Seltene Krankheit: Wie ein 15-Jähriger aus Bad Oeynhausen jetzt anderen Kindern hilft

Bad Oeynhausen. Raffael ist sportbegeistert und lebhaft, aber plötzlich ist er kraftlos, ständig müde und bekommt zittrige Hände. Später folgen noch starke Schmerzen in den Beinen. Seine Eltern sind ratlos: Was fehlt ihrem Sohn? Auch die Ärztinnen und Ärzte brauchen Zeit, um dem Problem auf die Spur zu kommen. Das griff ein NDR-Team der Sendung "Abenteuer Diagnose" auf - und sorgte damit unbewusst dafür, dass durch diese Öffentlichkeit einem weiteren kleinen Mädchen geholfen werden konnte. Raffael war das erste Kind weltweit, bei dem eine seltene Nervenkrankheit diagnostiziert wurde. Es war vor genau vier Jahren, als Raffael seinen Eltern Sorgen machte. Der Junge, der für Handball brannte, war müde, kraftlos und wollte nicht mehr zum Sport. Er hatte keine Kraft mehr für eine Laufrunde, beim Frühstück bekam er sein Brötchen nicht mehr geschmiert. "Ich vermutete eine Blutarmut", erinnert sich Mutter Ana Csik. Und Ungeschicklichkeit. Dazu passte, dass der damals Elfjährige plötzlich mit dem Rad stürzte, weil er das Gleichgewicht verloren hatte. Sie ließ Blut abnehmen. Doch die Laborwerte der Kinderärztin waren unauffällig. Als dann noch die gute Handschrift des Sohnes zu einer Sauklaue mutierte, war Ana Csik alarmiert und suchte erneut die Ärztin auf. Die war überrascht ob des Zustandes des Jungen. Raffael klagte über Schmerzen in den Beinen, wirkte traurig, schlapp und der Gang hatte sich stark verändert. Katharina Roth setzte eine neurologische Untersuchung an. Der Befund: Gangunsicherheit und fehlende Reflexe. Im Klinikum Herford stellte sich danach heraus: zu Raffaels Schlappheit kommen noch zittrige Hände. Alles Symptome für eine schwerwiegende neurologische Erkrankung. Raffaels Zustand wurde nicht besser. Er konnte kaum noch laufen, seine Eltern schoben ihn im Rollstuhl, an Schulbesuch war nicht mehr zu denken. Raffael sitzt innerhalb weniger Wochen im Rollstuhl Die Herforder Neurologin Renate Brackmann vermutete ein bestimmtes Syndrom (Guillain-Barré-Syndrom) und behandelte daraufhin den Jungen. Raffaels Zustand aber wurde trotzdem schlechter. Ein weiterer Spezialist aus Datteln, Kevin Rostasy, wurde hinzugezogen. Sein Schwerpunkt: neuroimmunologische Erkrankungen bei Kindern. Und tatsächlich: Der Professor fand einen ganz bestimmten Antikörper in Raffaels Blut. Und damit war klar: Raffaels ist das erste Kind, das an einer Sonderform der seltenen Erwachsenenkrankheit CIDP (chronisch inflammatorisch demyelisierende Polyneuropathie) leidet - in Kombination mit den Antikörpern eine neue Form bei Kindern. Dabei wird die Isolierschicht der Nervenstränge von Antikörpern angegriffen - dadurch ist die Signalweiterleitung gestört. Teilweise lag bei Raffael die Nervenfaser frei und unterbrach dadurch den Impuls ans Gehirn und die entsprechenden Körperteile. Das Gute: Die Krankheit lässt sich möglicherweise eindämmen. Mit einem Medikament aus der Krebstherapie, das die Produktion der Antikörper blockiert. Bei Raffael schlägt es schnell an, zwei Infusionen reichten. Der Körper, die Nerven regenerieren sich, langsam kehrte Raffaels Kraft zurück. Er kann wieder laufen und hat auch wieder Lust auf Sport. Ein Zustand, der bis heute anhält. Als geheilt gilt er trotzdem nicht, aber sein Zustand, so sagt seine Mutter, habe sich in den vergangenen vier Jahren nicht verschlechtert. Inzwischen ist Raffael fast beschwerdefrei, lediglich seine Orthesen an den Beinen lassen seine Krankheit erkennen. Der 15-Jährige besucht die zehnte Klasse des Immanuel-Kant-Gymnasiums, war gerade für ein Auslandsschuljahr in Amerika und ist zufrieden. "Rückblickend hatten wir großes Glück, dass es nur wenige Monate gedauert hat vom Ausbruch bis zur passenden Behandlung - und Monat für Monat wurde es besser", sagt Ana Csik. "Was bleibt ist aber die orthopädische Geschichte", erklärt seine Mutter. Die Fußheberschwäche beidseits. "Sein Blut ist nicht mehr auffällig, zeigt keine Zeichen der Krankheit mehr." Zur Unterstützung beim Gehen trägt Raffael Orthesen, die seine Unterschenkel und Fußgelenke stützen. Wie lange weiß niemand. "Nerven heilen sehr langsam", hat Familie Csik erfahren. "Ich hab' mich dran gewöhnt", sagt Raffael. Nur das Abrollen klappe nicht. Für seinen geliebten Sport also nicht ideal. Stattdessen setzt er auf Krafttraining. Der Schritt an die Öffentlichkeit hilft einer anderen Familie Der Schritt an die Öffentlichkeit, der ist der Familie nicht leicht gefallen. "Weil diese ganze Krankheit schon sehr emotional war", bilanziert Ana Csik. Rückblickend aber sei der Schritt der richtige gewesen. "Es ist gut, die Erkrankungen bekannt zu machen. Durch den Fernsehbericht konnte die Krankheit bei einem kleinen Mädchen in Hamburg ebenfalls diagnostiziert werden." Auch die Sechsjährige kann wieder laufen und tanzen und ein normales Leben führen. "Ich hätte mich auch gefreut, irgendwo etwas über diese Krankheit lesen zu können", sagt Ana Csik. "Aber es gab nirgendwo etwas dazu." Erst durch die Bad Oeynhausener Familie wurde das anders. "Es ist uns wichtig, dass die Krankheit bekannter wird, dass es eine Lösung gibt und mehr Kindern geholfen werden kann." Die Forschung des Dattelner Professors, die Verbesserung von Raffaels Zustand und damit verbunden, Chancen für andere betroffene Kinder, den Rollstuhl zu umgehen: Für die Techniker Krankenkasse aber trotzdem kein Grund, die Behandlungskosten von Raffael zu übernehmen. "Die bezahlt für eine Standardbehandlung", hat Ana Csik erfahren. Die aber bei Raffael nichts verbessert hätte. Das genutzte Medikament wiederum ist für die Therapie von CIDP nicht zugelassen. Somit verweigert die Krankenkasse die Zahlung. "Aber Raffaels Erkrankung ist ja auch keine Standard-Krankheit. Sondern eine neue", sagt die Mutter. "Wenn der Arzt nicht dieses Medikament genommen hätte, säße Raffael im Rollstuhl und die Nervenschädigung wäre immer größer geworden." Argumente, die für die Techniker Krankenkasse nicht zählen. Und die Kosten? Auf denen bleibt die Kinderklinik Datteln sitzen. Wer mehr Informationen zur Erkrankung haben möchte, kann in den NDR Podcast "Abenteuer Diagnose" oder die gleichnamige Sendung in der ARD Mediathek reinhören.

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