoll. "Wir Richter sind da frei in unseren Entscheidungen", sagt Meier, "es gibt gute Möglichkeiten, aber leider nicht immer genug Angebote." Wie viel Druck ist von Seiten des Gerichts nötig? Für die jugendlichen Straftäter sind diese Angebote allerdings weder frei wählbar, noch Kür, sondern Pflicht. "Wer meint, Arbeitsstunden nicht ableisten zu müssen oder Kurse ausschlagen zu können, dem droht Arrest", fügt Meier hinzu. Und den kann der Richter dann für bis zu vier Wochen anordnen. "Und die Stunden müssen trotzdem abgeleistet werden." Bei schweren Straftaten sieht das Jugendstrafrecht allerdings auch eine Haftstrafe vor - von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Und bei bis zu 21-Jährigen, die wegen mangelnder Reife nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden beträgt die Maximalhaftstrafe 15 Jahre. "Die Frage bei jugendlichen Straftätern ist immer: Wie viel Druck ist seitens des Gerichts nötig?", sagt Meier. "Es gibt Eltern, die nehmen ihre Erziehungsaufgabe nicht wahr. Umso mehr muss dann das Gericht machen", weiß Meier. Manche wiederum bekämen schon zu Hause so viel Ärger, dass das als Erziehungsmaßnahme ausreiche. Soziale Medien - Fluch und Segen für die Ermittler Ein noch recht junges Feld der Kriminalität sei der strafbare Besitz und das Weitergeben von kinderpornografischen Bildern. "Das stellt ein schweres kriminelles Verhalten dar", sagt Werner Meier. Und dies sagt er auch immer wieder den Jugendlichen, wenn er etwa in Schulen geht: "Passt auf, was ihr auf euren Handys habt, löscht solche Sachen sofort", fordert der Jugendrichter die Jugendlichen auf. Denn über Chatverläufe in sozialen Medien sei jeder ermittelbar. "Da muss nur bei einer Razzia jemand auffällig geworden sein, dann werden dessen Chatgruppen unter die Lupe genommen und ein an sich völlig Unbeteiligter gerät ins Visier der Polizei", erläutert Meier. Diese Erklärung bringt Werner Meier auch gleich auf den Vorteil, den die sozialen Medien mit Chatgruppen haben. "Heute wird alles gefilmt, fotografiert, kommentiert und dann hochgeladen. Das erleichtert uns die Arbeit." Zahl der Drogendelikte ist auffällig Insgesamt sei die Zahl der von Jugendlichen begangenen Straftaten in den vergangenen Jahren rückläufig - zumindest im Kreisgebiet. Auch Amtsgerichtsdirektor Werner Meier hatte "vor zehn Jahren noch 50 Prozent mehr Fälle auf dem Tisch". Im Kreis ging die Zahl der Straftaten von 1.345 im Jahr 2017 auf 1.276 (2021) zurück. Nicht aber in Bad Oeynhausen. In der Kurstadt hat die Polizei laut Kriminalitätsstatistik im Jahr 2017 185 jugendliche Tatverdächtige ermittelt, im Jahr 2019 263 und im Jahr 2021 waren es 215. Auffällig im negativen Sinn ist die Zahl der Drogendelikte bei jugendlichen Tatverdächtigen. Seit dem Jahr 2017 (209 Tatverdächtige) ist die Zahl kontinuierlich auf 327 im Jahr 2021 gestiegen. Im Kreisgebiet stellen Jugendliche und Heranwachsende laut einen 18,1 Prozent aller ermittelten Tatverdächtigen dar. Der Bevölkerungsanteil dieser Altersgruppen betrug Ende des Jahres 2020 7,27 Prozent. Im Verhältnis zu ihrem vergleichsweise geringen Bevölkerungsanteil stellen die Jugendlichen und Heranwachsenden damit einen überproportional hohen Anteil Tatverdächtiger, heißt es in der Polizeistatistik.

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