Unter Beobachtung des Staatsschutzes: Reichsbürger-Organisation öffnet Büro in Porta Westfalica

Porta Westfalica. Das blau-weiße Schild mit dem Schattenriss der Justitia, der römischen Göttin der Gerechtigkeit, ist von der Straße aus gut sichtbar. Es steht neben der Eingangstür eines gepflegt wirkenden Wohnhauses in Porta Westfalicas Stadtteil Möllbergen. Auf den ersten Blick deutet hier nichts auf Reichsbürger hin. Neben der Garage parkt ein SUV, neben Eingangstür kräuselt sich eine Hecke aus Kirschlorbeer und auf den Klingelschildern steht ein Familienname. Doch wer das Schild neben der Haustür zweimal liest, bekommt eine Ahnung davon, warum der Staatsschutz dieses Haus seit geraumer Zeit im Blick hat. Ein dubioser "Internationaler Menschenrechtsstrafgerichtshof Sweden" hat in Möllbergen angeblich seinen Sitz. Hinter dem Schild und dem dubiosen Namen verbirgt sich aber kein Amt und kein Gerichtshof, sondern eine Erfindung der Reichsbürger-Organisation "Justizopferhilfe". Fachleute halten den Zusammenschluss bekannter Verschwörungserzähler für rechtsextrem. Reichsbürger lehnen den Staat und seine Beamten ab, leugnen die Existenz der Bundesrepublik und verbreiten allerlei Verschwörungserzählungen. Die "Justizopferhilfe" war lange in Löhne zu Hause. In einem ehemaligen Autohaus, gegenüber der Oktoberfest-Wiese, öffnete die Gruppe eine vorgebliche "Botschaft Germanitien". Darin warben die Reichsbürger für ihr Fantasiegebilde "Menschenrechtsstrafgerichtshof" und spielten sich als Richter und Staatsanwälte auf. Wortschöpfer und Hintermann dieser kruden Gedankenwelt des Germanitentums war und ist ein ehemaliger Kampfsportler aus Bad Oeynhausen, der im Februar 2012 mit dieser Fantasiebotschaft auf Polizisten losgestürmt ist und dann von einem Polizeihund gebissen wurde. Nachdem das ehemalige Autohaus in Löhne zwangsversteigert wurde, zog die "Justzopferhilfe" unter Protest in ein ebenfalls zur Zwangsversteigerung ausgeschriebenes Wohnhaus nach Rinteln. Außerdem streckten Gruppenmitglieder ihre Fühler nach einem anderen Zwangsversteigerungsobjekt in Extertal-Bösingfeld aus. Dann aber öffnete die "Justizopferhilfe" unvermittelt in einer ehemaligen Gaststätte gegenüber des WEZ-Supermarktes in Löhne-Gohfeld ein Büro. Auch das ist inzwischen dicht. Eine Briefkasten-Adresse in Porta Westfalica Nun ist die "Justizopferhilfe" in Porta Westfalica wieder aufgetaucht. Und zwar als "Embassy Germanitien". So steht es halb Englisch, halb Reichsbürgerisch auf dem Briefkasten des Wohnhauses. Die neue Dependance dürfte inzwischen die vierte Briefkasten-Adresse der bekannten Reichsbürger-Organisation sein. Dem Staatsschutz der Polizei Bielefeld ist "seit längerer Zeit bekannt, dass es sich bei der Adresse der Justizopferhilfe NRW handelt", schreibt ein Polizeisprecher auf Anfrage. Auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus OWL ordnet die Portaner Anschrift als Anlaufstelle für Reichsbürger ein. Sie ist demnach ein weiteres Beleg dafür, dass sich in OWL unterschiedliche Netzwerke und Strukturen der Reichsbürgerbewegung etabliert haben. Angehörige der Szene und ihre Websites, so ein Sprecher der Mobilen Beratung, hinterließen "oftmals einen skurrilen Eindruck". Dennoch gelte es, Reichsbürger ernst zu nehmen, weil sie geschichtsrevisionistische, demokratie- und menschenfeindliche Inhalte vertreten. Einige Reichsbürger vertreten darüber hinaus auch die Auffassung, Gewalt gegen Andersdenkende sei ein legitimes Mittel, um eigene Ziele zu erreichen. Die Reichsbürgerszene hat in der Coronakrise Zulauf bekommen. In OWL sind dem Staatsschutz derzeit 450 Reichsbürger bekannt. Die meisten davon in den Kreisen Herford, Minden-Lübbecke, Lippe und Gütersloh. Die Szene ist nach Auskunft des Polizeisprechers "sehr heterogen". Neben Revanchisten, die das Kaiserreich wieder errichten wollen, seien Antisemiten, Rechtsradikale und sogenannte Selbstverwalter, die ein eigenes Hoheitsgebiet nur für sich selbst fordern. Zwischen diesen Gruppen gebe es Schnittmengen. Einig seien sich alle Gruppen in ihrer Ablehnung und Nichtakzeptanz der geltenden Rechtsordnung und staatlicher Autorität. Der Widerstand gegen die Coronaregeln war nach Einschätzung