Angst um die Angehörigen in der Ukraine

Bad Oeynhausen. Noch am Mittwoch war Lena Althoff zuversichtlich, dass alles gut gehen wird. Am Donnerstag klingt auch aus ihrer Stimme das Entsetzen durch. Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Ukraine angegriffen. Und zwar nicht nur wie erwartet im Grenzgebiet der beiden Länder - sondern wie am Nachmittag gemeldet wird, finden fast überall im Land Kämpfe statt. Auch in Lena Althofs Heimatstadt Lwiw (Lemberg). Weshalb ihre Eltern und ihre beiden Cousins noch am gleichen Tag die gepackten Koffer geschnappt und das Land verlassen haben. Wie viele andere tausend Ukrainer auch. Im Lwiw steht das Leben still. Schulen, Unis, Geschäfte, Restaurants - alles geschlossen. Stattdessen fliehen immer mehr Menschen aus ihrer Heimat. Der Krieg ist plötzlich nah wie nie. Und nun auch in Oberbecksen angekommen - Althofs neuer Heimat.Doch, die Angst ist da. Auch wenn Lena Althof sie am liebsten ganz weit wegschiebt, Gefühle nicht zulässt. "Ich muss nüchtern bleiben im Kopf", sagt die 37-Jährige. "Und hoffen, dass es gut geht." Was anderes könne sie nicht machen. Lena Althof kommt gebürtig aus Lwiw (früher Lemberg) im Westen der Ukraine und lebt seit 17 Jahren in Deutschland. Trotzdem ist sie auch aus der Ferne Feuer und Flamme für ihr Land. Derzeit aber überwiegen die Sorgen. Die Sorgen um Eltern, Neffen und Freunde in der alten Heimat."Warum?, fragt Lena Althoff, "warum dieser Angriff aus der Laune eines Menschen heraus?" Die 37-Jährige ist fassungslos, ob der Arroganz des russischen Präsidenten. "Ohne Niveau, ohne Menschlichkeit, ohne einen Gedanken an die Menschen in beiden Ländern." Dabei hätte Putin im eigenen Land wahrlich genug Baustellen. "Warum kümmert er sich nicht um sein Volk? Es gibt in vielen Teilen Russlands keine Infrastruktur, keine Straßen, kein Geld - da gäbe es genug zu tun." Doch stattdessen richte Putin sein Interesse auf das kleine Nachbarland. Dem es, so sagt Lena Althof, so gut geht wie nie zu früheren Sowjetzeiten.Die Liebe zur Heimat bleibt 2004 kam Lena Althof als Au-pair-Mädchen nach Deutschland, lebte ein Jahr in Norden an der Nordsee, bevor sie beschloss, in Deutschland ihr Studium der Betriebswirtschaft zu beenden. Das machte sie an der Fachhochschule Bielefeld - und lernte ihre große Liebe Mario kennen. "Seit neun Jahren bin in nun in Bad Oeynhausen", erzählt die Mutter einer Tochter. "Ich bin hier angekommen." Weshalb sie inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft hat. "Mein Zuhause ist jetzt hier. Aber ich habe in meinem Leben bisher die Welt aus mehreren Perspektiven gesehen und dadurch viel gelernt und erfahren." In Oberbecksen führe sie nun ein ganz anderes Leben als in der Ukraine: "Das ist ein neues Ich, ein neuer Abschnitt." Doch im Herzen, da ist auch die Liebe zur alten Heimat.Lena Althoff kennt sich aus mit der ukrainischen Geschichte. Informiert sich, interessiert sich, möchte die Stimmung im Volk beider Länder wahrnehmen. Das aber geht in Deutschland am besten übers Internet. Im russischen Fernsehen würden nur Lügen erzählt, da könne niemand zuhören. "Niemand will diesen Krieg", sagt die 37-Jährige. Die Ukrainer nicht und die russische Bevölkerung auch nicht. Das schließt sie aus ihren Recherchen im Netz. Der Konflikt in der Grenzregion der Ukraine zu Russland ist nicht neu. Seit 2014 schwelt dieser bewaffnete Konflikt, der durch stetige Schritte der Eskalation in den ostukrainischen, von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk entstand. "Aber wir sind ein eigenständiges Volk. Mit einer eigenen Sprache, einer eigenen Kultur, eigener Fahne", betont Althof. Ein Land, das immer wieder für seine Unabhängigkeit gekämpft habe."1990/91 war es dann endlich, endlich soweit. Die Ukrainer waren so stolz auf ihre Selbstständigkeit. Sie hatten einen langen Weg geschafft." Auch wenn mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Ukraine eine eigene Regierung bekam - Russland sei trotzdem präsent gewesen. "Die ersten Jahre wurde die Regierung aus Moskau bestückt", sagt sie. Da seien viele Fehler gemacht worden. Aber nicht nur das: "Russisch war die Einheitssprache im gesamten Osten. Wie hier Englisch." Damit hatte und hat Lena Althof kein Problem. Sie spricht fließend Russisch, aber