Thema der Woche: Fürchtet Euch nicht!

Bad Oeynhausen. Zeitenwende. So hat Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar in einer Regierungserklärung den Angriff Russlands auf die Ukraine gedeutet. Die Zeit macht klar zur Wende. Menschen fliehen vor Bomben, Raketen und Granaten. Soldaten und Zivilisten sterben in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und uns geht das Gas aus. Für den grünen Wirtschaftsminister zählt nach der Zeitenwende “jede Kilowattstunde” – und wir rüsten mit zigtausenden LED-Lämpchen für den Weihnachtsmarkt. Einmal abgesehen davon, dass es ein Stern, kein Lichtermeer war, der die drei Weisen aus dem Morgenland zum Heiland navigierte, muss man mehr als gläubig sein, um im Weihnachtsmarkt ein Zeichen für das Energiesparen zu erkennen. Das aber verkünden Stadt und Staatsbad unisono. Auch das sind Zeichen einer Zeit, die sich partout nicht wenden will. Ein ganzes Land starrt täglich auf die Füllstände von Gasspeichern Ein ganzes Land starrt täglich auf die Füllstände von Gasspeichern, deren größten man freigiebig an den Aggressor verscherbelt hatte und trotzdem darf die glühweingeschwängerte Gemütlichkeit nicht auf der Strecke bleiben. Ich gönne allen, die es brauchen, ihren Weihnachtsmarkt; doch frage ich mich, ob es nicht mutiger gewesen wäre, auf das Kitschgeklingel in einem Winter zu verzichten, der vielen Menschen eine kalte Stube bescheren wird. Vielleicht aber steht der Weihnachtsmarkt als Symbol dafür, dass man die Zeichen der Zeit schlicht nicht erkennen will. Es muss doch wohl ausreichen, dass wir sogar darüber diskutieren, den Ukrainern – die ja angeblich für uns Freiheit und Demokratie verteidigen – eventuell Leopard-II-Panzer zu schicken. Und in der Tat ist eine Zeitenwende schwer zu begreifen, wenn man – wie ich – davon ausgeht, dass Zeit eine lineare Angelegenheit ist. Würde sie sich wenden, liefe sie rückwärts. Das könnte erklären, warum man auf der doch schon passierten Wegstrecke den Weihnachtsmarkt (wieder-)entdeckt. So lautet die Offenbarung des Staatsbades folgerichtig: Fürchtet Euch nicht, denn Euch wird auch in Zeiten des Krieges eine Eisbahn geschenkt – wenn auch nur aus Kunststoff. Das kann für eine Form der Beruhigung in unsicheren Zeiten halten. Kann man, muss man aber nicht. Wiederkehrende Feste wie der Weihnachtsmarkt strukturieren die Zeit, schaffen den Anschein von Normalität in unnormalen Zeiten. Und eine Botschaft dieser aufrechterhaltenen Kontinuität lautet wohl: So schlimm ist es nicht. Das mag funktionieren, wenn die “Zeitenwende” ein überproportionierter Begriff für eine nur vorübergehende Störung des Normalen darstellt. Wasch mich, aber mach mich nicht nass Es könnte aber auch von Konsequenz zeugen, angesichts der deutlich zu erkennenden Zeichen, die Zeit zumindest vorübergehend tatsächlich zu wenden. So könnte man nicht nur ein Zeichen für das Energiesparen setzen, das sich darin erschöpft, Stadt und Kurpark aufwendig aber eben kürzer zu illuminieren. Das ist Zeitenwende nach dem Motto: Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Der Begriff der “Zeitenwende” suggeriert, dass nach ihr nur noch wenig so ist, wie es vorher gewesen ist: Das Dasein verändert sich grundlegend. Und wer kritisch in sein Portemonnaie schaut, der kann zumindest daran, was fehlt, erkennen, dass es dafür Indizien gibt. Doch LEDs und Kunststoffrutschflächen sind keine Wende, sondern eine Anpassung. Die muss nicht schlecht sein, denn vielleicht wird bald alles wieder gut. Und genau diese Hoffnung ist doch der Kern der Weihnachtsbotschaft, dass uns ein Retter geboren wird, der für unsere Verfehlungen sühnt und dafür sorgt, dass wir uns nicht grundlegend werden ändern müssen. Kostenloser Newsletter aus Bad Oeynhausen Wenn Sie diese Kolumne schon früher lesen wollen, empfehle ich ich Ihnen, den Newsletter Bad Oeynhausen kostenfrei zu bestellen. Darin finden Sie zusätzlich auch ein Angebot der wichtigsten Nachrichten der vergangenen Tage aus der Kurstadt. Hier geht's zur Bestellung.

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