des Staatsschutzes der Polizei Bielefeld "ein idealer Nährboden und sorgte für eine hohe Anschlussfähigkeit". Es sei deshalb davon auszugehen, dass die Reichsbürgerideologien von der Querdenkerszene aufgenommen wurden und zur Vergrößerung der Szene beigetragen haben. Viele Reichsbürger gelten in Behörden eher als Maulhelden und Papiertiger. Sie reden viel und verschicken viele Schriftsätze. Nach Einschätzung des Staatsschutzes ist "ein kleiner Teil jedoch auch gewaltbereit und bewaffnet". Im Februar 2020 haben Ermittler in Porta Westfalica bei einem Sympathisanten der terrrorverdächtigen "Gruppe S." Waffen und selbst gebastelte Handgranaten gefunden. Den Mitgliedern der "Gruppe S." wird derzeit in Stuttgart der Prozess gemacht. Hauptangeklagter ist ein Fliesenleger aus Minden. Auf seinem Firmenwagen fanden sich beliebte Motive der Reichsbürgerszene, außerdem teilte er in sozialen Medien typische Inhalte der Bewegung. Auf dem Privatgelände eines weiteren Mitglieds der Gruppierung aus Porta Westfalica, der in der Untersuchungshaft Suizid beging, wurden selbst gebastelte Handgranaten sichergestellt. Der Herr an der Haustür will nicht sprechen Der Mann an der Haustür der neuen "Embassy Germanitien" wirkt dagegen überaus friedfertig. Er hat eine Lesebrille auf der Nase und ist offensichtlich sehr überrascht, dass zwei Reporter vor seiner Tür stehen. Über das Schild vor seinem Haus, über die Aufschrift auf seinem Briefkasten oder über den Vorwurf, Teil der Reichsbürgerszene zu sein, will er nicht reden. Das macht er unmissverständlich klar. Nach wenigen Sekunden ist die Haustür auch schon wieder zu. Seine Nachbarn beschreiben den mittelalten Mann mit den ausgeprägten Geheimratsecken im Haar als ein bisschen spleenig, aber harmlos. Offenbar wohnt er mit seiner Familie in dem Haus. Von größeren Treffen der Reichsbürgerszene ist in der Nachbarschaft bisher nichts aufgefallen. Mehr Auskunft gibt es auf den Internetseiten: Für den "Menschenrechtsstrafgerichtshof" (Mrstgh) sind angeblich fünf Männer aus Bielefeld, Detmold, Porta Westfalica, Rinteln und Herford als Richter tätig. Sie leisten aber nicht etwa bei Menschenrechtsfragen Hilfestellung, sondern bei Bußgeldbescheiden, GEZ-Gebühren, Insolvenzen und Kindesentzug. Alle Mrstgh-Richter besitzen selbst gebastelte Führerscheine und Fantasie-Diplomatenausweise und wollen zur "indigenen Volksgruppe der Germaniten" gezählt werden. Der friedfertige Herr von der Haustür hat außerdem früher einmal mit Wasserverwirblern gehandelt. Reste einer Internetseite und Spuren eines Insolvenzverfahrens dümpeln noch durchs weltweite Netz. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus OWL schätzt die Reichsbürger-Szene in OWL als sehr aktiv ein. Die Proteste gegen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie stellten für Reichsbürger "eine willkommene Grundlage dar, aus ihrer Isolation herauszubrechen und neue Teile der Gesellschaft zu erreichen". Der "Menschenrechtsstrafgerichtshofs Sweden" mit Sitz in Möllbergen hat einen eigenen Internetauftritt. Auch dort wird zum Beispiel die Falschbehauptung geteilt, dass Coronaschutzmasken giftig seien. Die Mobile Beratung geht davon aus, dass die Reichsbürger-Szene in OWL weiter anwachsen wird. In Porta Westfalica fallen Reichsbürger nicht zum ersten Mal auf. Im August 2020 löste die Polizei am Kaiser-Wilhelm-Denkmal eine Veranstaltung von Mitgliedern der Gruppe "Ewiger Bund" auf. Etwa 20 Personen waren mit Fahrzeugen aus verschiedenen Bundesländern – darunter NRW, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt – zu dem Parkplatz am Denkmal gefahren, um eine Kundgebung zu starten. Und im April 2016 besetzten 28 Reichsbürger ein zwangsversteigertes Einfamilienhaus in Hausberge. Der Eigentümer hatte mit einer Erfindung zu "energetischem Wasser" vorübergehend einigen Geschäftserfolg, verfiel dann aber der Reichsbürgerszene und hörte auf einen falschen Doktor aus Osnabrück. Die Besatzer riefen hastig einen "Wasserlandstaat" sowie die "Außenstelle und Diplomatische Mission des Königreichs Preußen" aus. Es nutzte nichts. Die Polizei rückte mit 60 Beamten an und räumte das Gebäude.

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