auch Ukrainisch - und natürlich Deutsch. "Es gab so viele Völkerwanderungen in den letzten 300 Jahren, die Ukraine ist so gemischt - warum kann nicht mit den kulturellen Unterschieden gelebt werden?" Friedliche Lösung als Wunsch Aus der Ferne verfolgt Lena Althof die Lage im Heimatland. Und geht konform mit der derzeitigen Lösung aus Europa. "Es ist in Ordnung, das auf friedliche Art zu klären. Mit Sanktionen und eingefrorenen Konten. Denn Krieg hat noch nie zum Ziel geführt." Zumal auch im Land selbst niemand Krieg führen möchte: "Alle hoffen auf eine friedliche Lösung." Die sich dann am Donnerstagnachmittag zerschlagen hatte. Putin greift nach der Macht in Kiew - und setzte Fallschirmjäger ein. "Dabei sind wir Ukrainer ein friedliches Volk. Wir haben ganz andere Probleme als Außenpolitik", winkt die Bad Oeynhausenerin ab. "Wir wollen das Land vor allem bekannter machen, Touristen die Schönheiten zeigen, die Wirtschaft aufbauen", erklärt sie. Es sei doch immer der Kreml gewesen, der in den letzten Jahren Kriege angezettelt habe. Egal ob in Georgien, Tschetschenien oder jetzt in der Ukraine." Es sei kein Wunder, das die Ukraine sich an die Nato gewandt habe: "Weil sie sich immer wieder bedroht gefühlt haben aus dem Osten. Sie wollen Sicherheit", erklärt Althof. "Doch warum fühlt sich Putin dadurch bedroht? Die Nato will doch gar keinen Krieg?" Im Gegensatz zu Putin, urteilt Althof. Seine Rede im russischen Fernsehen konnte die 37-Jährige nicht verfolgen. "Ich musste ausschalten", sagt sie angewidert. Der Osten der Ukraine ist, so erklärt Lena Althof, auch deshalb für Putin interessant, weil dort der einzige Landweg zur Krim entlang führe. Eine Halbinsel, die eigentlich zur Ukraine gehört, seit 2014 aber von Russland besetzt ist. Das Problem: "Eine teure Insel für Putin. Gibt es doch keine eigene Wasserversorgung auf der Insel." Das kam bis 2014 aus der Ukraine. Und noch etwas macht die Krim und damit den Osten der Region für Putin interessant: 66 Milliarden Kubikmeter Erdgasvorkommen. Letzteres bietet zudem auch der Osten der Ukraine: "Gute Erde, gute Ernten und eben Erdgas."Mutter hatte den Koffer gepackt Seit Jahren schwelt der Konflikt im Grenzgebiet. Es ist ein Leben auf einem Pulverfass. "Für Europäer nur schwer vorstellbar", sagt Lena Althof. "Die Ukrainer haben ihr Leben lang Schikanen ertragen müssen." Und sehen trotzdem positiv nach vorne. "Was auch sonst", sagt die 37-Jährige, die derzeit genauso mit dem Krieg in der Heimat umgeht. "Natürlich habe ich Angst. Wie meine Eltern. Mama hatte den Koffer schon gepackt." Dabei wollen Familie und Freunde eigentlich nicht weg. "Sie lieben ihr Land." Doch nun geht es nicht anders. Zu groß ist die Sorge vor einem Bombenangriff auf Lemberg. Denn wenn der Krieg sich ausdehnt, wenn es auch in Lemberg nicht mehr sicher ist, dann bleibt nur die Flucht. "Natürlich betrifft uns das auch", sagt Ehemann Mario Althof. "Wir wissen ja nicht, wie weit sich die Kriegszone zieht und was mit meinen Schwiegereltern passiert." Die aber seien eigentlich fest verwurzelt in Lemberg. Die Situation in der Ukraine - sie ist tagtäglich Gesprächsthema im Haus Althof. Ein Krieg, der plötzlich auch in Oberbecksen angekommen ist. In wenigen Stunden vermutlich direkt im Wohnzimmer - in Form der geflüchteten Verwandten.Lena Althof hatte bis zuletzt die Hoffnung, dass Putin seine Drohung nicht wahr macht. "Die Menschen müssen endlich aus der Geschichte lernen", fordert sie. "Die Grenzen in Europa haben sich so oft verändert - wollen wir damit wirklich spielen? Dann hört es nie auf . . ." Es gebe immer eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft. "Wir müssen Veränderung akzeptieren. Sonst haben wir ewig Krieg." In Europa wegen der Politik, in anderen Ländern wegen der Religion.Am liebsten wäre es Lena Althof, wenn alle auf der Welt so friedlich miteinander umgingen, wie sie und ihre Freundin. Die kommt nämlich gebürtig aus Perm. In Russland. Eine deutsch-russisch-ukrainische Freundschaft. Warum das super funktioniert? "Weil wir die Politik nicht in unsere Freundschaft lassen und lieber ein Glas Wein trinken." +++Alle aktuellen Informationen zum Krieg im Osten gibt es bei uns im Liveticker+++

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